Heide Fehrenbach: Race after Hitler. Black Occupation Children in Postwar Germany and America, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2005, 272 S., ISBN 978-0-691-11906-9, USD 29,95
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Die ersten Kontakte afrikanisch-amerikanischer GIs mit Hitlers Deutschen nach 1945 verliefen für beide Seiten überraschend. Die GIs wunderten sich, dass sie ausgerechnet im postfaschistischen Deutschland mehr Freiheiten genossen und ihnen im Alltag von den Besiegten, insbesondere den deutschen Frauen, weniger voreingenommen begegnet wurde als in ihrer Heimat. Umgekehrt bemerkten die Deutschen nicht ohne stille Genugtuung, dass die hochherzige Siegermacht, die sich gerade anschickte, der deutschen Gesellschaft die Demokratie beizubringen und den mörderischen Antisemitismus abzugewöhnen, selbst nicht frei von Rassenhass war. Es ist diese paradoxe Konstellation, die Heide Fehrenbach zum Ausgangspunkt ihrer transnationalen Studie des Diskurses über die schwarzen Besatzungskinder nimmt.
Im Kern geht es der Autorin um die Frage der Abwicklung und Transformation von Rassevorstellungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten nach 1945. In den vier Jahren der Besatzung wurden 94.000 Kinder deutscher Frauen und amerikanischer GIs geboren; 3.000 (später erhöht sich diese Zahl) davon waren so genannte 'Mischlingskinder', auf die sich die Aufmerksamkeit der Behörden und Medien auf beiden Seiten des Atlantiks fokussierte. Unter anderem kann Fehrenbach in ihrer theoretisch reflektierten Studie zeigen, dass Demokratisierung - anders als viele Forschungsarbeiten zur 'Amerikanisierung' der westdeutschen Gesellschaft nach 1945 implizit voraussetzen - keine Einbahnstraße war. Die Begegnung zwischen Besatzern und Besetzten veränderte beide Seiten: im Besatzungsalltag, aber auch in den daraus resultierenden Debatten in beiden Gesellschaften.
Die ersten beiden Kapitel geben einen Überblick über den schockartigen Wandel von politischen Erwartungen nach der amerikanischen Besatzung Deutschlands. Das Ausmaß und die Intensität der Fraternisierung im besetzten Deutschland (wie auch in Japan) gehörte für die Amerikaner zu den großen Rätseln der Nachkriegsordnung. Statt eines erbitterten Partisanenkrieges der vermeintlichen 'Nazi-Volksgemeinschaft', erwartete die westlichen Sieger vielerorts eine kriegsmüde Bevölkerung, die sich der neuen Ordnungsmacht vollständig unterwarf. Das Verbot von Kontakten mit der Zivilbevölkerung, gespeist aus der Furcht vor Wehrwolf-Aktionen und der Abscheu gegen die Deutschen nach den Berichten aus den befreiten Konzentrationslagern, die im Frühjahr 1945 durch die amerikanischen Medien gingen, ließ sich nicht aufrechterhalten in einer Umgebung, die vielen amerikanischen GIs alles andere als feindselig erschien.
Das gilt in besonderem Maße für die schwarzen GIs. In kurzer Zeit wurde Deutschland für sie der bevorzugte Stationierungsort. Die Gründe hierfür fasst ein Bericht des Ebony Magazine von 1946 zusammen: "Strangely enough, here were once Aryanism ruled supreme, Negroes are finding more friendship, more respect and more equality than they would back home either in Dixie or on Broadway [...]. Race hate has faded with better acquaintance and interracialism in Berlin flourishes. Many of the Negro GIs in the German capital are from the South and find that democracy has more meaning on Wilhelmstrasse than on Beale Street in Memphis." (34) Solche positiven Berichte über die Erfahrungen mit dem 'Herrenvolk' zielten auf eine Kritik der segregierten amerikanischen Gesellschaft und Armee. Sie entbehrten, wie Selbstzeugnisse zeigen, nicht einer realen Grundlage.
Folglich kam der spontanen Fraternisierung von deutschen Frauen und Besatzungssoldaten, allgemein den Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten, eine überragende symbolische Bedeutung für die Nachkriegsordnung zu, auch für das Verhalten und die öffentliche Meinung der Deutschen nach der Niederlage. Wie Fehrenbach überzeugend argumentiert, verschoben sich Vorstellungen von 'Rasse' durch das Besatzungsregime: der Vernichtungsantisemitismus verliert sich, die Verletzung deutscher Souveränität (und Männlichkeit) durch gewaltsame oder auch gewollte sexuelle Beziehungen deutscher Frauen mit 'schwarzen' Amerikanern und 'asiatischen' Russen trat in den Vordergrund.
Das dritte Kapitel beschreibt den Umgang mit den ('farbigen') Besatzungskindern durch staatliche Behörden der Bundesrepublik ('Vater Staat') und die westdeutsche Öffentlichkeit. Im Laufe der Fünfzigerjahre geraten die 'Mischlingskinder' in das Blickfeld deutscher Anthropologen, Psychologen, Soziologen, Sozialarbeiter und Erzieher. Wie schon die Studie von Yara-Colette Lemke Muniz de Faria kann auch Fehrenbach zeigen, wie stark dieser Blick von rassischen Vorurteilen gelenkt wurde, die im nachfolgenden Kapitel in einer brillanten Analyse des Films "Toxi" (1952) in ihrer Vielschichtigkeit deutlich werden.
