Sven Externbrink: Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie im Siebenjährigen Krieg, Berlin: Akademie Verlag 2006, 418 S., ISBN 978-3-05-004222-0, EUR 69,80
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Sven Externbrink (Hg.): Der Siebenjährige Krieg (1756-1763). Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, Berlin: Akademie Verlag 2011
Die Etablierung der Pentarchie im europäischen Mächtesystem seit den 1740er Jahren ging einher mit einschneidenden strukturellen Veränderungen der politisch-diplomatischen Landkarte Europas. Das "Renversement des alliances" (1756), auch "diplomatische Revolution" genannt, ist ein solches wirkungsmächtiges Ereignis. Der sich verschärfende preußisch-österreichische Dualismus konfrontierte das Machtgefüge des Alten Reiches wie auch Europas mit einer neuen dynamischen Komponente. Besonders Frankreich als traditionelle "Schutzmacht" der föderativ geprägten Reichsverfassung musste sich neu an den innerdeutschen Kräfteverhältnissen ausrichten, wollte es die Reichsverfassung, die auf der auch französischerseits garantierten Westfälischen Friedensordnung gründete, nicht grundsätzlich gefährdet sehen.
Die vorliegende Studie, 2003 als Habilitationsschrift an der Historischen Fakultät der Universität Marburg angenommen, beschäftigt sich mit der französischen Reichspolitik im Siebenjährigen Krieg, genauer mit den diplomatischen Verbindungen Frankreichs zu den beiden Großmächten Preußen und Österreich, der Wahrnehmung des Reiches auf der Grundlage des gut ausgebauten französischen Gesandtschaftsnetzes und der umwälzenden Bedeutung, die dem "Renversement des alliances" und dem anschließenden Krieg für die Geschichte des europäischen Staatensystems im 18. Jahrhundert zukommt.
Nach grundlegenden Arbeiten zur außenpolitischen Ausrichtung eines führenden Staatsmannes wie Kaunitz (L. Schilling) und zu Fragen nach einem Wandel des Geschichtsdenkens in der Aufklärung als Voraussetzung des "Renversement" (J. Burkhardt) liegt nun ein Buch vor, das sich einer in der Forschungslandschaft überfälligen Betrachtung der für diplomatisch-politische Verantwortungsträger handlungsleitenden Vorstellungen, Wahrnehmungsmuster und Feindbilder widmet und eine sehr weitgehend auf den Primärquellen aufbauende Behandlung des Themas darstellt. Dabei geht es vor allem um die Korrespondenz zwischen dem Versailler Außenministerium und den im römisch-deutschen Reich residierenden Diplomaten sowie um das Schrifttum verschiedener außenpolitischer Berater Ludwigs XV. Der Verfasser hat seiner Arbeit das umfangreiche Material der Archives du Ministère des Affaires Étrangères in Paris zugrunde gelegt. Der Zugriff auf die Quellen ist von einer Fragestellung geprägt, die sich die Untersuchung der eigentlichen, inneren Voraussetzungen außenpolitischer Entscheidungsprozesse zum Ziel setzt. Anders als eine ergebnisorientierte Beurteilung politischer Vorgänge stehen hier Perzeption, Information und Lagebeurteilung als stets vorausgehende, handlungssteuernde Faktoren zur Diskussion. Externbrink veranschaulicht, dass gerade eine Umbruchs- und Krisensituation, wie sie das "Renversement" voraussetzt, zur Auseinandersetzung mit überlieferten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern und zur Konstruktion neuer außenpolitischer Optionen zwingt.
Der Aufbau der Studie unterzieht sich zunächst einer Betrachtung der institutionellen Strukturen französischer Außenpolitik in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das erste Hauptkapitel bietet eine ausführliche Einführung in die französische Diplomatie, das Außenministerium, seinen Aufbau und seine Spezialisten, das Erkenntnisinteresse der Diplomaten und die Voraussetzungen und Formen ihrer Informationsbeschaffung. Bei der bis zum Tod Fleurys als qualitativ hoch zu bewertenden Komplexität und Leistungsfähigkeit des französischen Gesandtschaftswesens fällt jedoch auf, dass im 18. Jahrhundert offenbar zunehmend nichtfachliche Kriterien, wie besonders die Nutznießung von Hofkontakten, allein zur Auswahl von dann häufig eher schlecht geschultem Personal führte.
Daran schließt sich ein ausgreifender Überblick über die Wahrnehmung des Alten Reiches durch die französische Diplomatie an. Auf Grundlage der umfangreichen Quellenauswertung bietet der Verfasser schwerpunktmäßig einen Blick auf die Reichsverfassung und den Dualismus von Kaiser und Reich, den Stellenwert des Westfälischen Friedens und die reichsinternen mit dem Siebenjährigen Krieg verbundenen Verfassungsprobleme. Wichtig der Hinweis, dass hier zunächst nicht der Wille zu einer grundlegenden Neuordnung Deutschlands zu erkennen ist. Das Leitmotiv französischer Reichspolitik war nach wie vor die Konservierung eines innerreichischen, Machtmonopole verhindernden Gleichgewichts als der mitteleuropäische Schlüssel der französischen Sicherheit. Die Eroberung Schlesiens wurde als Gefährdung dieses traditionellen Sicherheitssystems wahrgenommen, wobei gerade die preußisch-englische Kooperation auch als immanente Bedrohung der Germania sacra, eines Grundpfeilers der Reichsverfassung, interpretiert wurde.
