Rezension über:

Sergey Radchenko: Two Suns in the Heavens. The Sino-Soviet Struggle for Supremacy, 1962-1967 (= Cold War International History Project Series), Stanford, CA: Stanford University Press 2009, XVII + 315 S., ISBN 978-0-8047-5879-6, USD 65,00
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Rezension von:
Andreas Hilger
Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Hilger: Rezension von: Sergey Radchenko: Two Suns in the Heavens. The Sino-Soviet Struggle for Supremacy, 1962-1967, Stanford, CA: Stanford University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/16140.html


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Sergey Radchenko: Two Suns in the Heavens

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Der offene Bruch zwischen der UdSSR Chruščevs und Maos China veränderte die politische Landschaft des Kalten Kriegs radikal. Bereits in den 1960er Jahren entwarfen die zeitgenössischen Beobachter die wichtigsten Erklärungsmodelle für Ursprünge und Ursachen des tiefen Zerwürfnisses der beiden kommunistischen Großmächte: Diskutiert wurden - und werden - die Bedeutung innenpolitischer Prozesse für den außenpolitischen Konfrontationskurs, realpolitische Gegensätze sowie das Gewicht ideologischer Streitereien um friedliche Koexistenz und die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen. Schließlich suchte die Forschung die Gründe in nationalistischen Zielsetzungen oder, so der breitere Ansatz in Debatten neueren Ursprungs, im Zusammenstoß der Kulturen. Lange Zeit standen alle Deutungsangebote vor dem Problem, die Entwicklungen ohne Aktenzugang und damit ohne Kenntnis der internen Entscheidungsprozesse in Moskau und Peking beschreiben zu müssen. Auch wenn die Archivpolitik in China und Russland noch heute viel zu wünschen übrig lässt, so hat sich die Forschungssituation in den letzten Jahren doch deutlich verbessert. Kurze Zeit nach der Studie von Lorenz Lüthi [1] liegt mit Radchenkos Monografie eine weitere wichtige Arbeit über den sowjetisch-chinesischen Bruch vor, die interne kommunistische Unterlagen auswerten konnte. Lüthi stützt seine Interpretationen sicherlich auf eine ungleich breitere Dokumentenbasis. Dagegen konnte Radchenko gerade die Moskauer Archivbestände ausgiebiger nutzen; erfreulicherweise hat er auch die Protokolle von vier relevanten sowjetisch-chinesischen Gesprächen abgedruckt.

Im Unterschied zu Lüthis Untersuchung setzt Radchenkos Buch erst mit den offenen Polemiken im Umfeld des chinesisch-indischen Grenzkriegs und der Kubakrise ab Oktober 1962 ein. Lüthi lässt seine Analyse im Wesentlichen 1966 enden, also bevor China in Maos Kulturrevolution versank. Radchenko führt seine Darstellung ein Jahr darüber hinaus und bezieht die chinesischen Übergriffe auf die sowjetische Botschaft in Peking (Herbst 1966 und Anfang 1967) in seine Gesamtdarstellung ein. Der von Radchenko gewählte Zeitrahmen mag der Aktenlage geschuldet sein, wird aber leider vom Autor nicht weiter erläutert.

