Wolf-Heinrich Kulke: Zisterzienserinnenarchitektur des 13. Jahrhunderts in Südfrankreich. Die Frauenklöster Saint-Pons und Vignogoul zwischen Ordenstradition und Stifterrepräsentation (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 122), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, 399 S., 145 Abb., ISBN 978-3-422-06502-4, EUR 61,50
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Die Arbeit behandelt einen zu Unrecht bislang weitgehend unbekannten Aspekt der Architekturgeschichte des 13. Jahrhunderts bzw. zwei allenfalls am Rande behandelte Bauten des weiblichen Zweiges des Zisterzienserordens: Zum einen geht es darum, die Gründung von Zisterzienserinnenkonventen in Südfrankreich vor dem Hintergrund der Bekämpfung der katharischen Häresie im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert als Teilphänomen der so genannten Albigenserkriege zu verfolgen. Zum anderen zielt Kulke darauf, anhand der beiden Klöster Saint-Pons und Le Vignogoul zu zeigen, dass die architektonische Gestalt nicht etwa über die Filiation des jeweiligen Konvents bzw. eine einheitliche "Stilentwicklung" zu erklären ist, sondern eng mit der stiftenden Institution sowie regionalen Bauoptionen zusammenhängt. Um es verkürzt wiederzugeben: Die Gründung von Konventen als dynastische Grablegen konditioniert ein aufwändiges, überregionales und innovatives Idiom, um damit repräsentative Aspekte wirksam werden zu lassen. In vielen anderen Fällen, namentlich bei bürgerlichen Stiftungen bzw. bei solchen, in denen nachzuweisen ist, dass "zisterziensische" Einfachheit als religiöses Reformprogramm vermittelt werden sollte, werden hingegen anachronistisch wirkende, "konservative" Elemente angewandt.
Dies zu eruieren war keine leichte Aufgabe, denn zum einen sind fast alle Zisterzienserinnenkirchen in Frankreich zerstört bzw. hoffnungslos ruiniert, zum anderen hat sich die bisherige Forschung mit den wenigen erhaltenen Bauten höchstens einseitig beschäftigt. Und schließlich handelt es sich bei den Zisterzienserinnenkonventen in Südfrankreich um ein klares Übergangsphänomen - ein Aspekt, den Kulke auch einsichtig für die Bauchronologien der von ihm behandelten Bauten heranzieht: Im Zuge der antihäretischen Politik, der zunehmenden Urbanisierung und der externen Gefährdungen auf dem Land vor allem im 14. Jahrhundert (Sarazenen, Hundertjähriger Krieg) wird statt den Zisterziensern bald den Dominikanern die Rolle zufallen, innerhalb der Städte die Orthodoxie zu propagieren und attraktive bürgerliche Stiftungsziele zu bilden.
Kulke veranschaulicht dies anhand zweier klug ausgewählter - weil inhaltlich konstrastierender - Bauten: den Konventskirchen von Saint-Pons bei Aubagne (östlich von Marseille) und von Vignogoul (westlich von Montpellier). Bei ersterer handelt es sich um eine vom Marseilleser Kathedralstift und dem Abt des Zisterzienserklosters Le Thoronet, Foulque de Marseille, 1205 gegründete Institution. Dank Grabungen der Siebziger Jahre kann ermittelt werden, dass die Kirche ursprünglich als ziemlich große dreischiffige Halle mit zisterziensischem Staffelchor geplant war, aber schon vor 1223 auf eine Saalkirche reduziert wurde, zu der das projektierte Südseitenschiff umgebaut wurde. Kulkes minuziöse monografische Erörterung einschließlich präziser stilistischer Einordnung fügt den drei berühmten provenzalischen Zisterzienserkirchen Sénanque, Le Thoronet und Silvacane nun eine vierte "Schwester" von ursprünglich nicht geringerem Ansehen hinzu. Die zweite der behandelten Kirchen, diejenige des Konventes in Vignogoul, ist besser bekannt, gilt sie doch aufgrund ihres innovativen, der burgundischen Hochgotik verpflichteten Formenvokabulars im Inneren als einer der frühen gotischen Bauten in Südfrankreich. Auch in diesem Fall fördert Kulkes Analyse zahlreiche neue Aspekte zutage: die Stiftung verdankt sich wohl dem lokalen Grundherren, der Familie von Pignan. Der in den Vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstandene einschiffige Bau mit Pseudoquerhaus geht in seiner Grunddisposition sicher auf lokale Vorbilder, insbesondere die romanische Kathedrale von Maguelone zurück, enthält aber liturgische Besonderheiten, die Kulke soweit als möglich behutsam rekonstruiert: Insbesondere ist hier die anzunehmende Stiftergrablege im Chor zu nennen, ein Lettner im östlichen Langhausabschluss sowie eine offenbar nachträglich eingefügte Nonnenempore im westlichen Langhaus - ein Unikum für die französischen Zisterzienserinnenkirchen. Das eigenartige Triforium über den Seitenapsiden deutet Kulke - faute de mieux - als Oratorium.
