Rezension über:

Petra Lohmann: Architektur als Symbol des Lebens. Zur Wirkung der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes auf die Architekturtheorie Karl Friedrich Schinkels von 1803 bis 1815 (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 162), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 176 S., ISBN 978-3-422-06925-1, EUR 34,90
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Rezension von:
Hans Georg von Arburg
Université de Lausanne
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Hans Georg von Arburg: Rezension von: Petra Lohmann: Architektur als Symbol des Lebens. Zur Wirkung der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes auf die Architekturtheorie Karl Friedrich Schinkels von 1803 bis 1815, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 2 [15.02.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/02/18304.html


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Petra Lohmann: Architektur als Symbol des Lebens

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Architekten bauen nicht nur Häuser, damit Menschen darin leben und überleben können. Sie schaffen mit ihrer Kunst vielmehr "Symbole des Lebens", die den Menschen kultivieren und dem Absoluten näher bringen sollen. So jedenfalls verlangt es der spätere preußische Staatsbaumeister Karl Friedrich Schinkel in einer Aufzeichnung aus seinen jungen, "romantischen" Jahren. Der intellektuelle Anspruch dieser Formel ist eminent. Mit den Stichwörtern "Symbol" und "Leben" schreibt Schinkel sein Geschäft, die Architektur, nahtlos in den Diskurs der idealistischen Ästhetik ein. Mit welcher "hohe[n] philosophische[n] Kompetenz" (139) er dies getan hat, zeigt die Architekturhistorikerin Petra Lohmann in ihrer Siegener Habilitationsschrift. Auf die Terminologie seines philosophischen Lehrers Fichte konzentriert, klopft sie Schinkels frühe Architekturtheorie auf das Echo dieser Philosopheme hin ab. Mit ihrer begriffsgeschichtlichen Untersuchung springt sie in eine Forschungslücke, die auch noch zehn Jahre nach Andreas Haus' wegweisender Monografie über Schinkel als Künstler klafft. [1]

Lohmann beginnt ihre begriffsgeschichtliche Spurensicherung mit einer Kontextualisierung der Schinkelschen Ästhetik in der Berliner Intellektuellenszene um 1800 (27-49). Kaum an soziologischen oder kulturellen Dynamiken (28-36) und fast ausschließlich an Fichtes Philosophie ("Wissenschaftslehre") entwickelt (37-49), führt das die Argumentation an zentrale Inhalte von Schinkels Architekturästhetik heran: an die formalästhetischen Kompositionsfiguren der "Integration", "Illusion" und des "Symbols", an die Kompositionsprinzipien der "Symmetrie / Asymmetrie", "Zweischichtigkeit" und des "Arabesken" (54-74), an die ethischen Prämissen des "Characters", "Stils" und der "Nachahmung" (74-83) sowie an die produktionsästhetischen Gesetzlichkeiten der "Energie des Sehens", der "Unschuld in der Auffassung", des "moralischen Sinns" und eines "kräftigen Darstellungsvermögens" (84-92). Dabei werden die Kompositionsfiguren erhellend kommentiert am Beispiel von Schinkels (unrealisierten) Projekten für ein "Landhaus bei Syrakus", für ein großformatiges "Panorama von Palermo", für ein "Mausoleum" zu Ehren der 1810 verstorbenen preußischen Königin Luise sowie für einen "Dom" zum Gedenken an die so genannten Befreiungskriege gegen Napoleon. Die Diskussion der übrigen Konzepte dagegen verbleibt ganz im Begrifflichen. Und ebenso theorieimmanent verfährt Lohmann im abschließenden Teil ihrer Studie, wenn sie die ideellen Schwerpunkte von Schinkels Ästhetik (das "Unendliche", das "Individuelle", die "Vernunft", das "Gefühl", das "Gemüt", die "Rührung", die "Schönheit" und die "Sittlichkeit") aus den Abstraktionen des Fichteschen Philosophierens herleitet (93-138).

