Claudia Schwaab: Altötting. Das Landgericht Neuötting, das Stadtgericht Burghausen und die Gerichte Wald und Leonberg-Marktl (= Historischer Atlas von Bayern. Teil Altbayern - Reihe 1; Heft 63), München: C.H.Beck 2005, XLIII + 762 S., ISBN 978-3-7696-6853-7, EUR 42,00
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Die Autorin hat ihrem Band das vielzitierte Wort "Habent sua fata libelli" vorangestellt und verweist damit auf ihre rund zwanzig Jahre währende Arbeit am Historischen Atlas für den Landkreis Altötting. Claudia Schwaab, die heute für die Kommission für bayerische Landesgeschichte an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften tätig ist, wurde 1989 von Andreas Kraus mit dem Teil des Buches promoviert, der sich auf das Landgericht Neuötting bezieht; alle anderen Teile des vorliegenden Buches hat sie erst nach Abschluss ihrer Dissertation verfasst. Welche Leistung dies darstellt, wird schon daran deutlich, dass allein die Passagen über die Residenzstadt Burghausen quantitativ deutlich die Ausführungen zu den Verhältnissen im Landgericht Neuötting übersteigen. Angesichts der langen Bearbeitungszeit haben sich wohl zwangsläufig gewisse kleine formale Fehler eingeschlichen, [1] doch fällt dies angesichts der Leistung der Bearbeiterin nicht ins Gewicht.
Das eingangs zitierte Diktum gilt nicht nur für den anzuzeigenden Band, sondern auch für den Historischen Atlas von Bayern als Ganzes. Dieses wissenschaftliche Großprojekt geht auf den aus privaten Initiativen entstandenen "Verein zur Herausgabe eines historischen Atlas von Bayern" zurück. Hatte die Kommission für bayerische Landesgeschichte seit 1927 dessen Arbeit finanziell unterstützt, so übernahm sie nach dem Zweiten Weltkrieg unter ihrem Vorsitzenden Max Spindler, unterstützt von Wilhelm Winkler, dem Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, die organisatorische Umsetzung der wesentlich von Sebastian Hiereth geprägten Konzeption. Hiereth war bereits 1938 mit einer Studie über das Landgericht Moosburg promoviert worden, die den programmatischen Untertitel trug: "Erste vollständige Darstellung eines niederbayer. Landgerichtes". Alle Bände des "Historischen Atlas von Bayern" konzentrieren sich bis heute bei der Beschreibung ihres Landkreises auf den Zustand des späten 18. Jahrhunderts, wie er aus Steuerbeschreibungen der einzelnen Anwesen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zu erheben ist und nach einem wohldurchdachten System abgedruckt wird. Dieser statistischen Übersicht ist in allen Bänden der Reihe eine knappe Einleitung über die Entwicklung des jeweiligen Gerichtsbezirkes sowie seiner Ämter und Niedergerichte vorangestellt. Ein Abschnitt über die Bildung und Weiterentwicklung der politischen Gemeinden sowie der Überführung der älteren in die neuen Verwaltungsstrukturen des 19. und 20. Jahrhunderts beschließt jeden Band.
Auch der Atlas für den Landkreis Altötting folgt diesem kurz umrissenen Schema. Der erste Teil widmet sich den Grundlagen der Herrschaftsbildung, konkret den naturräumlichen Gegebenheiten des Untersuchungsraumes und seiner Siedlungsgeschichte von der Vor- und Frühgeschichte bis zum frühen Mittelalter (1-60). Der zweite Teil schildert die Entwicklung der herrschaftsbildenden Kräfte vom frühen Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Er ist in sechs Kapitel untergliedert: Herzog und König vom 8.-11. Jahrhundert (61-125); Adel und adelige Grundherrschaft vom 8.-11. Jahrhundert (125-141); Die Grundherrschaft der Kirche vom 8.-11. Jahrhundert (141-151); Die Herrschaftsträger im 12. und 13. Jahrhundert (152-242); Die Wittelsbacher und die Eingliederung des Raumes um Ötting in die landesherrliche Ämterorganisation (243-364); Gerichts- und Grundherrschaften bis zum Ende des Alten Reiches (364-503). Den dritten Teil bildet die oben angesprochene statistische Übersicht über die Herrschaftsverhältnisse zur Mitte des 18. Jahrhunderts (505-617). Der vierte Teil stellt die Entwicklung der staatlichen und kommunalen Gerichts- und Verwaltungsorganisation im 19. Jahrhundert dar und gibt am Ende einen knappen Ausblick auf die Veränderungen der Gemeindeorganisation im 20. Jahrhundert (619-678). Beschlossen wird der Band durch drei getrennte Register (Grundherrschaften, Personen und Orte), die dem Benutzer ein gezieltes Suchen ermöglichen, sowie elf Abbildungen einzelner Orte des Landkreises Altötting aus dem Kupferstich-Werk von Michael Wening: Historico-Topographica Descriptio, das von 1701 bis 1726 in München erschien. Fünf als "Skizzen" bezeichnete, von der Verfasserin erarbeitete Karten im Text veranschaulichen mustergültig die Verteilung der vor- und frühgeschichtlichen Funde, die frühe Siedlungsentwicklung, die Lage der Edelfreien- und Ministerialensitze, die Grundherrschaft der Klöster bis zum 14. Jahrhundert sowie den herzoglichen Besitz nach Ausweis der frühesten Urbare, deren Aussehen durch die Abbildung einer das Gericht Ötting betreffenden Seite im Text beispielhaft wiedergegeben wird. Eine dem Band gesondert beigefügte, auf der Grundlage der Amtsbezirksübersichtskarte von Bayern erstellte Karte ermöglicht die klare Lokalisierung aller im Text des Bandes angesprochenen Orte.
