Pat Thane (ed.): A History of Old Age, Los Angeles: Getty Publications 2005, 320 S., 108 color, 123 b&w ill., ISBN 978-0-89236-834-1, USD 49,95
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Mit der zunehmenden Selbstreflexion moderner Gesellschaften bezüglich des in ihnen stattfindenden demografischen Wandels auf der einen und der Konjunktur kulturwissenschaftlicher Theorieangebote und Fragestellungen in der Geschichtswissenschaft auf der anderen Seite ist das hohe Lebensalter als gesellschaftliche Konstruktion in den letzten Jahren vermehrt zum Untersuchungsgegenstand von Historikern geworden. Der vorliegende Band, der auch in einer durch Dirk Oetzmann und Horst M. Langer besorgten deutschen Übersetzung erhältlich ist, bietet nun auf 320 Seiten einen reich bebilderten kaleidoskopartigen Überblick über die Ergebnisse zur Altersforschung von den homerischen Epen bis ins 20. Jahrhundert für einen breiteren Leserkreis. [1]
In der Einleitung wendet sich Pat Thane zunächst gegen eine allzu positive Vorstellung vom Leben der Alten in vormodernen Gesellschaften (9-29). Nicht nur habe es stets eine signifikante Anzahl von Alten gegeben, über die Angaben zur durchschnittlichen Lebenserwartung wegen der hohen Bedeutung der Kindersterblichkeit in vormodernen Gesellschaften leicht hinwegtäuschten, sondern das Leben dieser Gruppe habe auch wenig Romantisches besessen: So sei etwa die Vereinsamung der Alten keineswegs erst ein Ergebnis des 20. Jahrhunderts, wo aufgrund neuer Kommunikationsformen selbst bei räumlicher Trennung Kontakt zwischen den Alten und ihren Nachkommen möglich bleibe, sondern bereits ein Problem der Vormoderne (10 ff.). Darüber hinaus verweist Thane auch auf die häufig prekäre Versorgungslage alter Menschen in historischen Gesellschaften. Im Weiteren begründet sie die Beschränkung der Untersuchung auf den europäischen Raum (15) und problematisiert den Begriff des Alters, indem sie auf die Geschlechtsspezifik, den Bezug zur physischen Verfassung des Menschen und die Semantik hohen Alters eingeht. Schließlich formuliert sie die optimistische Leitthese des Buches: "Many more people live, and are fit, to later ages and they pursue a greater variety of lifestyles. The story of old age is much more hopeful one than, all too often, we are led to believe" (28). Diese These wird im Folgenden in sechs chronologisch geordneten Aufsätzen mit Leben gefüllt.
Im ersten Beitrag widmet sich Tim Parkin dem hohen Alter in der griechisch-römischen Antike von Homer bis zu Isidor von Sevilla (31-69). Ausgehend von verschiedenen Quellenzeugnissen und unter Einbezug der demografischen Bedingungen geht er auf die Stellung der Alten in Politik und Religion, die Darstellung der Alten in der Kunst und schließlich die Beschäftigung mit dem Alter in den medizinischen Schriften der Antike ein. Gleich bei dem ersten Beitrag zeigt sich auch schon ein grundsätzliches Problem des vorliegenden Bandes: Der geringe Umfang des Textes lässt bei über 1000 Jahren Geschichte, die zu bewältigen sind, Differenzierungen kaum zu. Zwar verweist Parkin auf die Unterschiede in der Bewertung hohen Alters in den einzelnen Gesellschaften; zwischen ihnen - d. h. vor allem zwischen Athen und Rom - sieht er aber keine signifikanten Unterschiede, was bei den zum Teil sehr unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen gerade im Bereich familialer Ordnung und politischer Organisation erstaunt und neueren Forschungsergebnissen zum Vergleich der Stellung alter Menschen in Athen und Rom widerspricht. [2]
Diese durch die Konzeption des Bandes bedingte geringe Differenziertheit der Ausführungen setzt sich auch in den weiteren Beiträgen fort: Zunächst geht Shulamith Shahar auf die Alten in Mittelalter und Renaissance ein (71-111), dann beschäftigen sich Lynn A. Bothelo mit dem 17. Jahrhundert (113-173), David A. Troyansky mit dem 18. Jahrhundert (175-209), Thomas R. Cole und Claudia Edwards mit dem 19. Jahrhundert (211-261) und schließlich die Herausgeberin selbst mit dem 20. Jahrhundert (263-300). Dazu tritt, dass die einzelnen Beiträge nicht einheitlich aufgebaut sind. Zwar tauchen Phänomene wie die demografische oder wirtschaftliche Entwicklung regelmäßig auf, aber die Gewichtung der einzelnen Faktoren und das Erkenntnisinteresse der Autoren ist so unterschiedlich ausgeprägt, dass es für den Leser nicht leicht ist, Entwicklungslinien und über die in den Beiträgen behandelte Zeitspanne hinausreichende Prozesse zu erkennen. Allerdings sind - sieht man von diesen durch die Konzeption des Bandes bedingten strukturellen Schwächen ab - die Beiträge sehr informativ und bieten eine gute Einführung in das Thema des hohen Alters in den jeweils behandelten Epochen. Positiv hervorzuheben ist schließlich auch die Aufmachung des Bandes: Insgesamt 108 Farb- und 123 Schwarz-Weiß-Abbildungen in hervorragender Qualität, die allesamt ausführlich erläutert werden, illustrieren die Ausführungen.
Kritik an einem solchen Werk zu üben, fällt nicht leicht: Dass bei 320 reich bebilderten Seiten eine Zeitspanne von annähernd 3000 Jahren, von Homer bis ins 20. Jahrhundert hinein, nicht sonderlich differenziert dargestellt werden kann - und bei einem Blick auf die avisierte Käuferschicht wohl auch gar nicht sollte -, ist klar. Ebenso wenig findet man hier irgendetwas Neues. Die Thesen der einzelnen Beiträge entsprechen dem, was, auch durch die Autoren des vorliegenden Bandes, bereits in den letzten Jahren vertreten worden ist. Problematischer erscheint, dass der Aufbau der einzelnen Beiträge die Vergleichbarkeit der Ergebnisse und die Erkennbarkeit der Entwicklungslinien nicht gerade befördert. So bleibt nach 300 Seiten Lektüre gleich in zweifacher Hinsicht ein buntes Bild des Alters in der Geschichte übrig.
Anmerkungen:
[1] P. Thane: Das Alter. Eine Kulturgeschichte, Darmstadt 2005.
[2] Vgl. etwa A. Gutsfeld / W. Schmitz (Hg.): Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike, Köln / Weimar 2003; vgl. zur Differenz zwischen Griechenland und Rom bereits G. Minois: History of Old Age: From Antiquity to the Renaissance, Chicago 1989.
Jan Timmer