Rezension über:

Didier Boisson / Hugues Daussy: Les protestants dans la France moderne, Paris: Éditions Belin 2006, 351 S., ISBN 978-2-7011-3334-8, EUR 22,00
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Rezension von:
Eckart Birnstiel
Université de Toulouse II - Le Mirail
Redaktionelle Betreuung:
Susanne Lachenicht
Empfohlene Zitierweise:
Eckart Birnstiel: Rezension von: Didier Boisson / Hugues Daussy: Les protestants dans la France moderne, Paris: Éditions Belin 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12417.html


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Didier Boisson / Hugues Daussy: Les protestants dans la France moderne

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Zur Geschichte der Protestanten im französischen Ancien Régime liegen etliche jüngere Einzeldarstellungen vor, die solide Information mit übersichtlicher Präsentation und angenehmer Lesbarkeit verbinden. [1] Der Internetbenutzer kann sich außerdem durch das 2003 eröffnete und seitdem ständig erweiterte Online-Museum des französischen Protestantismus klicken [2], das einen enzyklopädischen Einstieg in den Themenkreis vermittelt. [3] Das von den an der Université du Maine (Le Mans) lehrenden Maîtres de Conférences Didier Boisson und Hugues Daussy vorgelegte Buch bietet also nichts neues.

Dieses Buch wurde für "Studenten und ein größeres Publikum" (3) geschrieben [4] und will den "jüngsten Entwicklungen der historischen Forschung" (3) Rechnung tragen. In den ersten fünf Kapiteln behandelt Hugues Daussy die Entstehungsgeschichte der Reformation in Frankreich (Ende des 15. Jahrhunderts bis 1535), die Verbreitung des Kalvinismus in Frankreich (1535 bis 1562), die Herausbildung der konfessionellen Identität der französischen Reformierten (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts), deren Kampf um rechtliche Anerkennung im Verlauf der Religionskriege (1560 bis 1598) und schließlich die Einstellung der Protestanten zur französischen Monarchie (1598 bis 1661).

Danach übernimmt Didier Boisson die Redaktion und eröffnet den zweiten Abschnitt mit einem summarischen Überblick über die Lage der Protestanten während der Geltungsdauer des Edikts von Nantes. Es folgen Kapitel über Ludwig XIV. und die Protestanten (1661 bis 1685) sowie über die nach der Revokation erfolgende Sammlungsbewegung der französischen Protestanten im Untergrund und die klandestine Wiederbelebung ihrer Kirchen in der "Wüste" (1715 bis 1789). Die Darstellung mündet in ein soziokulturelles Porträt des französischen Protestantismus im 18. Jahrhundert und läuft in einem - irreführend als "Conclusion" überschriebenen - knappen Aperçu über die Protestanten während der Revolution aus. Zwei chronologische Tabellen über die Nationalsynoden der reformierten Kirchen Frankreichs und die politischen Versammlungen der Protestanten sowie eine weiterführende Bibliographie und ein Personen- und Ortsregister schließen das Buch ab.

Die Präsentation folgt dem aktuellen, wohl am Bildschirm entstandenen Zeitgeschmack. Der Text wird durch zahlreiche farblich unterlegte "Fenster" mit illustrativen Quellenauszügen, Graphiken, Tabellen und Karten aufgelockert und durch einige Begriffserklärungen und biographische Kurzskizzen der wichtigsten vorgestellten Personen ergänzt. So ergibt sich eine leserfreundliche Aufmachung, die auch zum neugierigen Durchblättern einlädt.

Die beiden Autoren streben eine vorurteilslose, ausgeglichene Darstellung an und setzen es sich zum Ziel, "die protestantische Reformation in ihrer französischen Ausprägung" (4) zu untersuchen. Dabei verfallen sie allerdings zuweilen in eine stark eingeschränkte, frankozentristische Sehweise. So wird zum Beispiel in der Abhandlung der "Bartholomäusnacht" (127-129) der internationale Kontext - der militärische Beistandspakt des Admirals Coligny mit den aufständischen Niederländern und die daraus für Frankreich entstehende drohende Gefahr eines neuerlichen Krieges gegen Spanien - fast völlig ausgeblendet. Auch ist es bedauerlich, dass das durch das Edikt von Nantes in Frankreich angestrebte friedliche Zusammenleben von Katholiken und Protestanten noch immer als eine im zeitgenössischen Europa "einzigartige Sache" (144) apostrophiert wird, und dass die politischen Außenkontakte von Condé (Spanien) und Mazarin (England) während der Fronde (171-172) völlig übergangen werden, obwohl hier ein Schlüssel zum Verständnis der gerade in diesen Jahren bewiesenen Königstreue der Protestanten liegt. Hier hätte ein Blick über die Grenzen der Darstellung sicherlich gut getan.