Für diese sechs Jahre beschreibt Radchenko die wichtigsten Etappen sowohl der sowjetisch-chinesischen Beziehungen als auch der innenpolitisch-ideologischen Entwicklungen in beiden Staaten. Er macht endgültig deutlich, dass Moskau im indisch-chinesischen Grenzkonflikt die chinesische Haltung zunächst unabhängig von der Kubakrise stützte. Der spätere Positionswechsel musste Maos Aversionen gegen Moskau und gegen Chruščev persönlich noch verstärken. Die gesamte Darstellung belegt einmal mehr die Bedeutung der beiden Persönlichkeiten von Mao und Chruščev für die wachsende Entfremdung ihrer Länder. Die außenpolitische Radikalisierung Maos ging Hand in Hand mit innenpolitischen Manövern, die Maos Macht und seine politische Linie in China sichern sollten. Gesellschafts- und ideologiepolitische Formulierungen der sowjetischen Führung wiederum ließen das Bemühen erkennen, den Rivalen keine neuen Angriffsflächen zu bieten. Chruščevs Ausfälle gegenüber bildenden Künstlern und Schriftstellern oder Kosygins wirtschaftspolitische Reden etwa wehrten immer auch Vorwürfe Pekings ab, das in Moskau "Revisionisten" und "Kapitulanten vor der Bourgeoisie" am Werk sah. [2] Der Propagandakrieg nahm immer schrillere Töne an, wobei Mao oftmals höchstpersönlich den Takt chinesischer Attacken angab. Beschwichtigungsversuche Chruščevs bis 1964 blieben erfolglos. Da die UdSSR wie China von vornherein auf den eigenen Positionen beharrten, kam erst gar keine Diskussion zustande: Bilaterale Gesprächsrunden verkamen zu bizarren Rededuellen (61). Gleichzeitig versuchten die Protagonisten, international in den kommunistischen Parteien Rückhalt und Verbündete zu finden. Die parallelen diplomatischen Beziehungen dienten China und der UdSSR dazu, die jeweils eigene internationale Generallinie, friedliche Koexistenz oder Revolution, zu rechtfertigen. In dieser Gemengelage von internationaler Partei- und Regierungspolitik gewannen Krisenherde wie zum Beispiel Vietnam und Korea zusätzliche Relevanz. Nicht nur diese beiden Länder konnten ihre Bedeutung im Bruderzwist in Wirtschafts- und Militärhilfe umsetzen. Außerhalb des kommunistischen Lagers profitierten die Bemühungen um ein begrenztes Verbot von Nuklearwaffentests vom kommunistischen Meinungsstreit (1963).

Rechthaberei auf beiden Seiten und die letztlich unvereinbaren außen- wie innenpolitischen Agenden verhinderten schließlich auch nach Chruščevs Sturz eine Aussöhnung. Dass der angetrunkene sowjetische Verteidigungsminister Rodion Malinovskij die hochrangige chinesische Delegation auf der sowjetischen Revolutionsfeier 1964 beleidigte, bestätigte in Maos Augen nur ihre negativen Erwartungen. Diese Episode unterstreicht, dass Analysen internationaler Beziehungen immer kulturelle Stereotypen mitdenken müssen (21f., 199f.). Zugleich ist sie ein prägnantes Beispiel dafür, dass die Verantwortung für das innerkommunistische Schisma nicht nur in China zu suchen war.

Das alles ist sehr gut geschrieben und spannend, mitunter unterhaltsam, erzählt. Die Kernthese Radchenkos, wonach der chinesisch-sowjetische Konflikt vor allem ein realpolitischer Machtkampf war, lässt sich aber aus der Gesamtdarstellung und ihren Einzelbefunden nicht so eindeutig ableiten, wie es die starken Formulierungen des Autors nahelegen. Ideologische Streitpunkte, die ja weitreichende Auswirkungen auf außen- und innenpolitische Entscheidungen hatten, waren sicherlich mehr als bloße Mittel im persönlichen und nationalstaatlichen Machtkampf. Das deutet Radchenko selbst an, ohne diesen Widerspruch zu seinen Kernthesen aufzulösen (41f., 206f.).


Anmerkungen:

[1] Vgl. den Forschungsüberblick in Lorenz M. Lüthi: The Sino-Soviet split. Cold War in the Communist World, Princeton 2008. Hier auch ein detaillierter Forschungsüberblick; vgl. bereits Odd Arne Westad (Hg.): Brothers in arms. The rise and fall of the Sino-Soviet alliance, 1945-1963, Washington 1998.

[2] Hierzu Jukka Renkama: Ideology and challenges of political liberalisation in the USSR, 1957-1961, Helsinki 2006 - dessen Befunde hat Radchenko leider nicht eingearbeitet.

Andreas Hilger