Rezension über:

Peter Schmidt: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern. Zum Gebrauch von Druckgraphik im 15. Jahrhundert (= Pictura et Poesis. Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Literatur und Kunst; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, IX + 511 S., 243 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-11902-7, EUR 96,00
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Rezension von:
Caroline Zöhl
Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Caroline Zöhl: Rezension von: Peter Schmidt: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern. Zum Gebrauch von Druckgraphik im 15. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/01/6872.html


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Peter Schmidt: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern

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Die Einsicht, dass die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern keinen harten Bruch mit der handschriftlichen Buchkultur auslöste, sondern beide Techniken bis ins sechzehnte Jahrhundert unterschiedliche Wechselwirkungen eingingen, hat sich in jüngerer Zeit unter Spezialisten verschiedener Disziplinen durchgesetzt. Die populäre Vorstellung von einer schnell um sich greifenden "Medienrevolution" weicht allmählich differenzierteren Erkenntnissen über die Vielfalt der Erscheinungsformen und deren Produktionsbedingungen. Nicht nur in Gutenbergs 42-zeiliger Bibel, sondern auch in Drucken des 16. Jahrhunderts war vielfach noch nachträgliche Arbeit von Hand notwendig. Weniger verbreitet ist die Erkenntnis, dass die neuen Reproduktionstechniken ältere Traditionen nicht ersetzten, sondern bestehende Tendenzen - beispielsweise zur Rationalisierung der Arbeitsprozesse - fortsetzten und perfektionierten. Ein kaum erforschtes Phänomen aus der Vorgeschichte des Buchdrucks und darüber hinaus ist die Ausstattung handgeschriebener Kodizes mit gedruckten Illustrationen.

In diesem Forschungskontext bietet die Studie von Peter Schmidt, mit der seine 1995 abgeschlossene Dissertation in leicht überarbeiteter Form vorliegt, einen willkommenen, enorm materialreichen und präzise recherchierten Beitrag. Schmidts Ausgangspunkt ist nicht die Handschriften- oder Inkunabelforschung, sondern die Druckgrafik im ersten Jahrhundert ihrer Geschichte, wobei die Entstehung des Holzschnitts um 1400, jene des Kupferstichs um 1430 und des Metallschnitts und Teigdrucks etwa gleichzeitig mit dem Buchdruck um die Jahrhundertmitte angesetzt wird.

In einer ausführlichen Einleitung sondiert der Autor die Forschungslage. Dabei gelingt ihm ein souveräner Überblick, der gründlich in das untersuchte Phänomen einführt und seine Studie auch für Leser außerhalb enger Spezialistenkreise öffnet. Er würdigt die enzyklopädisch angelegten Sammlungsleistungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, vor allem die Korpuswerke von Schreiber und Lehrs, die durch das umfangreiche Unternehmen von Heitz fortgeführt wurden und später zusammen mit dem Illustrated Bartsch die Benutzung auf Grund hinzugekommener Abbildungen enorm erleichtert haben. Freilich bargen diese Pionierleistungen auch die Wurzeln einer erst jüngst als Problem erkannten Entwicklung zunehmender Spezialisierung, die sowohl die Wissenschaften als auch die Sammlungspraxis lang anhaltend bestimmt hat.

Aus kunsthistorischer Sicht betrachteten die genannten Forscher die Grafik vornehmlich isoliert von Gebrauchskontexten und studierten einzelne Werke und ihre Entwicklungen allenfalls im Vergleich mit anderen Gattungen, die als Anhaltspunkte für Lokalisierung und Datierung sowie für die Wechselwirkungen zwischen den Künsten herangezogen wurden. Dabei galt ihr Interesse vordringlich den vermeintlich archaischen Anfängen, deren Datierung auf stilkritischer Basis sich in einigen Fällen als viel zu früh erwiesen hat, da man zu wenig mit Kopien rechnete, und der Blütezeit mit den Œuvres bekannter Künstler. Im zweiten Jahrhundertdrittel, dem Schmidts besondere Aufmerksamkeit gilt, liegen die größten Forschungslücken. Wo die Einordnung von Grafik in ohnehin oft fragwürdige Kategorien von vermeintlich auszumachenden Lokal- und Zeitstilen auf Grund der Anonymität der erhaltenen Serien scheitert, die sich zudem oft als Glieder von langen Kopieketten erweisen, konstatiert er zu Recht ein methodisches Problem, das nach erneuter kritischer Sichtung der erhaltenen Quellen und zeitgenössischen Gebrauchskontexte verlangt.

