Rezension über:

Rainer Murauer: Die geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 52), München: Oldenbourg 2009, 210 S., ISBN 978-3-486-58937-5, EUR 29,90
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Rezension von:
Hans-Georg Hermann
Institut für Rechtsgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Georg Hermann: Rezension von: Rainer Murauer: Die geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk, München: Oldenbourg 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/17412.html


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Rainer Murauer: Die geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk

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Das Einführungskapitel (13-30) behandelt die Genese des Bistums Gurk in Folge einer entsprechenden Erlaubnis des Jahres 1070 durch Papst Alexander II. Es war eines der vier "Eigenbistümer" des Erzstifts Salzburg (neben Lavant, Seckau und Chiemsee) mit der kirchenrechtlichen Singularität ihres Spezificums als Bistümer, über deren Besetzung der Metropolit, vielleicht in Anlehnung an das Institut der Chorbischöfe (14 f.), jedenfalls aber unabhängig von den im Kirchenrecht etablierten Modalitäten einer Bischofswahl (21-24) entscheiden konnte. Gurk erhielt dann auch erst 1123 ein Domkapitel - Keim späterer Konflikte.

Institutionell nähert sich Verfasser dann unter zwei Perspektiven dem Untersuchungsgegenstand konkret: Ausgehend von der Person des Gurker Bischofs Roman I. (und seiner Nachfolger) wird der Anteil Gurks am erzbischöflichen Gericht beleuchtet (31-42), wobei "gerichtliche Tätigkeit" umfassend verstanden werden will (31), nämlich den Erzbischof nicht nur als Richter behandelnd, sondern auch als Streitpartei - so nur vertretbar als der Darstellung geschuldetes Systematisierungskriterium, nicht aber in Prozessrechtskategorien. Danach folgt die Herausarbeitung der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit (43-59), die sich häufiger mit dem Sonderproblem von Kollisionen des römisch-päpstlichen (Gewohnheits-)Rechts mit den consuetudines terrae konfrontiert sehen konnte (51-53).

In diesen Kapiteln zeigt sich der sichere methodische Duktus, der auch die nachfolgenden Kapitel durchzieht: Quellenexegese des vorhandenen Materials, wie es sich vornehmlich im Salzburger Urkundenbuch, den Monumenta Carinthiae und den Registern Papst Innozenz III. findet, sprachkundig erschlossen, mit behutsamen Korrekturen der Stellungnahmen in der bisherigen Forschung, eingebettet in die Offenlegung des juristischen Feldes, in dem prozessrechtliche Institute und materielles Recht erscheinen: römischrechtliche wie kirchenrechtliche Traditionsstränge und neues päpstliches Dekretalenrecht in symbiotischer Verflechtung und zunehmend dogmatisch präzisem Einsatz, immer mit kritischer Distanz präsentiert und mit Augenmaß in der Bewertung.

Zwei Phänomenen gütlicher Streitbeilegung gehören die Kapitel zum Vergleich (transactio/[amicabilis] compositio, 64-77), der als Lösungsmodell durch päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit nachhaltig promoviert wurde (72), und zum Schiedsverfahren (78-99), wozu sich der Verfasser auch bereits anderweitig vertieft geäußert hat. [1]

Die Rekonstruktion von Prozess(taktik)en und materiellrechlichen Positionen in einem sich über 60 Jahre hinziehenden Konflikt bestimmt den "Exkurs I: Der Streit zwischen dem Erzbischof von Salzburg und dem Gurker Domkapitel um die Besetzung des Gurker Bischofsstuhles (1180-1232)" (100-142). Im Grunde ist es kein Exkurs, sondern die analytische Rekonstruktion eines phasenweise dramatischen Vorganges, der die bis dahin behandelten Fragen insgesamt noch einmal auf den neuralgischen Punkt der ganzen Gurker Frage zugespitzt durchexerziert. Ein weiterer, vergleichsweise aber weitaus weniger zentraler "Modellfall" schließt sich mit dem "Exkurs II: Der Streit um die Kirche St. Lorenzen am Steinfeld" (143-152) an.

