Dirk Moldenhauer: Geschichte als Ware. Der Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) als Wegbereiter der modernen Geschichtsschreibung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 22), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XII + 694 S., ISBN 978-3-412-12706-0, EUR 79,90
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Die theoretischen und manifesten praktischen Probleme der Buchhandels- und Verlagsgeschichtsschreibung gehören aktuell zu den meistdiskutierten in der Buchwissenschaft. [1] Die Stellung und Bedeutung der Verlegerpersönlichkeit im und für ein Unternehmen, die Phaseneinteilungen der Buchhandels- und Verlagsgeschichte sowie besonders die Gewichtung der oft nur schwer zu analysierenden wirtschaftlichen Unternehmenssituation sind wiederholt kontrovers beurteilt worden. Insofern ist die vorliegende opulente Dissertation von Dirk Moldenhauer auch danach zu befragen, inwieweit sie in diesem Fragenkontext einen produktiven Beitrag leistet. Zusammen mit der Perspektivierung auf buchhandelshistorische Phänomene greift Moldenhauer allerdings noch ein weiteres Forschungsfeld auf, nämlich - wie der Titel prägnant formuliert - "Geschichte als Ware". Hier ist die Arbeit im Kontext der Fragen nach der Popularisierung von gelehrten Wissensbeständen und nach der orientierungsgebenden Funktion sowie wissensvermittelnden Rolle des Verlegers angesiedelt, auch dies ist bis jetzt keineswegs genügend aufgearbeitet (im Gegensatz zum Verleger als Vermittler literarischer Werte).
In die deutsche Buchhandelsgeschichtsschreibung ist der Verleger und Buchhändler Perthes bisher vor allem durch seine Etablierung der ersten nachweisbaren, keineswegs ökonomisch erfolgreichen reinen Sortimentsbuchhandlung eingegangen, durch sein Engagement bei der Gründung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und durch seine 1816 publizierte Schrift Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseyns einer deutschen Literatur, die nach den napoleonischen Kriegen auf die nationalidentitätsstiftende Rolle des deutschen Verlagswesens bei der Vermittlung kultureller Werte abhob. Über Perthes' Firmen in Hamburg und Gotha, ihre ökonomischen Verhältnisse, seine verlegerische Intention und sein Selbstverständnis waren bis jetzt nur ungenügende Informationen bekannt, obwohl sich die Quellenlage durch den Erhalt des Nachlasses mit Tagebüchern, privaten und geschäftlichen Briefwechseln sowie Firmenarchivalien vergleichsweise glücklich darstellt. Moldenhauers Arbeit schließt dieses Forschungsdesiderat. Er hat dazu eine äußerst respektable Anzahl von ungedruckten und gedruckten Quellen aus mehr als 50 öffentlichen und privaten Archiven gesichtet und fruchtbar ausgewertet.
Insgesamt ist Studie chronologisch angelegt, wobei innerhalb der Chronologie systematische Aspekte verhandelt werden. Dieses Vorgehen ist besonders zu begrüßen, da so die Chance wahrgenommen wird, nicht schlicht die Chronologie der Ereignisse nachzuerzählen, sondern erfreulicherweise im systematischen Zugriff thematisch zusammenhängende Problemkreise aufzuzeigen. Drei Zeitebenen, die sich aus der Unternehmensgeschichte ableiten lassen, werden gegeneinander abgegrenzt: 1796-1813 - die Jahrzehnte von der Firmengründung in Hamburg bis zu ihrem Niedergang, 1814-1826 - Geschäftsneugründung bis zum Tod des Geschäftspartners, 1827-1843 - alleinige Geschäftsführung bis zum Ausscheiden aus der Firma und letzte Lebensjahre. Jeweils fünf Analyseebenen wirken in diesen Zeitabschnitten erkenntnisleitend: die bürgerliche Existenz des Verlegers, Wahrnehmung der Rahmenbedingungen im Hinblick auf die politische Selbstverortung Perthes', historische Sinnbildung, schließlich das verlegerische Handeln selbst (Berufsethos, Autoren- und Programmanalyse) und als letzte Ebene das öffentliche Handeln für die Gemeinschaft. Die Programmanalyse wird an ausgesuchten Fallbeispielen durchgeführt. Im Anhang der Studie befindet sich neben der Produktionsstatistik die Verlagsbibliographie der Jahre 1797 bis 1843.