Die intellektuelle Bedeutung Fichtes für den Ästhetiker Schinkel wird so zweifellos plausibel gemacht. Dass Architektur ein "Symbol des Lebens" zu sein hat, wird als "Idee" mit allen ihren Konsequenzen dem Buchstaben nach fassbar. Das "geistige Klima" (22) freilich, in dem diese Idee gedeihen konnte, ist damit nicht schon eingefangen. Zu eindeutig ist Lohmanns Interesse am Einfluss spekulativer Ideen (im Sinne des geistesgeschichtlichen Einflussdenkens), und zu kursorisch ihre Diskussion bildungssoziologischer und wissensgeschichtlicher Zusammenhänge. Selbst Schinkels Lehrer Friedrich Gilly taucht bei Lohmann nur punktuell auf (29ff.), und Karl Philipp Moritz, eine zentrale Figur der Berliner Ästhetik um 1800, bleibt überhaupt eine Marginalie (28, 79). Nun wäre die Konzentration auf die Ideen des Philosophen Fichte durchaus legitim, wenn sie diese Ideen dem modernen Leser nur plastischer machen würde. Gerade dies aber gelingt Lohmann über weite Strecken nicht. Statt durch eine eigene Beschreibungssprache eine analytische Distanz zu ihrem Gegenstand zu gewinnen, kommentiert Lohmann die historischen Begriffe mit sich selbst. Dass die "Tendenz zunehmender Vergeistigung" ein "Grundthema" von Schinkels Architekturverständnis darstellt, leuchtet ohne weiteres ein. Was aber heißt es, dass diese Tendenz "in der Manifestation des Ideals des seligen Lebens" gipfle, "in der das Individuum durch das Werk seine immanente sinnlich-vernünftige Einheit kultiviert und sich ineins in der Natur über die Natur stellt, indem es sich als Gesetzgeber seiner selbst und der äußeren Sinnenwelt begreift" und so die "Aufgabe seines Lebens" löst: "sich selbst zu überwinden und in der reingeistigen, d.h. intelligiblen Welt und damit letztlich in Gott aufzugehen" (52f.)? Ganz abgesehen davon, dass hier (wie in der gesamten Untersuchung) die Mehrdeutigkeit der Zielvorgabe "Gott" zwischen idealistischer Spekulation, theologischer Dogmatik und frömmigkeitsgeschichtlicher Praxis völlig unbestimmt bleibt: Selbst für einen avancierten Ideenarchitekten wie den jungen Schinkel ist der Dunst dieser Begriffe zu flüchtig. Gewiss, Schinkel war philosophisch informiert und dachte im Zeichen des "ganzen Menschen" mitunter auch normativ über Architektur nach. Ob er dabei aber das, was "gute Architektur" ist, tatsächlich von der "transzendentalphilosophischen Explikation der Bedingung der Möglichkeit von Wissen überhaupt" abhängig machte (144), darf bezweifelt werden.

Alles in allem ist Lohmanns Arbeit in zentralen historischen Begriffen klar und konsequent. Das Vertrauen der Autorin in die unvermittelte Aussagekraft und den geschichtslosen Erkenntniswert dieser Begriffe jedoch markiert eine ebenso klare methodische Grenze dieser Arbeit. Die Gefahr des alten Begriffsrealismus, die hier droht, hätte durch Ansätze aus der historischen Epistemologie gebannt werden können (und müssen). Denn schließlich spielt auch in das Denken und Sprechen des enthusiastischen Jungästhetikers Schinkel allenthalben materielles und technologisches Wissen hinein. Im frühen "Tagebuch aus Italien" lässt sich dies ebenso gut nachlesen wie in den so genannten "romantischen Skripten". Auch der Architekturtheoretiker Schinkel war in erster Linie Architekt und Maler, aber kein Philosoph. Und auch in der Formel vom "Symbol des Lebens" verweist er deshalb die Architektur nicht nur ans Absolute, sondern erdet sie gleichzeitig im ganz Konkreten.


Anmerkung:

[1] Andreas Haus: Karl Friedrich Schinkel als Künstler. Annäherung und Kommentar, München 2001.

Hans Georg von Arburg