Rezension über:

Evelyne A. Adenauer: "In elfter Stunde". Hermann Hoffmann und sein Engagement für eine deutsch-polnische Verständigung und die Ökumene in der Zwischenkriegszeit, Münster: Aschendorff 2008, 282 S., ISBN 978-3-402-10176-6, EUR 20,00
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Rezension von:
Matthias Lempart
München
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Lempart: Rezension von: Evelyne A. Adenauer: "In elfter Stunde". Hermann Hoffmann und sein Engagement für eine deutsch-polnische Verständigung und die Ökumene in der Zwischenkriegszeit, Münster: Aschendorff 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/02/15746.html


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Evelyne A. Adenauer: "In elfter Stunde"

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Eine außergewöhnliche Priesterpersönlichkeit steht im Mittelpunkt dieses Buches: Hermann Hoffmann (1878-1972) war ein katholischer, 1906 bis 1948 in Breslau und von 1948 bis zu seinem Tode in Leipzig beheimateter Geistlicher, Religionslehrer, Historiker, er war Mitbegründer der katholischen Jugendbewegung "Quickborn" und Herausgeber von mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften und Reihen. Ihm verdankt z.B. das bekannte, bis heute bestehende "Archiv für schlesische Kirchengeschichte" sein Entstehen im Jahr 1936 in Breslau. Im Ersten Weltkrieg erlebte er als Divisionspfarrer (EK I und II) in Frankreich sein Damaskus. Hatte er noch 1915 zeittypische Zeilen voller religiös untermaltem Hurrapatriotismus geschrieben - "Ich sage Euch, es ist ein Wunder, ein Schauspiel für Götter und Menschen, wie Deutschlands Jugend froh wie zu einem Feste leuchtenden Auges und erhobenen Hauptes in den Tod eilt fürs Vaterland" (52) -, so machte ihn das furchtbare Kriegserlebnis schließlich zu einem überzeugten Pazifisten.

Das pazifistische Wirken Hoffmanns in der Weimarer Republik ist auch das Hauptthema der Darstellung. Die Autorin verheimlicht dabei nicht die gesellschaftliche Außenseiterrolle Hoffmanns und seiner gleich gesinnten Friedensfreunde und spricht mit Schnitzler von ihnen als dem "millionsten Teil eines Millionstels" (16). Katholische Friedensaktivisten wie der im Friedensbund Deutscher Katholiken tätige Hoffmann befanden sich genau genommen sogar in einer doppelten Außenseiterrolle. Denn sie waren innerhalb des deutschen Katholizismus "von Episkopat, Amtskirche und Verbandskatholizismus in [ihrer] Friedensarbeit alleingelassen" (137), was die Autorin zu Recht betont. Auch Hoffmanns Diözesanbischof und Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, duldete eher die pazifistischen Aktivitäten Hoffmanns, als dass er sie unterstützte.

Aber auch auf der internationalen Ebene war die Friedensarbeit eine schwierige Sache. Als in Prag 1928 eine Antikriegskonferenz des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen stattfand, entschuldigte der tschechoslowakische Präsident und Philosoph Masaryk sein Nichtkommen mit seiner Anwesenheitspflicht bei einer militärischen Übung und fügte hinzu, "Jesu Gebot der Nächstenliebe bedeute nicht, dass man nicht das Recht zur Verteidigung habe" (201). Auf der europäischen Bühne galt Hoffmanns ganzes Engagement dem Internationalen Versöhnungsbund (IVB) / International Fellowship of Reconciliation, seiner eigentlichen geistigen Heimat, die in ihrem Kern eine radikal-pazifistische Friedensbewegung war. Ökumenisch konzipiert, blieb sie mangels katholischer Beteiligung und ähnlich wie andere Friedensinitiativen in der Zwischenkriegszeit eine Domäne protestantischer Christen, sodass Hoffmann bei internationalen Konferenzen oft einer der wenigen katholischen Teilnehmer war.