Detailliert untersucht wird u.a. die Publikationsgeschichte der Zeitschrift Vaterländisches Museum (1810/11), die Moldenhauer zu Recht als das erste Verlagsprodukt "mit konzeptioneller Handschrift Perthes'" (229) interpretiert, die Geschichte der europäischen Staaten (erste Konzeption 1822/23, Druck ab 1827) sowie Rankes Historisch-politische Zeitschrift (1832-1836), die als kongeniale Umsetzung von Perthes' politischem Denken in verlegerisches Handeln gedeutet wird (535). Die kulturpolitischen Ambitionen des Verlegers fanden ihren sichtbaren Ausdruck im Verlagsprogramm, das daher ebenso wie die politische Einstellung des Verlegers bestimmten Entwicklungslinien folgte, was schließlich in (kultur-)politisch konservatives Denken mündete. Die detailliert untersuchten Verlagsprojekte zur Geschichtswissenschaft belegen einerseits das marktstrategische Vorgehen des Verlegers, das die gesamte Palette verlegerischen Know-hows umfasst: von der geschickten Autorenwahl, der zielgruppengerechten Aufbereitung der Inhalte für ein (Laien-)Publikum bis hin zur erfolgreichen, werbetechnisch unterstützten Vermarktung. Die wissensvermittelnde Rolle des Verlegers kann vor allem als Resultat eines durchdachten Produktions- und Distributionsplans gesehen werden, der aber nicht ausschließlich am vordergründigen ökonomischen Profit orientiert war (wie in anderen Verlagen nachweisbar), sondern in der Tatsache, dass Perthes in der Lage war, "die Bedürfnisse der historisch interessierten Laien in konkrete Anforderungen an die Historiker zu übersetzen" (614). Die in der Forschung immer wieder gestellte Frage nach der Wirkung des Verlegers auf seine Umwelt wird hier überzeugend beantwortet. Andererseits hat Moldenhauer auch mit seinen Überlegungen zur Sozialisation und sozialen Reputation eines Verlegers, zu den politischen Rahmenbedingungen und dem gesellschaftlichen und berufständischen Umfeld des Verlegers den Beweis angetreten, dass die persönlichen wie die Zeitumstände mindestens ebenso stark auf den Verleger und sein Handeln einwirken.
Moldenhauer belässt es nicht bei der engen Fokussierung auf Perthes, sondern stellt Vergleiche mit anderen Verlagen an, sodass es gelingt, das Unternehmen im Kontext des Buchmarktes zu positionieren und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Die Studie besticht in zweierlei Hinsicht. Erstens geht Moldenhauer konsequent quellenorientiert vor und kann damit seine Argumentationen stets nachvollziehbar belegen. Zweitens ist gerade die überzeugende Struktur der Studie dazu geeignet, sämtliche relevanten Aspekte der Buchhandels- und Verlagsgeschichtsschreibung von der Verlegerpersönlichkeit über inhaltliche Programmanalysen bis zu ökonomischen Faktoren in Beziehung zueinander zu setzen und das historische Verständnis unternehmerischer Strategien zu schärfen. Moldenhauer legt eine zielführende, stringent durchdachte Studie vor, die interdisziplinäre Forschungsprobleme löst. Nachahmung erwünscht.
Anmerkung:
[1] Vgl. hierzu z. B. das Diskussionsforum "Geschichtsschreibung des deutschen Buchhandels" auf IASLonline (http://www.iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/lisforen.htm).
Ute Schneider