Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Ch. Links Verlag 2007, 798 S., ISBN 978-3-86153-447-1, EUR 34,90
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Die Beziehung der Gebirgstruppe der Bundeswehr zu ihrer Vorgängerorganisation in der Wehrmacht ist mittlerweile ein Politikum. Der Protest gegen die Jahresfeier der Gebirgstruppe am Hohen Brendten bei Mittenwald ist inzwischen ebenfalls Tradition. Der Vorwurf an den "Kameradenkreis der Gebirgstruppe" lautet: Verherrlichung der deutschen Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg bei gleichzeitiger Leugnung ihrer zahllosen Kriegsverbrechen. Besonders die 1. Gebirgsdivision habe sich unzählige Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht zuschulde kommen lassen. Einzeluntersuchungen haben diesen Befund bisher bestätigt [1], doch lag eine Gesamtanalyse bislang nicht vor.
Hermann Frank Meyer hat sie nun vorgelegt unter dem reißerischen Titel "Blutiges Edelweiß". Meyer - Unternehmer im Ruhestand - ist Kennern kein Unbekannter, hatte er doch vor einigen Jahren eine fundierte Studie über das Massaker in Kalavrita und die dafür verantwortliche 117. Jägerdivision vorgelegt. [2] Auch diesmal hat er eine schier unglaubliche Zahl von deutschen, britischen, italienischen und griechischen Quellen herangezogen sowie zahlreiche Zeitzeugen befragt, wodurch sich viele Perspektiven auf die 1. Gebirgsdivision eröffnen.
Eines kann der Autor sicher beweisen: Die 1. Gebirgs-Division beging vor allem während ihres Einsatzes gegen die Partisanenbewegung auf dem Balkan 1943/44 ungezählte Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Dabei handelte es sich nicht um "Ausrutscher" oder "Verfehlungen" einzelner Soldaten. Der von der 1. Gebirgs-Division verbreitete Terror hatte oft System. Die Gebirgsjäger brannten zahllose Orte ab und töteten selbst Frauen und Kinder. Diese Verbrechen werden von Meyer akribisch beschrieben, allerdings meist nur für Griechenland. Man kann allerdings davon ausgehen, dass sich die Methoden in Jugoslawien nicht wesentlich unterschieden haben dürften.
Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor dem bekannten Großverbrechen auf der ionischen Insel Kephalonia (289-462), wo Einheiten der 1. Gebirgs-Division nach Ende der Kämpfe auf Befehl Hitlers mehrere hunderte oder gar tausende von italienischen Kriegsgefangenen ermordeten. Über die Opferzahl wurde bislang meist spekuliert; man ging von 4.000 bis 8.000 erschossenen Italienern aus. Meyer kann schlüssig beweisen, dass die Zahl mit 2.500 Getöteten deutlich tiefer liegt. Wie viele davon während der Kämpfe umgekommen sind, lässt sich laut Meyer nicht mehr rekonstruieren, doch seien die meisten dieser 2.500 Opfer nach der Gefangennahme ermordet worden (423).
Neben den Verbrechen der 1. Gebirgs-Division beschäftigt sich Meyer intensiv mit den Legenden um General Hubert Lanz, von 1941 bis 1943 deren Kommandeur und anschließend Oberbefehlshaber der Armeeabteilung Lanz an der Ostfront bzw. Kommandierender General des XXII. Gebirgs-Armeekorps in Epirus. Namhafte Widerstandsforscher wie Peter Hoffmann haben Lanz zu den Sympathisanten des militärischen Widerstands gerechnet. Zudem hielt man Lanz zugute, er habe sich einem Hitler-Haltebefehl im Februar 1943 bei Charkow widersetzt, die verbrecherischen Anweisungen auf Kephalonia im Herbst 1943 abgemildert und einen geheimen Waffenstillstand mit dem griechischen nationalen Widerstand ausgehandelt, um der Zivilbevölkerung weitere Opfer und sinnlose Zerstörungen beim deutschen Rückzug zu ersparen. [3] Meyer versucht, diese Behauptungen zu widerlegen. Dies gelingt ihm auch zu weiten Teilen, wenngleich Meyer stets "im Zweifel gegen den Angeklagten" urteilt.
