Sabine Häußermann: Die Bamberger Pfisterdrucke. Frühe Inkunabelillustration und Medienwandel (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst; IX), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2008, 176 S., ISBN 978-3-87157-219-7, EUR 66,00
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Zum eminenten Anstieg der Bildproduktion im 15. Jahrhundert haben wesentlich illustrierte Bücher beigetragen, deren Bilderschätze großenteils kaum bekannt sind. Auf die Popularisierung bebilderter Handschriften folgte etwa ein Jahrzehnt nach Erfindung des beweglichen Letternsatzes, ein neues Medium: Der illustrierte Buchdruck, der bald in ganz Europa Grafikproduktionen ankurbelte.
Dass die vermeintliche Medienrevolution keinen krassen Bruch mit der Handschriftentradition hervorrief, ist - zumindest in Kunst- und Buchwissenschaften - unumstritten. Serienproduktion kannte schon der Handschriftenmarkt, und bis ins 16. Jahrhundert bestimmten beide Medien gegenseitige Anregungen und Mischformen, so dass - wie im vorliegenden Buch - besser von einer Phase des Medienwandels mit Brüchen und Kontinuitäten zu sprechen ist.
Während die kulturelle Bedeutung dieses produktiven Übergangs vielfach erforscht ist, hat die Kunstgeschichte die Bilderwelten des Frühdrucks lange fast völlig übergangen. Neben der kaum überschaubaren Menge der Bilder verhinderte vor allem ein generell abschätziges Qualitätsurteil die differenzierte Wahrnehmung und Würdigung des frühen Buchholzschnitts. Grundlagenforschung zum Frühdruck samt seiner Bilder blieb somit den Buchhistorikern überlassen, während sich vor allem die jüngere Medienwissenschaft mit primär philologisch geprägtem Instrumentarium der Bilddeutung in kulturhistorischer Perspektive annahm.
Fruchtbare Ansätze zum inhaltlichen und ästhetischen Verhältnis von Bildern und Texten, zur Bildrhetorik und Didaktik und zur Rolle von Mustern und Vorlagen und schließlich zur Arbeitsweise von Künstlern und Werkstätten hätte die kunsthistorisch orientierte Handschriftenforschung zu bieten, die jedoch ihrerseits den Druck wenig beachtet. Vornehmlich in den letzten Jahren sind verschiedene transdisziplinäre kunsthistorische Studien zu Themen im Kontext des Medienwandels entstanden.
In diesen Kontext reiht sich die vorliegende Dissertation von Sabine Häußermann, die ihre Monografie zu den Bamberger Pfisterdrucken als exemplarische, zugleich kunsthistorische sowie bild- und medienwissenschaftliche Studie zu den Auswirkungen des Medienwandels auf die Buchillustration versteht.
Ihr Material ist bedeutend: Erstmals vereinen Albrecht Pfisters Druckausgaben zwischen 1461 und 1464 beweglichen Letternsatz mit Holztafeldruck. Die Offizin hinterließ ein frühes Experimentierfeld des reproduzierbaren illustrierten Buchs, das sich andere Drucker erst zehn Jahre später zur Aufgabe machten.
Auch zu Pfisters frühen Unternehmungen ist mit Ausnahme von Faksimilekommentaren lange wenig geforscht worden. Umso größer ist das Verdienst der gründlichen Analyse, die Sabine Häußermann den Drucken insgesamt und insbesondere ihren Holzschnitten widmet. Dabei geht es ihr nicht um die künstlerische Rehabilitierung der größtenteils recht groben Holzschnitte - deren Qualitäten dennoch durch die Analyse herausgearbeitet werden -, sondern um die Erkenntnis von Bildkonzeptionen im Druck sowie Erzähl- und Vermittlungsstrategien mit Bezug zum Text.
Nach der konzisen Präsentation des Materials mit Forschungsstand sowie einer im Buch immer wieder aufgegriffenen Methodendiskussion werden die Drucke in vier Kapiteln untersucht: im Kontext der Werküberlieferung, in Bezug auf Bilderzählung und Bildfunktion, mit Blick auf didaktische Strategien und schließlich auf Funktionen von Bildwiederholungen.
In zwei Anläufen - getrennt nach Texten und Bildern - werden die illustrierten Pfisterdrucke im Überlieferungskontext einzeln vorgestellt: von Ulrich Boners Fabelsammlung "Der Edelstein" (1461 und 1463/64) über die "Vier Historien" (Joseph, Daniel, Judith und Esther, 1462) zur "Biblia pauperum" in zwei deutschen und einer lateinischen Fassung (1462/63) und dem "Ackermann aus Böhmen" (um 1463 sowie posthum 1471). Dieses in den folgenden Kapiteln wiederholte Verfahren kommt nicht ohne Redundanzen aus. Es hat aber den Vorteil, bei der notwenigen Einzelanalyse höchst unterschiedlicher Werke stets die konzeptionelle Gesamtleistung der Pfister-Offizin aufzuzeigen.