In seiner Friedensarbeit erkannte Hoffmann bald, dass neben der deutsch-französischen Verständigung auch die deutsch-polnische eine überragende Rolle spielen müsse. Eine harte Gegnerschaft der beiden Republiken, bedingt durch die Minderheitenfrage, das Fehlen eines "Ost-Locarno" und den gegenseitigen Grenzrevisionismus, drohte zu einem offenen Konflikt zu eskalieren. Dabei erwies sich die Anknüpfung der Kontakte zu den polnischen Katholiken als äußerst schwierig, da sich dort, wie Hoffmann um 1927 feststellte, "auf katholischer Seite niemand für den Frieden [engagiere]" (152). Trotz Hoffmanns großen Anstrengungen und seiner ab 1926 regelmäßigen Reisen nach Polen mussten vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage die Erfolge bescheiden bleiben. Einer der Höhepunkte der deutsch-polnischen Friedensarbeit war das 1930 in Südpolen unter Hoffmanns Leitung veranstaltete "internationale Führerlager" mit vornehmlich polnischen und deutschen Teilnehmern. Da jedoch "die meisten [teilnehmenden] Polen evangelisch waren" (127), während die deutsche Gruppe ausschließlich aus Katholiken bestand, stellt sich hier die Frage, ob Hoffmanns Bemühungen die anvisierte Zielgruppe der polnischen Jugend überhaupt erreichten.

Eine Frucht von Hoffmanns Arbeit war dagegen die Herausbildung eines Zentrums der Friedensaktivitäten im polnischen Krakau, wo sich 1930 der Katholische Bund polnischer Friedensfreude ("Katolicki Związek Polskich Przyjaciół Pokoju") mit ca. 100 Mitgliedern gründete. Auffällig ist anhand der zahlreichen Zitate aus polnischen Quellen diplomatischer Provenienz, dass jegliche Kontakte der polnischen Pazifisten zur deutschen Seite, einschließlich des Inhalts der in Deutschland zu haltenden Referate, mit dem polnischen Außenministerium und den polnischen Konsulaten in Deutschland eng abgesprochen wurden. Dass diese Kontakte "im polnischen Sinne instrumentalisiert werden sollten" (234), steht für die Autorin fest, in welchem Ausmaß dies geschehen sollte, konnte anhand der eingesehenen Akten nicht geklärt werden. Die politischen Ereignisse des Jahres 1933 in Deutschland setzten den Auslandsaktivitäten Hoffmanns, dem jetzt sein Auslandspass entzogen wurde, ein abruptes Ende.

Die Autorin will mit ihrer Studie auch einen kleinen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte der Weimarer Republik leisten. Dies ist ihr in größerem Ausmaß als beabsichtigt und sogar in erweitertem territorialen Rahmen (Polen und z.T. Europa) gut gelungen. An einigen Stellen der Studie vermisst man indes den zeitgeschichtlichen Kontext der dargestellten Friedensbemühungen, so z.B. wenn die 1926 auf einer Friedenskonferenz in Warschau Versammelten in Bezug auf die Minderheitenfrage "Freiheit bei der 'völkischen Entscheidung' und der Einschulung der Kinder" (152) forderten. Einige Urteile sind überdies zu pauschal bzw. falsch, so wenn der Oberpräsident der Provinz Oberschlesien und Zentrumspolitiker Hans Lukaschek zur "Spitze" "nationalistischer Kreise" in der Provinz erklärt wird (178) oder wenn Carl Ulitzka, dem Vorsitzenden des oberschlesischen Zentrums und M.d.R. 1919 bis 1933 (und nicht M.d.L 1922 bis 1924, 175), bescheinigt wird, dass er "gegen eine deutsch-polnische Annäherung war" (174). Es leuchtet dem Rezensenten auch nicht ein, warum die Autorin die Stadt Breslau nach 1945 nur noch als "Wrocław" bezeichnet, während sie gleichzeitig für "Krakau" und "Warschau" die deutschen Städtenamen benutzt.

Trotz dieser Mängel ist zu konstatieren: Hermann Hoffmann wird in seinen beinahe rastlosen und von tiefem Christentum getragenen Friedensbemühungen fundiert und überzeugend dargestellt - ohne Zweifel ein großes Verdienst der Autorin, gerade angesichts des verstreuten Aktenmaterials zu der untersuchten Person. Es bleibt der Eindruck von Hoffmann als einem Visionär und Realisten zugleich, der bereits 1930 die zutreffende und modern anmutende Überzeugung artikulierte: "Die Grenzen in Osteuropa sind ungerecht. Sie mögen gerechter sein als die alten; gerecht sind sie nicht; [..] Kulturen, Völker, Konfessionen sind in Osteuropa so zusammengewürfelt, dass es unmöglich ist, alle Konationalen in einem Staat innerhalb enger Grenzen zusammenzufassen. Revision von Versailles im Sinne von Revision der osteuropäischen Grenzen ist ein ungeeignetes, verwirrendes Schlagwort. Nicht Revision, sondern Überwindung der Grenzen ist die einzig mögliche Lösung. Das ist nur möglich in einem neuen, irgendwie geeinten Europa." (128-129)

Matthias Lempart