Damit kommen wir zu vier Hauptkritikpunkten an diesem Buch: Erstens lässt sich ein inhaltliches Ungleichgewicht bei den geografischen Einsatzorten der 1. Gebirgs-Division feststellen. Die ersten vier Kriegsjahre von 1939 bis Sommer 1943 mit den Einsätzen in Polen, Frankreich, Jugoslawien, der Sowjetunion und erneut Jugoslawien werden auf lediglich gut 110 Seiten abgehandelt (27-40, 52-128), der dritte Jugoslawien-Einsatz von etwa einem halben Jahr sowie die letzten neun Kriegsmonate auf weiteren knapp 30 Seiten abgefertigt (555-566, 646-663). Dem stehen für insgesamt etwa sieben Monate Einsatzzeit in Nordwestgriechenland und Südalbanien 1943/44 480 Seiten gegenüber! Angesichts der Griechischkenntnisse des Autors ist diese Schwerpunktbildung verständlich. Doch was haben die Verhandlungen zwischen Deutschen und EDES oder die griechischen Sicherheitsbataillone im Winter und Frühjahr 1944 mit der 1. Gebirgs-Divsion zu tun? Dies gilt auch für die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Epirus im gleichen Zeitraum. Damals war die Division in Jugoslawien eingesetzt und angeblich nur kleinere Einheiten in Epirus zurückgeblieben (538). Die von Meyer angegebenen Beweisfotos für die Beteiligung von Soldaten der 1. Gebirgs-Division an der Judendeportation sind wenig stichhaltig (593). Es könnte sich hier um einen Soldaten der 104. Jägerdivision oder vom Stab des XXII. Gebirgs-Armeekorps handeln. Ein passenderer Buchtitel wäre somit "Deutsche Besatzung in Nordwestgriechenland" gewesen.
Zweitens irritiert die etwas vollmundige Ankündigung Meyers im Vorwort, dass es zwar "Tausende von Veröffentlichungen über den Zweiten Weltkrieg" gebe, keine aber nach seinem Wissen "derartig detailliert und akribisch den Werdegang einer einzigen Wehrmachtsdivision nachvollzieht, wie es hier der Fall" sei (12). Die Studie von Christoph Rass über die 253. Infanteriedivision [4] ist ihm offenbar nicht bekannt. Auch sonst fällt auf, dass der Autor nicht auf dem Höhepunkt der aktuellen Forschungsdiskussion steht. So fehlt etwa eine Analyse der Intention und Situation bei Kriegsverbrechen. [5] Es ist zu vermuten, dass bei der 1. Gebirgs-Division beides zusammenfiel.
Drittens hätte sich der Rezensent an mehreren Punkten eine tiefere Analyse und weniger Narratives gewünscht. So bleiben wichtige Fragen unbeantwortet: Inwieweit hatte die 1. Gebirgs-Division schon in der Sowjetunion verbrecherische Methoden der Kriegsführung entwickelt? Kam dieser Prozess erst beim Rückzug aus dem Kaukasus oder bei den ersten Einsätzen auf dem Balkan ins Rollen? Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass die Verbrechen nicht gleichmäßig auf alle Einheiten der Division verteilt waren; besonders negativ fiel das Gebirgsjäger-Regiment 98 auf und hier wiederum das III. Bataillon (Kephalonia, Kommeno, Borovë, Mousiotitsa etc.). Warum gerade diese Einheit? Auch stellt sich die Frage, inwieweit sich diese Division noch von der Waffen-SS wie der 7. Gebirgs-Division "Prinz Eugen" oder der 4. SS-Polizei-Division unterschied. Schließlich ermordeten Einheiten der 1. Gebirgs-Division teilweise auch Frauen und Kinder. Unterschiede im Grad der Brutalisierung werden zwar im Unternehmen "Steinadler" Anfang Juli 1944 in Nordgriechenland angedeutet (579ff.), doch nicht weiter analysiert. Außerdem scheint sich die Division bei den Einsätzen in Griechenland 1944 wieder gemäßigt zu haben, da nun deutlich weniger Zivilisten, vor allem aber keine Frauen und Kinder mehr getötet wurden. Auch darauf geht Meyer nicht ein. Auch verweist Meyer häufig auf Fälle von Abneigung, Befehlsverweigerung oder sogar Rettungsaktionen von einfachen Soldaten und Unteroffizieren bei verschiedenen Massakern der Division (164ff., 222ff., 360). Warum aber folgten sie immer wieder bedingungslos ihren Offizieren, die sich oft aufopfernd für ihre Männer einsetzten und priesen selbst nach dem Krieg Kameradschaft und Waffentaten der Division, wenngleich sie doch gegen diese Verbrechen offenbar moralische Bedenken hatten? Diesen inneren Widerspruch vermag Meyer nicht aufzulösen, ja er thematisiert ihn gar nicht.