Einschneidend wurde jetzt, so der Verfasser, die französische Allianz mit Wien, brach sie doch mit der jahrhundertealten antihabsburgischen Tradition königlicher Außenpolitik, die Richelieu gemäß stets im Kaiser den Gegner und in den Reichsständen die natürlichen Verbündeten erblickte. Allerdings sollte die Wahrung der Westfälischen Friedensordnung die oberste Richtschnur der auswärtigen Politik Frankreichs bleiben. Das Bemühen, einen von der Machtbalance geprägten territorialen Status quo zu sichern, zeigte sich auch in der Frage der bayerischen Erbfolge (1778/79) und dem Bemühen Frankreichs, jetzt die österreichische Expansion zu bremsen.
Anschaulich reflektiert Externbrink die französische Wahrnehmung Preußens bzw. seines Königs in ihrer ganzen Ambivalenz. Der "Bewunderung seines Feldherrngenies" steht die Empörung über die Plünderung Sachsens durch Friedrich II. gegenüber. Sein Ruf als "Philosoph von Sanssouci" war für das Urteil der Diplomaten von untergeordneter Bedeutung, während sie insgesamt seinen Politikstil und den vom Militärischen geprägten Alltag Preußens eher kritisch beurteilten. Eine wichtige Funktion erhielt das Friedrich-Bild dagegen wiederum für die Opposition gegen Ludwig XV. "Auf Friedrich wurden all die Eigenschaften projiziert, über die der eigene Souverän nicht verfügte: Eloquenz, Charisma und vor allem militärischer und politischer Erfolg". (219)
Zwar verfügte die französische Diplomatie von jeher über ein gutes Informationsaufkommen in Österreich, allerdings stellten der Abschluss des Bündnisses zwischen Paris und Wien und die damit verbundene Wandlung des Bildes vom habsburgischen Erzfeind die Geschäftsträger Ludwigs XV. am Kaiserhof vor neue Herausforderungen. Das aus der reichen Korrespondenz Choiseuls, Praslins oder Châtelets gewonnene Bild der Habsburgermonarchie erscheint erstaunlich positiv besetzt; es zeichnet nicht nur von Maria Theresia im Unterschied zu ihrem preußischen Widersacher ein durchgehend wohlwollendes Porträt, auch die Gesamtbeurteilung der Donaumonarchie unterliegt nicht der Zuteilung von Negativattributen, wie das beim preußischen Militärstaat der Fall war. Das als erfolgreich wahrgenommene Reformwerk Kaunitz' verlieh dem französischen Österreichbild am Vorabend der Revolution vorübergehend sogar partiellen Vorbildcharakter.
Als ein zentrales Ergebnis dieser die Forschung bereichernden Arbeit ist denn auch festzuhalten, dass das historisch zuvor kaum denkbare französisch-habsburgische Bündnis an der Reichspolitik Frankreichs letztlich wenig änderte. Das föderative Gleichgewichtssystem der Reichsverfassung zu stabilisieren und zu konservieren blieb französische Maxime, nur das eben bei der Feindbildkonstruktion der französischen Diplomatie die aufsteigende Militärmacht Preußen nunmehr das bedrängte, vermeintlich schwächere Österreich ablöste. Die Allianz mit Wien lag in der Tendenz der Außenpolitik Ludwigs XV., die sich, was die Grenzen Frankreichs betraf, als saturiert gab und in Österreich angesichts der neuen großen Herausforderung - nämlich der Besitzstandswahrung gegenüber der britischen Hegemonialpolitik - keinen Gegner mehr vermutete. "Die Option eines Zusammengehens mit dem alten gegen den neuen 'Erbfeind', in der ernsthaften Diskussion wohl seit Fleury und von Blondel 1750 erstmals umfangreich skizziert, nahm Ludwig XV. 1756 schließlich wahr". (350)
Das Ancien Régime stabilisiert hat diese Kehrtwendung keineswegs. Zwar bestand seit 1763 bis zu den Revolutionskriegen ein weitgehend gefestigter Frieden in West- und Mitteleuropa. Dass die Außenpolitik des "Renversement" dem französischen Königtum jedoch letztlich nichts genützt hat, ist zum einen erkennbar an den negativen Konsequenzen des siebenjährigen Kontinentalkrieges für die Verteidigung des überseeischen Kolonialbesitzes, zum anderen am Wiederaufleben der Austrophobie, die die vehemente Ablehnung der dynastisch-politischen Verbindung mit Wien zu einem wichtigen Instrument der öffentlichen Kritik am französischen Königtum machte.
Friedrich Beiderbeck