Rezension über:

Andreas Ohlemacher: Lateinische Katechetik der frühen lutherischen Orthodoxie (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 100), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 510 S., ISBN 978-3-525-56399-1, EUR 99,00
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Rezension von:
Reinhard Mühlen
Mönchengladbach
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Mühlen: Rezension von: Andreas Ohlemacher: Lateinische Katechetik der frühen lutherischen Orthodoxie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/18539.html


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Andreas Ohlemacher: Lateinische Katechetik der frühen lutherischen Orthodoxie

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Ohlemachers von Thomas Kaufmann betreute Untersuchung zur lateinischen Katechetik wurde 2007 von der Evangelisch -Theologischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Ergänzend zu der Druckfassung wurde vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht eine umfangreiche Quellentabelle zur lateinischen Katechetik der Jahre 1520 bis 1620 online zugänglich gemacht. Nach einer Einleitung mit methodischen Überlegungen folgt ein Überblick über den zeitgenössischen Kontext und den Forschungsstand zur lutherischen Orthodoxie und Katechismusforschung. Unter 2.4 werden in einer "Felderschließung" die Titel ausgewählter katechetischer Werke gesondert untersucht, wobei der Reichtum der Buchtitel über Catechismus, Compendium, Enchiridion, Examen, Icones catecheseos - um nur eine Auswahl zu nennen - bereits die Frage der Eingrenzung des Genus "Katechismus" stellt. Ohlemacher berücksichtigt diejenigen Autoren, deren Katechismen "die am häufigsten gedruckten und ursprünglich auf Latein verfassten katechetischen Werke" (117) darstellen, und wählt von bedeutenden Autoren der lateinischen Katechismusliteratur David Chyträus und seine Catechesis von 1554; Jacob Heerbrands Compendium von 1573 und abschließend Matthias Hafenreffers Loci theologici (zuerst erschienen im Jahr 1600) aus. Kapitel 3 bildet mit dieser Auswahl den Schwerpunkt der Untersuchung. Mit dem Kapitel 4 "Fazit und Thesen" endet die Arbeit, wobei die Abschlussthese programmatisch die Bedeutung der Katechismen für die kirchliche Unterweisung unterstreicht: "Angesichts der sehr zahlreichen frühneuzeitlichen Publikationen in diesem Feld erscheint die Rolle der lateinischsprachigen Katechetik als bisher stark unterschätzt" (432).

Ein orientierender Überblick über den allgemeinen historischen Kontext ist der Untersuchung vorangestellt. Ohlemacher informiert hier über die historischen Bedingungen einer Wirkungsgeschichte der lateinischen Katechetik, greift jedoch nur unzureichend zurück auf spätmittelalterliche Vorläufer. Der Autor berücksichtigt in eher summarischer Aufzählung religionsgeschichtliche Ereignisse in der räumlichen Weite vom Osmanischen Reich über Siebenbürgen bis hin zu Spanien (23). Dieser eher enzyklopädische Überblick verliert sich allerdings in punktuellen Ereignissen der Kirchengeschichte. Mit dem Stichwort einer "peregrinatio academica" (31) wird die Hoffnung des Lesers geweckt, dass auch die Bedeutung der Katechismen für die Ausbreitung der Reformation in Europa angesprochen und untersucht wird. Diese wird jedoch nicht thematisiert. Der europäischen Dimension der Katechismusdrucke widmet sich z.B. die Oberösterreichische Landesausstellung 2010 "Renaissance und Reformation" in ausführlichen Beiträgen zum Buchhandel reformatorischer Schriften in Oberösterreich und der Verwendung lutherischer Katechismen an den Schulen der Stadt Steyr.