Überraschend, aber einsichtig sind für beide Kirchen mannigfaltige gestalterische Verbindungen zu Katalonien. Damit wird nicht nur das nachgerade topische Gefälle zwischen Nord- und Südfrankreich aufgebrochen, sondern auch historisch argumentiert. Denn beide Konvente standen dynastisch und politisch in einem engen Verhältnis zu Aragon. Im Gegensatz zu einer vereinfachenden politischen Architekturikonographie bezieht Kulke dies eng auf die Netzwerke der Stifter: Es sind deren konkrete Ressourcen in Sachen Baumeister und Bauoptionen, die in den Architekturen wirksam werden, nicht gleichsam international verfügbare Architekturcodes. So sind etwa bestimmte Ähnlichkeiten zwischen den Kathedralen von Sisteron und der Klosterkirche Saint-Pons damit zu parallelisieren, dass beide von Angehörigen derselben Dynastie (mit)initiiert wurden. Besonders wichtig ist aber die Klammer, die sich über die Biografie Foulque de Marseilles zwischen der Zisterzienser- und der frühen Dominikanerarchitektur spannen lässt. Der berühmte Troubadour, Abt von Le Thoronet und schließlich Bischof von Toulouse ist eine der Schlüsselfiguren in der Bekämpfung der Häresie. Seine Förderung einer strengen Zisterzienser(innen)architektur und der frühen Dominikaner(innen) in Prouille und Toulouse integrieren die extrem asketischen Ideale der katharischen Bewegung und orientieren sie auf die Bahnen der Orthodoxie.
Dass innerhalb der häretischen Bewegung gerade auch Frauen eine bedeutende Rolle spielten, erkläre die ehemalige Bedeutsamkeit der Frauenkonvente in Südfrankreich. Insofern lassen sich zwischen der frühen Dominikanerarchitektur und der "konservativen" Zisterzienserarchitektur manche Gemeinsamkeiten erkennen. An diesem Punkt scheinen Nachfragen möglich: Kulkes Text, 2001 als Tübinger Dissertation abgeschlossen, nimmt die neueste Forschung zur Katharerbewegung [1] nicht auf. Hier wird indes deutlich, dass die häretischen Strömungen eine vielfach unbewusst gelebte, in verschiedener Abstufung zu beobachtende Frömmigkeitspraxis waren, welche im Zuge der Albigenserkreuzzüge als Ketzerbewegung instrumentalisiert wurde. Zur Bekämpfung der Häresie spielten die Zisterzienser im Frühstadium fraglos eine wichtige Rolle - ob diese mit den weiblichen Zisterzen bewusst gerade auf das Ketzertum unter Frauen reagierten, könnte aber vielleicht noch eingehender erforscht werden. - Aufgrund der langen Verzögerung zwischen Textabfassung und Publikation sind auch relevante Beiträge zur Architekturgeschichte, so das große Handbuch zur Zisterzienserarchitektur von Matthias Untermann, die Ergebnisse des Congrès archéologique des Toulousain (1996, erschienen 2002), die Forschungen zum Langhaus der Kathedrale von Toulouse von Quitterie Cazes sowie die umfassende Monografie zur Kathedrale von Lodève von Andreas Curtius nicht diskutiert. Die Bebilderung ist zufriedenstellend, aber eher sparsam; vor allem hätte der wichtige Neufund eines genauen Grundrisses der Kirche von Vignogoul aus dem Jahre 1908 nicht nur in einer Detailabbildung vorgestellt werden sollen.
Doch das schmälert nicht das Verdienst des Autors, endlich die eigenartige "Lücke" im südfranzösischen Baugeschehen während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zumindest ansatzweise ebenso umsichtig wie sorgfältig erklärt zu haben. Erst nach der Übergangszeit der behandelten Reformkonzepte wurden mit den Neubauten der großen Kathedralen und Mendikantenkirchen Monumente geschaffen, neben denen die ehemals so ehrgeizigen Zisterzienserinnenkonvente dem Vergessen anheim fielen.
Anmerkung:
[1] Siehe vor allem auch Jörg Oberste: Der Kreuzzug gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter, Darmstadt 2003.
Christian Freigang