Damit ist die Brücke zum vierten Kritikpunkt geschlagen. Nach dem Krieg rühmten die ehemaligen Gebirgsjäger-Offiziere auch in der neuen Bundeswehr diese Führungstugenden, verschwiegen aber die zahllosen Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg. Dies war zweifellos ein gravierendes Versäumnis. Viele von ihnen machten nach 1945 erneut Karriere wie Karl-Wilhelm Thilo, ehemals Ia der 1. Gebirgs-Division und in der Bundeswehr von 1965 bis 1967 Kommandeur der gleichnamigen Division und anschließend Kommandierender General des II. Korps. Die jungen Offiziere der Bundeswehr hingegen wussten Jahrzehnte nichts von der dunklen Vergangenheit ihrer Vorgesetzten. Deshalb nannte der ehemalige Vier-Sterne-General Klaus Reinhardt seine kriegsgedienten Vorgesetzten noch im Jahr 2000 "Vorbilder", die "der nachfolgenden Generation das Koordinatensystem ihrer Werteordnung" weitergegeben hätten (676). Auch der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach aufgrund seiner Erfahrungen als ehemaliger Wehrpflichtiger in der 1. Gebirgs-Division von einer "unangreifbaren Traditionspflege" (679). Nachdem man heute mehr über die Verbrechen der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg weiß, müssen solche Zitate befremdlich wirken. Als diese Worte fielen, war aber dieses Wissen in der Wissenschaft erst in Ansätzen und in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt. Wenn Meyer in seinem Buch Leute wie Reinhardt oder Stoiber dafür kritisiert, so ist dies ungerechtfertigte Polemik.
Insgesamt hat Meyer weniger eine ausgewogene Divisionsgeschichte über die 1. Gebirgs-Division vorgelegt, sondern sich vorrangig auf die von diesem Verband begangenen Kriegsverbrechen in Nordwestgriechenland konzentriert. Die materialreiche Studie wird gewiss als Basis für weitere Diskussionen über die 1. Gebirgs-Division und die Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg dienen. Nicht zuletzt ist es das Verdienst von Meyers bisherigen Forschungen, dass bei der Gebirgstruppe der Bundeswehr und im Kameradenkreis nach anfänglichen Hasstiraden nun weitgehend ein Umdenkprozess stattgefunden hat, selbst wenn Meyer dies ihnen nicht zugesteht.
Leider beschlich den Rezensenten bei der Lektüre des Buches bisweilen der Eindruck, Meyer gehe es mehr um Öffentlichkeitswirksamkeit als um nüchterne historische Aufarbeitung. Mit dieser Einstellung wäre er in der gesamten Wehrmachtsdebatte freilich nicht allein. Gewiss, das Buch ist eine über weite Strecken äußerst solide Arbeit, doch nach Meinung des Rezensenten ist es gegenüber Meyers vorbildlichem Buch über die 117. Jägerdivision ein Rückschritt.
Anmerkungen:
[1] Mark Mazower: Inside Hitler's Greece. The Experience of Occupation 1941-1944, New Haven u.a. 1993; Hermann Frank Meyer: Kommeno. Erzählende Rekonstruktion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland, Köln 1999; Peter Lieb: Generalleutnant Harald von Hirschfeld. Eine nationalsozialistische Karriere in der Wehrmacht, in: Menschen oder Massen? Zur biografischen Dimension des Zweiten Weltkriegs, hg. von Christian Hartmann, München 2007, 24-35.
[2] Hermann Frank Meyer: Von Wien nach Kalavrita. Die blutige Spur der 117. Jäger-Division durch Serbien und Griechenland, Mannheim und Möhnesee 2002. Zur Rezension siehe: http://www.sehepunkte.de/2005/01/5463.html
[3] Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1970; Charles B. Burdick: Hubert Lanz, General der Gebirgstruppe 1896-1982, Osnabrück 1988; Heinz A. Richter: General Lanz, Napoleon Zervas und die britischen Verbindungsoffiziere, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 45 (1/1989), 111-138.
[4] Christoph Rass: Menschenmaterial. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision, Paderborn 2003.
[5] Vgl. hierzu den Tagungsband Timm C. Richter: Krieg und Verbrechen. Situation und Intention: Fallbeispiele, München 2006.
Peter Lieb