Vordergründig sucht der Film die deutschen Öffentlichkeit für die Probleme bei der Einschulung der ersten Generation der Besatzungskinder zu sensibilisieren. Indem der Film sowohl die Aufnahmebereitschaft einer deutschen Familie (Toxi wächst nach dem Tod der Mutter bei deren Eltern auf) zeigt, als auch den selbstgewählten Ausschluss (der afrikanisch-amerikanische Vater nimmt das Kind nach einem überraschenden Besuch zu Weihnachten mit in die 'Heimat'), lehrt er zugleich Toleranz und Trennung der Rassen - eine Ambivalenz die auch die Repräsentation von dunkelhäutigen Deutschen in den westdeutschen Medien der 60er- und 70er-Jahre durchzieht.
Tatsächlich emigrierten viele Besatzungskinder seit den späten Vierzigerjahren in die USA, wie im fünften Kapitel dargestellt wird. Nach Schätzungen aus dem Jahr 1968 wurden in den zwei Dekaden seit dem Ende des Krieges 7.000 Kinder schwarzer GIs und deutscher Frauen durch amerikanische Staatsbürger adoptiert, in der überwiegenden Mehrzahl von afrikanisch-amerikanischen Familien. Fehrenbach kann erneut zeigen, wie eng aufeinander bezogen der deutsche und der amerikanische Diskurs über die Frage der Zugehörigkeit der Besatzungskinder war.
Der Ausblick beschreibt das Verschwinden der Besatzungskinder aus dem Scheinwerferlicht der westdeutschen Medien seit den frühen Sechzigerjahren und fasst die Ergebnisse der Studie zusammen: Zwischen dem 'Rassenkrieg' der Nazis und den Schwierigkeiten der Bundesrepublik, ethnische Heterogenität seit der Einwanderung der so genannten 'Gastarbeiter' als konstitutiv für das Gemeinwesen anzuerkennen, liegt gleichsam als Scharnier die frühe Nachkriegszeit, in der die Deutschen die Frage 'rassischer' Zugehörigkeit am Beispiel der schwarzen Besatzungskinder verhandelten. Dabei lernten sie von der amerikanischen Besatzungsmacht eine widersprüchliche Lektion: Demokratie verträgt sich nicht mit Rassenhass, aber durchaus mit Segregation. Es dauerte nicht lange, bis die Deutschen zu der Ansicht kamen, die Kategorie 'Rasse' sei nur ein Problem der anderen westlichen Demokratien, vor allem der Vereinigten Staaten.
Es ist bedauerlich, dass Fehrenbach für ihre Analyse der devolution des nationalsozialistischen Rassismus durch die Erfahrung der Besatzung kaum auf vergleichbare Forschungsarbeiten zur ambivalenten Beziehungsgeschichte von Deutschen und Russen nach 1945 zurückgreifen kann, etwa auf eine detaillierte Studie zu den Besatzungskindern sowjetischer Soldaten und deutscher Frauen in der SBZ.
Zur komplexen Nachgeschichte des Nationalsozialismus gehört zweifellos die als 'rassische' Demütigung empfundene sexuelle Gewalt sowjetischer Soldaten im Frühjahr 1945, aber auch die bis heute aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgten Liebesbeziehungen zwischen sowjetischen Besatzern und deutschen Frauen nach Kriegsende. Änderten sich hierdurch die Regeln des öffentlich und privat Sagbaren über 'Rasse' nach 1945? Zu fragen wäre auch nach Kontinuitäten und Brüchen im Bild des Anderen etwa von den Zwangsarbeitern des nationalsozialistischen Imperiums zu den Gastarbeitern der Bundesrepublik, ob, mit anderen Worten, dem Umgang mit den schwarzen Besatzungskindern hierfür tatsächlich eine Schlüsselrolle zukam. Die Geschichte der 'postkolonialen Erfahrung' der Deutschen nach 1945 bleibt ohne eine Analyse des vielschichtigen Bildes des 'Ostens' - als Schreckbild rassischer Überfremdung, wie auch als Wunschbild kolonialer Herrschaft - unvollständig.
Das grundsätzliche methodische Argument von Race after Hitler dürfte durch solche künftigen Forschungen aber eher bestätigt werden: In ihrer transnationalen Verwobenheit lässt sich die Nachkriegsgeschichte neu und vielschichtiger begreifen. Die Erfahrungen von Niederlage und Besatzung haben nach 1945 zu signifikanten Verschiebungen im öffentlichen Diskurs und Verhalten der Deutschen geführt, die letztlich im Westen den Weg frei machten für eine Demokratie nach amerikanischem Vorbild. Umgekehrt hat die Begegnung mit den Besiegten zu grundlegenden Veränderungen des amerikanischen politischen Gemeinwesens geführt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Bürgerrechte von Afrikanisch-Amerikanern. Wer Demokratie exportieren möchte, setzt sich der Frage aus, wie demokratisch die eigene Gesellschaft verfasst ist.
Stefan-Ludwig Hoffmann