Auch die Frage nach Funktion von Druckgrafik - ein polyvalenter Begriff, den der Autor mit Gewinn durch den des Gebrauchs ersetzt - wurde zuvor auf der Basis einer reichlich lückenhaften Überlieferung originaler Nutzung oft spekulativ beantwortet. Dabei geriet gerade deren am reichhaltigsten dokumentierte frühe Verwendung weitgehend aus dem Blick: ihr Gebrauch als Illustrationsmaterial für Handschriften.

Spezialisiertes Interesse führte nicht nur zu Missachtung und Fehldeutung der vorgefundenen Zusammenhänge, sondern auch zu deren systematischer Auflösung. Die Bilder wurden herausgetrennt und in grafischen Kabinetten so auf Passepartouts geklebt, dass handschriftliche Eintragungen auf der Rückseite oft nicht mehr ermittelbar sind. Vermeintlich uninteressante Kodizes verblieben als reine Texthandschriften in Bibliotheken. Wo in Kupferstichkabinetten oder Bibliotheken vollständige Bücher mit Druckgrafik erhalten sind, entgehen sie oftmals entweder den Philologen und Buchforschern oder den Kunsthistorikern, weil sie von ihnen an diesen Orten nicht vermutet werden. Weitere Hindernisse ergeben sich durch die Trennung von Handschriften, Inkunabeln, Frühdrucken, Blockbüchern und Einblattdrucken in unterschiedliche kuratorische und wissenschaftliche Zuständigkeiten.

Das vorliegende Buch präsentiert vor diesem Hintergrund einen genuin interdisziplinären Ansatz, der sich aus einer gründlichen Autopsie aller ermittelbaren Informationen der besprochenen Handschriften speist. Berücksichtigt werden kodikologische Beschaffenheit, Wasserzeichen, philologische und paläographische Eigenheiten des Textes, konkrete Schriftvergleiche zur Ermittlung der Schreiberhände, Provenienzen sowie unterschiedliche Konzeptionen der Einrichtung von Text und Bild. Letzteres wird durch Tabellen oder Lagenschemata anschaulich gemacht, insbesondere wenn es Originalzustände zu rekonstruieren galt. Statt apodiktischer Stilkategorien finden sich behutsame Zuordnungen der gedruckten - zuweilen auch gemalten - Bilder zu stilverwandten Beispielen, Serien oder Vorlagengruppen. Diese mühsame Grundlagenarbeit wird mit konkreten Ergebnissen belohnt. So belegen beispielsweise direkt in Handschriften eingedruckte Holzschnitte die Verfügbarkeit der Druckstöcke vor Ort, derweil bei eingeklebten Abzügen stets mit der Mobilität des Mediums gerechnet werden muss, somit keine Gewähr für den Entstehungsort der Grafik gegeben ist. Gleiche gedruckte Rahmen um verschiedene Bilder in Handschriften unterschiedlicher oder unbekannter Provenienz weisen nicht nur auf den Herstellungsprozess, sondern sind auch evidente Herkunftshinweise für Drucke. Ebenso können nachträgliches Kolorit, eingefügte Miniaturen, bekannte Schreiber und Anweisungen zum Schrift- und Bilddekor sowie dessen Formgebung Aussagen über beteiligte Hände oder Konzeptoren der Bücher zulassen.

Ein Hauptanliegen der Arbeit besteht in der Präsentation einer beeindruckenden Fülle unbekannten Materials. Dazu gehören neben zahlreichen Handschriften auch umfangreiche unpublizierte Bildfolgen. Konsequent hat die möglichst genaue Beschreibung dabei stets den Vorrang vor kunsthistorischer oder allgemein kulturhistorischer Deutung, sodass über die bereits erreichten Erkenntnisse hinaus für die weitere Forschung eine außerordentlich solide Grundlage gelegt ist.

