Rezension über:

Peter Bruns / Georg Gresser (Hgg.): Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054-1204, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, 271 S., ISBN 978-3-506-72891-3, EUR 29,90
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Rezension von:
Nikolas Jaspert
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Nikolas Jaspert: Rezension von: Peter Bruns / Georg Gresser (Hgg.): Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054-1204, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/7828.html


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Peter Bruns / Georg Gresser (Hgg.): Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054-1204

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Wie nicht anders zu erwarten, wurde der 800. Jahrestag der Plünderung Konstantinopels durch lateinische Kreuzfahrer im Jahre 1204 zum Anlass genommen, dieses Ereignis auf Symposien und Tagungen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Akten einiger dieser Veranstaltungen liegen nun im Druck vor, unter ihnen sei besonders auf den von Angeliki Laiou herausgegebenen Band "Urbs capta. The fourth Crusade and its Consequences - La IVe Croisade et ses consequences" hingewiesen. [1]

Der hier zu besprechende Sammelband geht in seinem Anspruch jedoch noch weiter: er bezieht mit der als Schisma bezeichneten gegenseitigen Bannung griechisch-orthodoxer und lateinischer Würdenträger im Jahre 1054 ein weiteres, herausragendes Datum ein und schafft damit eine zeitliche Klammer, innerhalb derer sich die meisten Beiträge bewegen. Dieser Rahmen ist sachlich durchaus gerechtfertigt, kann man doch die Ereignisse von 1204 als eine langfristige Folge des 150 Jahre zuvor ausgetragenen Konflikts bewerten. Dieser Spannungsbogen gibt dem Band Profil und trägt dadurch zu seiner Attraktivität bei. Leider heben die Herausgeber diese Profilbildung dadurch zum Teil wieder auf, dass Sie die Beiträge weder sachlich noch chronologisch anordnen, sondern alphabetisch nach den Nachnamen der Verfasser auflisten. Hier ist eine Chance verschenkt worden, zumal auch das Vorwort keine systematisierende Funktion hat. Das Fehlen eines Registers verstärkt den Eindruck eines insgesamt etwas lieblos betreuten Bandes. Dieser vereinigt Beiträge vor allem jüngerer Wissenschaftler, die unterschiedlich nah am neuesten Forschungsstand sind. Einige von ihnen bieten eine praktische Zusammenfassung ihrer einschlägigen Monografien (so etwa Georgij Avvakumov und Axel Bayer), während andere im Wesentlichen den Forschungsstand zu ihrem jeweiligen Thema zusammentragen. Die Beiträge sind also in der Regel synthetisierend und weniger auf die Formulierung eigener Thesen ausgerichtet.

Als Beitrag dazu, "rituelle Dimensionen in der 1000-jährigen Geschichte des Spannungsverhältnisses zwischen der Ost- und Westkirche aufzudecken" (26), kann man den Aufsatz von Georgij Avvakumov über den sogenannten Azymenstreit werten (10-26). Mit Recht betont er das Gewicht ritueller Streitfragen, die für das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen christlichen Glaubensgemeinschaften oft von größerer Bedeutung waren als dogmatische oder kirchenpolitische Diskrepanzen, wie zuletzt Johannes Pahlitzsch eindrücklich gezeigt hat. Im Wesentlichen werden die Argumente für die Benutzung gesäuerten Brotes bei der Zelebration der Eucharistie und damit der byzantinische Standpunkt vorgestellt. Die lateinische oder armenische Perspektive kommt als Gegenfolie zu Wort.

Axel Bayer gibt einen knappen Überblick der Ereignisse von 1053/1054 und relativiert noch einmal deren Bedeutung (27-39). Zwar hält er fest: "in jedem Fall lag seit 1054 eine schwere Verstimmung zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel vor" (35), doch sei "erst der Erste Kreuzzug für die entscheidende Verschärfung der Spannungen zwischen den Kirchen verantwortlich zu machen" (36). Damit bezieht er in der Kontroverse, ob 1054 ein Streit zwischen den Kirchen intendiert war oder sich der Konflikt nur auf die beteiligten Personen beschränkte, eine Mittelstellung ein.

Peter Bruns richtet mit seiner Darstellung der Kreuzzüge in syrisch-christlichen Quellen die Aufmerksamkeit auf ein zu wenig beachtetes Quellencorpus (41-65). Er kann sich dabei auf neuere Forschungen, besonders auf die exzellente Studie über den syrischen Patriarchen Michael von Dorothea Weltecke, stützen. Über manche Meinungen wird man streiten können, etwa wenn behauptet wird, die muslimische Unterdrückung der christlichen Wallfahrer sei "ja der eigentliche Anlass für die Kreuzzugsbewegung" gewesen (50); es überrascht auch, wenn der bei Barhebraeus als Anführer der Kreuzfahrer von 1202-1204 genannte "Marquis" nicht als Markgraf Bonifaz von Montferrat identifiziert werden kann (64). Doch schärft der Beitrag den Blick für die unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse seitens der Christen.