Die Arbeit Ohlemachers reiht sich ein in den methodischen Ansatz der neueren Forschung, die Theologie der lutherischen Orthodoxie unter dem Aspekt verschiedener Textgattungen zu untersuchen. So lenkt J. A. Steiger mit seiner Edition von Johann Gerhards Meditationes Sacrae den Blick auf die Textgattung der Erbauungsliteratur, K. Appold untersuchte 2004 die Textart der Disputation in seiner Habilitation über das Disputationswesen der Universität Wittenberg, V. Jungs Arbeit von 1998 widmet sich der Textgattung des Bibelkommentars in Calovs Schrift Biblia Illustrata. H. J. Fraas zeigt in seinem Buch von 1971 zur Rezeption von Luthers Kleinem Katechismus die Interpretationsgeschichte auch im Zeitraum der lutherischen Orthodoxie auf. [1] Es ist insbesondere dieses Werk, mit dem sich Ohlemacher vielfach auseinandersetzt. Ohlemacher urteilt: "Fraas äußert sich in seiner Katechismustradition abfällig über den Wahnwitz orthodox - lutherischer Bemühungen, unangemessen lange Werke wörtlich auswendig lernen zu lassen" (319). Bei Fraas stehen diese Beobachtungen jedoch im Zusammenhang damit, dass "dem Küster das Einpauken des Stoffes überlassen bleibt" [2] und dadurch eine Veräußerlichung des kirchlichen Unterrichts einsetzt. Ohlemachers Kritik an Fraas ist nicht überzeugend, da er die pädagogische Praxis des katechetischen Lernens vernachlässigt. Ohlemacher verteidigt in Kapitel 4.2.3 auch den Druckumfang der Katechismen : "Der zum Teil erhebliche Umfang der untersuchten Werke beruht vor allem auf der großen Menge aufgenommener biblischer Zitate [...] und widerspricht so der These, in der frühen evangelischen Orthodoxie hätten sich die Lehrwerke durch die umfangreiche Darstellung hin zur Monstrosität entwickelt" (418). Die Druckwerke nicht als Einheit von Lehre und biblischem Zitat zu betrachten, sondern hier den Text zu zergliedern und nur die Lehre zu bewerten, ist problematisch, verlangt doch die Angleichung an das orthodoxe Lehrsystem die Ergänzung des göttlichen Wortes als Beleg der Rechtmäßigkeit.

Die Autorität der Bibel wird auch in der Catechesis von 1554 hervorgehoben: "David Chyträus stellt sich bewusst in eine innerlutherische Tradition, mit stärkstem Verweis auf Melanchthon, zu dem aber auch prägnante Unterschiede bestehen. Primäre Autorität sind jedoch immer Bibelstellen, deren Verstehen didaktisch ausgeklügelt angebahnt wird" (208). Heerbrands Compendium sei dementsprechend "viel stärker als die Catechesis auch ein Nachschlagewerk" (318). Bezüglich Hafenreffers Loci theologici urteilt Ohlemacher: "Kontroverstheologie aufzunehmen ist bei Hafenreffer explizites Programm" (411). Detailreich werden Überschriften, Absatzanordnungen etc. analysiert. Häufig erschöpft sich die Arbeit allerdings auch in langen Passagen reiner Textbeschreibung. Der Gewinn für den Leser wäre hier bei Einsicht in die schwer zu erreichenden Katechismusausgaben höher. Es ist jedoch noch eine weitgehend unbewältigte Aufgabe, für die Texte der lutherischen Orthodoxie digitalisierte Ausgaben oder Editionen zur Verfügung zu stellen. Auch für die wichtigen Katechismen fehlen diese noch.

Stand der Kleine Katechismus M. Luthers von 1529 mit den Werken von M. Reu, F. Cohrs und A. Peters zu Recht im Mittelpunkt der Forschung [3], so ist es sicherlich das Verdienst von Ohlemacher, den Forschungsaspekt auf die lateinischen Katechismusdrucke der lutherischen Orthodoxie zu richten. Auch wenn aus Gründen der Arbeitsökonomie eine Auswahl unerlässlich ist, wird die Breite der ca. 1600 angeführten Titel doch mit den drei Hauptvertretern Chyträus, Heerbrand und Hafenreffer sehr stark begrenzt. Der Buchtitel hätte hier die Autoren präzise erwähnen sollen, um den Schwerpunkt der Arbeit hervorzuheben. Ohlemachers Analyse der Katechismen zeichnet sich durch Detailreichtum der Textbeobachtung aus und zeigt die Bedeutung der lateinischen Katechetik der frühen lutherischen Orthodoxie überzeugend auf. Aus der Perspektive der Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte wäre eine Analyse weiterer Katechismen, auch unter regionalen und sozialen Gesichtspunkten, mehr als wünschenswert.


Anmerkungen:

[1] Hans-Jürgen Fraas: Katechismustradition, APTh7, Göttingen 1971.

[2] Ebd., 99.

[3] Johann Michael Reu: Martin Luthers Kleiner Katechismus, München 1929; Ferdinand Cohrs: Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion, 5 Bde., Berlin 1900-1907; Albrecht Peters: Kommentar zu Luthers Katechismen, hrsg. v. G. Seebaß, 5 Bde., Göttingen 1990-1994.

Reinhard Mühlen