Dagegen befindet sich Hugues Daussy durchaus auf der sicheren Seite, wenn er die Anwendung des von deutschen Historikern entwickelten Konfessionalisierungsmodells auf die französische Reformationsgeschichte ablehnt: "Dieses Erklärungsmodell der im Europa der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wirkenden Prozesse lässt sich sehr gut auf den germanischen Raum anwenden, wo die protestantische Reformation zu einer Staatsangelegenheit wurde, da dort die Fürsten und die Magistrate der Freien Reichsstädte die Angelegenheiten in die Hand nahmen. Es kann jedoch nicht auf die Situation in Frankreich übertragen werden, wo die königliche Zentralgewalt der [...] reformierten Bewegung stets feindlich gegenüber stand" (83-84).

Einige interessante Fragen der Historiographie des französischen Protestantismus bleiben in diesem Buch offen: Wie kam es zur Herausbildung des "protestantischen Halbmondes" im Süden Frankreichs, und wieso standen ausgerechnet die - protestantischen Einflüssen geographisch sehr viel stärker ausgesetzten - Nordprovinzen in Treue fest zur katholischen Monarchie? Welchen Einfluss hatte der Regensburger Stillstand von 1684 auf die Religionspolitik Ludwigs XIV., die im Folgejahr zum Widerruf des Edikts von Nantes führte? Welche Rolle spielten die "kleinen Propheten" der Cevennen im Vorfeld des Kamisardenaufstandes, und weshalb wurden ihre Umtriebe in weiten Kreisen des hugenottischen Refuge verdammt? Schließlich: Wie lässt sich ein - zwangskonvertierter und offiziell als Katholik geltender - Protestant im Frankreich des 18. Jahrhunderts eigentlich definieren? Lediglich durch seine intime Glaubenshaltung? Durch ein von der katholischen Mehrheit abweichendes Sozialverhalten? Durch ein anderes Geschichtsbild? Diese Frage wird zwar nachdrücklich gestellt, (287) im Folgenden jedoch nicht wieder aufgenommen.

Doch nicht nur in dieser Beziehung erweist sich das vorliegende Buch als wenig befriedigend. Es ist vor allem der deduktive Stil der Darstellung, der auf die Dauer befremdet. Hierzu ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel: "Die Pastorenschaft, von der die Restauration der Kirchen in der Wüste entscheidend abhing, machte im 18. Jahrhundert eine tiefgreifende Wandlung durch" (278) - eine Eingangsthese, die sodann durch eine Vielzahl von Einzelbeobachtungen illustriert wird, was vor allem in den von Didier Boisson verfassten Kapiteln "Faktenhuberei" nach sich zieht. Die Autoren hätten den Studenten, an die sich ihr Buch ja in erster Linie wendet, lieber vorexerzieren sollen, wie man als Historiker von der Einzelfallanalyse zu einer allgemeinen Aussage gelangt.

Hätten sie dies getan und vieles andere gelassen, würde ich ihr Buch meinen Studenten empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Etwa: Didier Poton / Patrick Cabanel: Les protestants français du XVIe au XXe siècle, Paris 1994; Marianne Carbonnier-Burkard: Patrick Cabanel: Une histoire des protestants en France, XVIe-XXe siècle, Paris 1998. Die politische Geschichte der französischen Reformation und der Religionskriege ist sehr übersichtlich abgehandelt in: Janine Garrisson: Royauté, Renaissance et Réforme, 1483-1559, Paris 1991 (Points Histoire, 207 / Nouvelle histoire de la France moderne, 1); Janine Garrisson: Guerre civile et compromis, 1559-1598, Paris 1991 (Points Histoire, 208 / Nouvelle histoire de la France moderne, 2).

[2] http://www.museeprotestant.org (mit deutscher und englischer übersetzung).

[3] Auch liegen zwei umfassende Nachschlagewerke vor: Pierre Gisel (ed.): Encyclopédie du protestantisme, Paris / Genève 1995; Arlette Jouanna / Jacqueline Boucher / Dominique Biloghi / Guy Le Thiec: Histoire et dictionnaire des guerres de Religion, Paris 1998.

[4] Alle Zitate wurden vom Rezensenten übersetzt.

Eckart Birnstiel