Die Zusammenfassung (153-160) komprimiert die vielen Einzelbefunde zu einem eindrucksvollen Bild der Formen und Wege einer sukzessiven Rezeption des "neuen" römisch-kanonischen (Prozess-)Rechts. Für deren signalhafte Intensität reicht es, sich einige der leitenden termini technici vor Augen zuführen: Zitationen, Exzeptionen (etwa rei iudicatae oder praescriptionis), Litiskontestation, testes idonei indizieren die Klaviatur, auf der zunehmend gespielt werden sollte; greifbar wird auch noch einmal die zentrale Bedeutung einvernehmlicher Streitbeendigung, unterstützt vielleicht durch mediatores. Zu keinem Zeitpunkt erliegt Murauer der Versuchung, Einzelbefunde zu verabsolutieren. Auch Randerscheinungen wie das laudum homologium (90) oder ein "ominöser Begriff" wie die "arbitrabilis transactio" (95) erhalten ihren Stellenwert. Das Mosaik ergibt ein plastisches Bild, kennt die Instrumentalisierung brandaktueller päpstlicher Dekretalen (51) ebenso wie retardierende Momente (z.B. fortgesetzte Rechtsfindung durch ein [synodales] consilium, 46) und wird jeweils zu Befunden bereits erforschter Bistümer (v.a. Passau und Konstanz) in Vergleich gesetzt.

So wertvoll sich das Werk damit darstellt, so irritierend beginnt es mit dem Tiefstart einer wohl versehentlichen Fehdeerklärung. Im Überschwang eines überflüssigen Rechtfertigungsgestus, warum ein Historiker sich auf dezidert kanonistisches Terrain begibt, attestiert Murauer die Räumung des Terrains durch die ausgewiesenen Rechtshistoriker. Er macht sich dabei eine Stellungsnahme Stephan Kuttners aus dem Jahr 1983 zu eigen: deutsche Kanonistik erscheine "nur noch als Vorkriegserscheinung" (8). Weder die Forschungen von Peter Landau, Andreas Thier oder die 2008-2010 von Mathias Schmoeckel initiierten Tagungen zum Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur sind eine "Vorkriegserscheinung". Überflüssiges Störfeuer einer generellen Abqualifikation kommt dazu: "vielleicht fällt es dem Historiker auch leichter als dem Juristen, die Bedeutung einzelner Quellen richtig einzuschätzen" (9). Das mag auch umgekehrt gelten und hoffentlich dem juristisch fachqualifizierten Rechtshistoriker im Zusammenhang der Feststellung einer Pfandbestellung als funktionales Äquivalent zu einer Pönalstipulation zwecks Sicherung eines Schiedsspruches kein Satz in die Feder fließen wie: "Darunter konnte auch ein menschliches Pfand verstanden werden, nämlich die Stellung von Bürgen [...]" (78). Widersteht man mithin dem Reflex, die Fehde anzunehmen, sondern konzentriert sich auf das vorliegende Werk, dann zeigt sich noch einmal und erst recht, wie wenig weiterführend die veranstaltete Auftaktattitüde ist, denn es handelt sich nicht nur um ein akzeptables, sondern ein ganz vorzügliches Buch, in dem die Frage nach der geistlichen Gerichtsbarkeit in Gurk für das 12. und die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts eine so fundierte Antwort findet, wie es die Quellen irgend zulassen. Durchwegs plausibel sind die rechtlichen Kontextualisierungen, für die vielleicht zusätzlich noch das Werk von Wieslaw Litweski (Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudiciarii, Krakau 1999) dienlich gewesen wäre. Wohltuend eingelöst erscheint das Versprechen des Verfassers der Beschränkung auf eine "positivistische Quellenanalyse" ohne "Invokationen postmoderner Philosophen" (10).


Anmerkung:

[1] Rainer Murauer: Zwei Formen der gütlichen Streitbeilegung im 12. und 13. Jahrhundert: transactio und amicabilis compositio, in: Gustav Pfeifer (Hrsg.): Handschriften, Historiographie und Recht. Winfried Stelzer zum 60. Geburtstag (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband; 42), München 2002, 38-63.

Hans-Georg Hermann