Den besonderen Stellenwert dieses Werks erweisen bereits die Ergebnisse der Überlieferungsanalyse: Pfisters Texteditionen fügen sich in Handschriftentraditionen, die sich (mit Ausnahme des "Edelstein") auch nach Einführung des Buchdrucks fortsetzen, während ihr Transfer in den Druck folgenlos blieb. Auch die Bilder schließen zwar im "Edelstein", in den "Vier Historien" und der "Biblia pauperum" an Buchmalerei an. Der Ackermann hingegen bietet als erste illustrierte Version des Textes ganz originäre Bilder von besonderer künstlerischer Qualität. Überraschenderweise haben auch Pfisters Holzschnitte nicht auf spätere Druckillustration gewirkt.
Anschließend diskutiert Sabine Häußermann Bilderzählung, Textintegration und Bildfunktionen und erläutert die variierenden Bildstrategien: Visuelle Komprimierung des Stoffs in Einzelbildern mit Memorierfunktion, inhaltliche Akzentuierung des Texts im Bild und zyklische Bildverfahren mit unterschiedlichen Textbezügen. Dabei macht sie deutlich, dass die individuelle Planung von Bebilderung und Layout in Pfisters Drucken dezidiert dem Vorurteil widerspricht, der Inkunabeldruck sei vorrangig von ökonomischem Effizienzstreben geprägt.
Visuelle Kommunikation und didaktischer Impetus der Holzschnitte sowie die Frage nach ihrem Gebrauch werden besonders prägnant am "Edelstein" dargelegt, dessen Fabelillustrationen von einem zweiten Holzschnitt mit einer Vermittlerfigur begleitet sind. Während in der Erstausgabe mit großem technischen Aufwand immer die gleiche Platte zum Einsatz kam, die eine weisende Figur zeigt, hat die zweite Edition mehrere Holzschnitte mit Erzählerfiguren, die auf Autorenbilder zurückgehen und einen unterschiedlichen Modus der rhetorischen Bildvermittlung bieten. Von hier aus werden die kommentierenden Propheten der "Biblia pauperum", Vermittlerfiguren in den Szenen der "Historien" und die wiederum herausragende Konzeption der Dialogfiguren im "Ackermann" betrachtet. Dabei könnte der zentral, aber polyvalent verwendete Begriff "Bilderzählung" etwas mehr Schärfung vertragen.
Die hier angenommene rein didaktisch motivierte Bildkonzeption relativierend haben Ina Nettekoven und Holger Nickel eingewandt, dass beim "Edelstein" eine Planänderung nach Herstellung der Bildstöcke erst den Impuls zur "Erfindung" der Zeigefigur gegeben haben könnte. [1] So orientieren sich die Fabelbilder anscheinend an der Verslänge. Der Text aber wurde ohne Rücksicht auf die Versenden breiter und im Block gesetzt, so dass neben den Bildern über dem Text Lücken entstanden wären. Ergänzungen im Maß der kleinen Holzschnitte werden somit als Konsequenz aus Layoutentscheidungen plausibel.
Sabine Häußermanns solide argumentiertem Ansatz ist damit nicht widersprochen. Vielmehr trägt die Untersuchung des Herstellungsprozesses angesichts der komplexen Vorgänge der sich wandelnden Buchproduktion zum Verständnis der Pfisterschen Experimente bei, wie die Autorin an anderer Stelle selbst zeigt. Ähnlich ließen sich beispielsweise Layoutprobleme in Pfisters "Biblia pauperum" im Vergleich zu Handschriften und Blockbüchern mindestens zum Teil darauf zurückführen, dass der freie Letternsatz dem bilddominierten Thema nicht entsprach und dort auch deshalb ohne Nachfolge blieb.
Bildwiederholungen werden im letzten Kapitel überzeugend zum einen als inhaltlich motivierte Chiffren und topische Formeln gedeutet, zum anderen als publikumswirksamer Aspekt des technischen Fortschritts gewertet.
Das schön gestaltete und großzügig ausgestattete Buch, das durch viele in den Text gesetzte Abbildungen dem Anspruch des Themas gerecht wird, begleitet ein gründlicher Katalog der Pfistereditionen samt erhaltener Exemplare, der als zukünftige Referenz sehr nützlich ist, wenn auch zwischen den uniformen Editionen und ihren individuell gestalteten Exemplaren schon im Layout klarer unterschieden werden könnte.
Wie Sabine Häußermann abschließend aufzeigt, ist ihr breit angelegtes Thema noch keinesfalls erschöpfend behandelt. Sie hat das vernachlässigte Gebiet der Pfisterdrucke und ihrer Rolle am Beginn des Medienwandels für mehrere Disziplinen durch gründliche Sachanalysen und pointierte Thesen neu erschlossen, denen man weitere Forschungen und Diskussionen wünscht.
Anmerkung:
[1] Holger Nickel: Die Bamberger Pfisterdrucke. Rezension von Sabine Häußermann: Die Bamberger Pfisterdrucke, in: Aus dem Antiquariat NF 7 (2009), Nr. 4, 276-278; Ina Nettekoven: Rezension von Sabine Häußermann: Die Bamberger Pfisterdrucke, in: Kunstchronik 62 (2009), Heft 9/10, 478-483.
Caroline Zöhl