Ansgar Frenken ist mit seinem Aufsatz über den Nachhall des Schismas von 1054 und der Eroberung Konstantinopels 1204 auf den allgemeinen Konzilien des Spätmittelalters zeitlich am weitesten von den im Zentrum stehenden Geschehnissen entfernt (67-104). Er bietet nicht nur einen chronologischen Abriss der Versuche, zwischen dem Vierten Lateranum und dem Konzil von Basel-Ferrara-Florenz die Kirchenspaltung zu überwinden, sondern geht das Problem auch systematisch an, indem er nach den Initiatoren der Gespräche, den jeweiligen Gründen für das Scheitern, dem Verständnis der Konzilien und den wichtigsten theologischen Kontroversen fragt. Unter den Streitpunkten, zu denen neben dem Filioque auch die Azymenfrage und die Existenz des Fegefeuers gehörten, kam dem Primat des Papstes herausragende Bedeutung zu. Peter Gemeinhardt zeigt in seinem Beitrag über den Filioque-Streit (105-132), dass die Vorstellung, der Heilige Geist gehe sowohl vom Vater als auch vom Sohne aus, im lateinischen Westen schon lange vor 1054 ein elementarer Bestandteil der textlich weiterentwickelten Beschlüsse des Nizäno-Konstantinopolitanums von 381 war. Diese "filoquistische Trinitätslehre" richtete sich im frühen Mittelalter nicht gegen die Griechen, sondern vor allem gegen den Adoptianismus. Weniger die Ereignisse von 1054, sondern ihre theologische Aufarbeitung durch Anselm von Canterbury und Theophylakt von Achrida / Ochrid um 1100 machten deutlich, dass man die Zugehörigkeit des anderen zur einen, gemeinsamen Kirche prinzipiell infrage stellte.

Georg Gresser trägt die Teilnehmer und Themen der Synoden von Piacenza (1095) und Clermont (1096) zusammen und konstatiert eine Entwicklung des Kreuzzugsgedankens bei Papst Urban II. zwischen diesen beiden Daten (133-154). Im Wesentlichen auf die Ergebnisse Robert Somervilles und Herbert Conwdreys gestützt, erinnert Gresser daran, dass die Versammlung von Clermont nicht als "Kreuzzugskonzil" gewertet werden sollte, da andere Themen wie etwa der Gottesfriede eine größere Rolle spielten.

Axel Havemann beschreibt die Haltung der Muslime zum heiligen Kampf (155-177), auf den er den Begriff des Dschihad reduziert (158). Dazu beschreibt er die Reaktionen der Muslime auf die christliche Expansion, wobei das auffällige, weitgehende Fehlen zeitgenössischer Stimmen nicht problematisiert wird. Nur ad-Din, Saladin und Baibars werden als Exponenten der Idee des Dschihad vorgestellt, allerdings wird nicht deutlich, dass zumindest die beiden letztgenannten als Usurpatoren bzw. Parvenüs unter Zugzwang standen und die Betonung ihrer Leistungen zur Rückeroberung verlorener muslimischer Gebiete auch vor diesem Hintergrund zu deuten ist.

Christian Langes Darstellung des Verhältnisses zwischen Byzantinern und Kreuzfahrern zwischen 1095 und 1204 (179-204) folgt im Wesentlichen den einschlägigen Studien Ralph Lilies. Allerdings wird die quellenkritisch wichtige Frage nach der Autorenperspektive der benutzten Quellen wenig beachtet. So kann die vermeintlich pro-byzantinische Haltung Bohemunds von Tarent, die sich erst aufgrund der Behandlung seitens der Byzantiner in Feindschaft verwandelt habe (182), mit Fug und Recht als Legitimationsstrategie für den Abfall des Lateiners interpretiert werden.

Josef Johannes Schmids Aufsatz über das sakrale Königtum in Frankreich und Byzanz ist inhaltlich am weitesten vom Generalthema entfernt (205-234). Der Verfasser sieht in Chlodwig den ersten "französischen" König und konstruiert eine enge byzantinisch-französische Tradition, welche die Karolinger je nach Bedarf mal einschließt, mal übergeht und die Kaiserproblematik weitgehend außer Acht lässt. Vielleicht ist diese Hochschätzung des französischen Königtums dafür verantwortlich, dass Ludwig IX. als "Saint Louis IX" tituliert (230 u. ö.) und Athanasios von Alexandria in französischer Übersetzung zitiert wird (216). Dennoch weist der Beitrag auf einen in der Tat zu selten beachteten Fall des Kulturtransfers hin.

Der Reiz des Beitrags von Peter Vrankić über die Eroberung von Zadar besteht gerade darin, dass er den nachfolgenden Angriff auf Konstantinopel nicht behandelt, sondern sich ganz auf das sonst eher im Schatten dieses Großereignisses stehende Unternehmen von 1202 konzentriert (235-271). Detailliert arbeitet er die Haltung Papst Innozenz' III. heraus, dem die Expedition in der Tat aus den Händen glitt (246); dass die Erfahrungen der vorangegangenen Kreuzzüge dem Papst gezeigt habe, "dass die Anwesenheit der Könige oder sogar des Kaisers auf den Kreuzzügen nicht unbedingt wünschenswert sei" (239), kann man allerdings gerade mit Blick auf die Bemühungen um eine Teilnahme Richards I. von England nicht behaupten.

So ist am Ende der Eindruck gespalten. Trotz mancher Schwächen im Detail kann man den Band gerade wegen der konsequenten Berücksichtigung islamischer und vor allem byzantinischer Perspektiven sowie wegen der inhaltlichen Verklammerung des Schismas mit den Kreuzzügen mit Gewinn lesen. Vor allem aber wird die noch immer zu hoch eingeschätzte Bedeutung der Ereignisse von 1054 relativiert. Ironischerweise widerlegen die Beiträge damit die im Klappentext und Vorwort herausgehobene Behauptung der Herausgeber, im sogenannten "Schisma von 1054 kulminierte die Entfremdung zwischen Ost und West, zwischen römischer und byzantinischer Christenheit".


Anmerkung:

[1] Angeliki Laiou (Hg.): Urbs capta. The fourth Crusade and its Consequences - La IVe Croisade et ses consequences, Paris 2005.

Nikolas Jaspert