Dass im Band Altötting die Beschreibung der Herrschaftsentwicklung des Untersuchungsraumes deutlich umfangreicher ausgefallen ist als die statistische Übersicht über die Herrschaftsverhältnisse im Gebiet des Landkreises zur Mitte des 18. Jahrhunderts, ist kein Zufall, sondern spiegelt vielmehr die Bedeutung dieses Raumes für die bayerische Geschichte wieder. So war (Alt-)Ötting, einer der frühestbelegten -ing-Orte in Bayern, im Frühmittelalter nach der Hauptpfalz Regensburg die zweitbedeutendste karolingische Pfalz in Bayern. Burghausen wiederum bildete nicht nur den Sitz der Grafen von Burghausen aus dem bedeutenden Geschlecht der Sighardinger, sondern war auch für Herzog Heinrich den Löwen von besonderer Bedeutung, der nach dem Tod des letzten Grafen von Burghausen unter in Bayern erstmaliger Anwendung des Heimfallrechtes durch einen bayerischen Herzog die Burg und den Zoll Burghausen samt den daran hängenden Grafschaftsrechten einzog. Letztere waren von zentraler Bedeutung für seine Herrschaft in Bayern, waren sie doch mit der Hallgrafschaft in Reichenhall verbunden, die wiederum für die gezielte Städtegründungspolitik Heinrich des Löwens entlang der Salzhandelsroute von Burghausen über München und Landsberg am Lech in die schwäbischen Territorien des Welfen verantwortlich war. Unter den Wittelsbachern stieg die bereits von Hermann von Niederaltaich als "civitas" bezeichnete Siedlung ab 1255 zur Neben-, insbesondere Frauenresidenz der niederbayerischen Herzöge auf; ab 1392 war Burghausen durch die Verlegung des "Viztum an der Rott" in die Stadt an der Salzach zugleich das wichtigste niederbayerische Verwaltungszentrum neben Landshut. Nach dem Ende der niederbayerischen Linie des Hauses Wittelsbach wurde Burghausen 1507 im Zuge der von Herzog Albrecht IV. initiierten Behördenreform auf der mittleren Verwaltungsebene neben Straubing, Landshut und München zum Sitz eines der vier neugeschaffenen Rentämter und somit zu einem Verwaltungsmittelpunkt mit "Hauptstadtcharakter" (357), wenn der Titel "Hauptstadt" Burghausen auch erst 1688 verliehen wurde (361). Das wenige Gesagte verdeutlicht, dass Claudia Schwaab mit ihrem Buch einen der wichtigsten Bände der Abteilung "Altbayern" des "Historischen Atlas von Bayern" vorgelegt hat.
Angesichts des vorzeitigen Endes zahlreicher, über Jahrzehnte betriebener historischer Langzeitprojekte ist zu wünschen, dass es der Kommission für bayerische Landesgeschichte nicht nur gelingt, die letzten fünf für Ober- und Niederbayern noch fehlenden Bände (Abensberg, Bad Tölz, Dingolfing, Kelheim und Stadt München) vorlegen zu können, sondern das Unternehmen "Historischer Atlas von Bayern" auch für diejenigen Regionen Bayerns ganz zum Abschluss bringen zu können, für die bisher noch nicht soviele Atlanten vorliegen wie für Altbayern.
Anmerkung:
[1] Hinzuweisen sind vor allem auf Fehler in der Literaturverwaltung, so beispielsweise 87 Anm. 165 voller Titel, obwohl Kurztitel im Literaturverzeichnis; 325 Anm. 201 Kurztitel, der nicht im Literaturverzeichnis aufgelöst ist, sondern ohne Verweis als voller Titel 346 Anm. 353; 358 Anm. 413 u.ö. nur Kurztitel der ungedruckten Magisterarbeit von Guido Treffler, die sich aber nicht im Literaturverzeichnis findet.
Dietmar Grypa