Die lokale und zeitliche Eingrenzung des Untersuchungsgebietes begründet Schmidt mit einer auffälligen Konzentration des erhaltenen Materials. Die frühesten Handschriften mit Bilddrucken stammen aus dem zweiten und dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts. Ab den 1440er-Jahren bis in die 1470er-Jahre erscheint diese Ausstattungsform in einigen Klosterbibliotheken sogar als bevorzugter Buchtyp. Erst in diesem Jahrzehnt produzierte der Buchdruck in größerem Umfang illustrierte Ausgaben und gewann in zahlreichen neu gegründeten Offizinen schnelle Verbreitung. Im betrachteten Zeitraum treten Handschriften mit Druckillustration besonders häufig in einigen süddeutschen Klöstern auf. Insbesondere das Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina ist auf Grund einer exzeptionellen Überlieferungslage eine einzigartige Fundgrube; weitere Fallbeispiele gelten den Augustiner-Chorfrauen in Inzigkofen sowie den Benediktinern in Tegernsee und St. Emmeram in Regensburg. Schließlich belegen die Beispiele von Leonhard Taichstetter in München und Konrad Bollstatter in Oettingen, dass auch gewerbliche Schreiber Druckgrafik verwendeten.

Die Studie teilt sich in zwei große Abschnitte von etwa gleichem Umfang. Der erste Teil präsentiert die untersuchten Manuskripte in einer Folge aufeinander aufbauender Fallstudien. Berücksichtigt werden sowohl Bücher mit grafischer Bebilderung oder herausgelöster Druckgrafik als auch grafische Blätter mit Hinweisen auf ihren Gebrauch in einer Handschrift. Dabei gelingt es dem Autor, die eingangs formulierte Annahme zu belegen, dass grafische Blätter und Druckstöcke wegen ihrer Mobilität und verbreiteter Kopierverfahren oft keine Schlüsse auf Entstehungsort und Produktionsbedingungen der originalen Entwürfe zulassen, Orte und Absichten für deren konkrete Verwendung dagegen häufig sogar recht genau rekonstruierbar sind. Ein gesonderter Blick auf Passionsgebetbücher erweist, dass die Verwendung von Grafikserien sogar einen neuen Buchtyp begründete, der schließlich zum Vorbild für einen der ersten illustrierten Drucke wurde, der Stöger-Passion.

Den zweiten Teil bildet ein Katalog von knapp 140 Einträgen, der sich nicht nur als Anhang versteht, sondern den Textteil durch umfangreiche Informationen ergänzt. Besonders detaillierte Beschreibung erfahren einige bislang unbeschriebene Kodizes und Blätter. Für die übrigen finden sich einschlägige Referenzangaben unter den bibliografischen Verweisen.

Peter Schmidts gründliche Einzelstudien können abschließend auch grundlegende Erkenntnisse über Entstehungsbedingungen und Gebrauch der frühen Druckgrafik überzeugend belegen. So bezeugen Umfang und Vielfalt eingeklebter, eingebundener und eingedruckter Bilder in den analysierten Beispielen, dass Handschriften nicht nur die sicherste Konservierung für grafische Blätter boten. Vielmehr war diese Art von Handschriftenillustration als besonders häufiger Verwendungsbedarf vermutlich konstitutiv für die Bilddruckproduktion. Nicht zufällig ist auch das gehäufte Vorkommen von Handschriften mit gedruckten Bildern im Umfeld bestimmter Ordenskongregationen und Observanzen. Alle beschriebenen Bibliotheken verzeichneten im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts enormen Zuwachs, der sich mit vorausgegangenen Ordensreformen in Verbindung bringen lässt. Bilddrucker produzierten zur gleichen Zeit statt großer Einzelblätter häufiger kleinformatige Serien, die auch unausgebildeten Schreibern und Schreiberinnen für ihre als Andachtsübungen kopierten Texte leicht zu handhabendes Illustrationsmaterial boten.

Peter Schmidts lesenswertes Buch bietet solide, materialreiche und präzise argumentierende Grundlagenforschung zu einem bislang kaum bekannten Gebiet der frühen Druckgrafik und der Buchillustration, das zukünftigen Studien ein wertvolles Referenzwerk bietet.

Caroline Zöhl