Rezension über:

Hansdieter Körbl: Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident. Eine Finanzbehörde zur Zeit Leopolds I. (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 54), Wien: Böhlau 2009, 606 S., ISBN 978-3-205-78376-3, EUR 69,80
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Rezension von:
Stefan Sienell
Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Sienell: Rezension von: Hansdieter Körbl: Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident. Eine Finanzbehörde zur Zeit Leopolds I., Wien: Böhlau 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/16590.html


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Hansdieter Körbl: Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident

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Die vorliegende Arbeit entspricht ihrem Titel. Sie ist zweigeteilt. Der erste Teil behandelt die Hofkammer unter Kaiser Leopold I. und stellt die überarbeitete Fassung der 2005 abgeschlossenen Diplomarbeit des Autors dar ("Die Hofkammer unter Leopold I. Aufgaben, Struktur und Arbeitsweise einer Hofbehörde der Barockzeit", 34-143); der zweite Teil die 2007 approbierte Dissertation ("Ach Gott, ist's möglich, so erretten sie mich doch von dem Process ... Der Prozess gegen den Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig Sinzendorf 1680", 144-340). Beide Arbeiten wurden von Thomas Winkelbauer betreut. Ein dritter Teil enthält einen Anhang, in dem wesentliche Quellen zum Thema ausführlich besprochen bzw. wichtige Aktenstücke ediert werden (346-559). Die Arbeit schließt mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personen- und Ortsregister (560-606).

Das frühneuzeitliche Finanzwesen der Habsburger ist eines der schmerzlichsten Desiderate hinsichtlich der Funktionsweise der Habsburgermonarchie. Für die lange Regierungszeit Kaiser Leopolds I. musste nach wie vor die gleichwohl nicht erschöpfende und schon 1853 (!) erschienene Arbeit von Adam Wolf ("Die Hofkammer unter Kaiser Leopold I.") als Standardwerk angesehen werden. Die wichtigen Arbeiten Jean Bérengers aus den 1970er- und frühen 1980er-Jahren (bes. "Finances et absolutisme autrichien dans la seconde moitié du XVIIe siècle", 1975), die freilich nicht behördengeschichtlich angelegt sind, enthalten zahlreiche Anregungen und Quellenhinweise, sind jedoch nahezu ohne die verdiente Rezeption geblieben. Im Gegensatz zur Fachliteratur ist die Quellenlage geradezu "als ausgesprochen üppig zu bezeichnen" (24), worin vielleicht einer der Gründe für das zurückhaltende wissenschaftliche Interesse an dem nur vermeintlich spröden Thema liegen mag.

Körbl geht es um eine deskriptive Darlegung der "Aufgaben, Struktur und Arbeitsweise der Hofkammer" (13) während der Regierungszeit Leopolds I. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses Körbls steht also keine Finanzgeschichte, sondern die Frage nach dem Funktionieren dieser Zentralbehörde. Eine zentrale Position nehmen die Hofkammerinstruktionen ein, aber auch (und gerade) jenes 1658 entstandene "Handbuch für einen Hofkammerrat", das er überzeugend Clement Radolt zuordnet und im Anhang ausführlich beschreibt und ediert (371-434). Eine klare Aufgabenbeschreibung ergibt sich jedoch auch daraus nicht immer, so dass parallel dazu eine Analyse der Geschäftsgänge aufgrund der Aktenüberlieferung unabdingbar ist.

Die Strukturen waren durchaus schwerfällig, entsprechen aber - sieht man vom französischen Ministerialsystem ab - durchaus dem üblichen Kollegialitätsprinzip. An der Spitze der Hofkammer stand der Hofkammerrat, es konnten allerdings auch Entscheidungen direkt vom Hofkammerpräsidenten getroffen werden. Die eigentlichen ausführenden Organe ("Hilfsorgane", 78) waren die Expeditionen, Kanzleien und Registraturen. Daneben existierten noch "Hilfsämter" (82), wie der Hofprokurator, das Hofzahlamt, das Kriegszahlamt, die Hofbuchhalterei, die Niederösterreichische Buchhalterei und schließlich die Kriegsbuchhalterei. Zahlungsanweisungen von geringerem Wert konnte die Hofkammer selbständig durchführen; Beträge über 100 fl. musste der Kaiser genehmigen.

Den personellen Strukturen der Hofkammer widmet Körbl rund 30 Seiten (106-137), wobei er sich auf die Hofzahlamtsbücher sowie die Schematismen 1702 und 1704 stützt. Von den jährlichen Hofzahlamtsbüchern wertet er allerdings nur einzelne ausgewählte Jahrgänge aus, so dass er zwar zu allgemeinen Aussagen kommt, es jedoch auch noch Raum für weiterführende, vervollständigende Forschungen gibt. Insgesamt hatte sich das Personal zwischen 1658 und 1704 von 50 auf 112 mehr als verdoppelt; die Zahl der Sekretäre sogar mehr als vervierfacht, hingegen die des mittleren Verwaltungspersonals nur von 17 auf 27 erhöht.

Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit, die Dissertation Körbls über den Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig Sinzendorf und der breiten, geradezu minutiösen Darstellung des Unterschlagungsprozesses gegen ihn 1680, ist zweifelsfrei der reifere; möglicherweise bedingt durch die seit über 300 Jahren von der Historiografie nicht beachteten Quellen, die er aus Sinzendorf'scher Provenienz im Schlossarchiv Jaidhof (Depositum im Haus-, Hof- und Staatsarchiv) auswerten konnte; möglicherweise aber auch durch den spannenderen Handlungsverlauf. Im Anhang werden zahlreiche zentrale Aktenstücke zum Prozessverlauf ediert.

Stürze von Ersten Ministern und anderen hochstehenden Räten und Ministern sind in der Frühen Neuzeit kein unbekanntes Phänomen, aber ein förmlicher Prozess gegen den Leiter einer der wichtigsten Hofstellen in einem absolutistischen Staatswesen ist ein bemerkenswerter Ausnahmefall. Waren derartige Ämter nicht dazu da, (auch) persönlichen Nutzen daraus zu ziehen? Dieser Frage geht Körbl zum Abschluss seiner Darstellung nach und diskutiert in seiner "Analyse und Bewertung des 'Falles Sinzendorf'"(328-340) die Frage nach den Ursachen für den Prozess und der Bedeutung von dessen Verlauf und Ende. [1] Welche Rolle letztlich nicht quellenmäßig nachweisbare Faktoren gespielt haben mögen (wie persönliche Animositäten oder Widerstand gegen das Verwaltungssystem an sich), wird sich kaum noch klären lassen. In ihnen sieht Körbl jedoch eine wesentliche Motivation der prozesstreibenden Personen, namentlich Johann Quintin Jörgers, der bereits 1665 über Sinzendorf Beschwerde geführt hatte. Eine außenpolitische (französische) Komponente lässt sich nicht leugnen, zumal sie zu den Anklagepunkten der Verletzung der Ehre des Kaisers und des Vorwurfes des Meineides durch die Nicht-Einhaltung der Instruktion geführt hat. Den eigentlichen Prozess, den Leopold durchaus hätte unterbinden können, und das strenge Urteil führt Körbl auf den tief erschütterten Vertrauensverlust des Kaisers in Sinzendorf zurück.

Körbls Arbeit überzeugt durch die Quellennähe, die zu ganz wesentlichen neuen Erkenntnissen über das Funktionieren der Hofkammer in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führt. In diesem ersten Teil seiner Arbeit wertet er überwiegend die überlieferten Instruktionen aus, was dazu führt, dass durchaus wichtige Fragen wie "Wie wurde die Hofkammer tätig?" (Überschrift eines Unterkapitels, 98) auf weniger als einer Seite abgehandelt werden. Überhaupt erreichen seine (Unter-)Kapitel im Schnitt nur wenig mehr als zwei Seiten. Die Gliederung an sich hilft, durch die gut strukturierte Arbeit zu finden, jedoch verlangen viele Punkte nach weiterer inhaltlicher Füllung. Die Hofzahlamtsbücher, die Körbl quellenkritisch korrekt beurteilt (106-108), wurden primär für das Kapitel über die personelle Zusammensetzung der Hofkammer herangezogen. Die Ergebnisse im Einzelnen finden sich im Anhang 354-360.

Der Anhang bietet viele versteckte erfreuliche Details/Informationen, die durch die Zusammenführung von Diplomarbeit und Dissertation Körbls etwas unübersichtlich geraten: Hierunter sind neun Editionen von Hofamtsinstruktionen und die schon erwähnte umfangreiche Edition des "Handbuches" zu nennen, aus dem Körbl immer wieder schöpft.

Die Verknüpfung von Text und Anhang ist jedoch mühsam, da der Autor in den Anmerkungen nur pauschal auf den Anhang verweist, jedoch keine Seitenangabe macht. Das entsprechende Aktenstück muss der Leser selbst im Anhang suchen. Überhaupt muss man sich in jedem Fall intensiv mit dem Buch beschäftigen, um sich darin zurechtzufinden: "Status-Instruktion" entpuppt sich bei genauem Hinsehen als eine Sigle und meint die "Instruktion Leopolds I. für die Deputation des Status publico-oeconomico-militaris 1697", die man unter "I" (wie Instruktion) unter den Editionen und gedruckten Quellen (bis 1800) findet, und erst dort erfolgt der Hinweis, dass sie in der Österreichischen Zentralverwaltung (ÖZV) I/3, 24-38, abgedruckt ist.

Grundsätzlich aber bleibt ein überzeugender Gesamteindruck. Die jahrelange Beschäftigung Körbls mit der Hofkammer unter Kaiser Leopold I. und ihrem Präsidenten Sinzendorf hat Früchte getragen. Er hat erkannt, dass die beschreibende Darlegung von Sachverhalten unabdingbare Voraussetzung für vergleichende Analysen ist und leistet mit diesem Band einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Hofstrukturen und der Funktionsweise des Wiener Hofes, indem er mit der Hofkammer eine der zentralen und bedeutendsten Institutionen in den Mittelpunkt stellt. Mit der detaillierten Darstellung und Bewertung des Prozesses gegen Sinzendorf erhalten wir höchst kurzweilige und aufschlussreiche Informationen über diese außergewöhnlichen Vorgänge.


Anmerkung:

[1] Er diskutiert auch bereits die Gedanken von Katharina Arnegger, die diese in ihrem erst dieser Tage (Jan. 2010) erschienenen Aufsatz in den Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 53 (2009), 27-66, entfaltet und Körbl vorab zugänglich gemacht hat.

Stefan Sienell