Rezension über:

Jochen Martin: Der Weg zur Ewigkeit führt über Rom. Die Frühgeschichte des Papsttums und die Darstellung der neutestamentlichen Heilsgeschichte im Triumphbogenmosaik von Santa Maria Maggiore in Rom, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, XX + 184 S., ISBN 978-3-515-09386-6, EUR 39,00
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Rezension von:
Filippo Carlà-Uhink
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Filippo Carlà-Uhink: Rezension von: Jochen Martin: Der Weg zur Ewigkeit führt über Rom. Die Frühgeschichte des Papsttums und die Darstellung der neutestamentlichen Heilsgeschichte im Triumphbogenmosaik von Santa Maria Maggiore in Rom, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/17145.html


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Jochen Martin: Der Weg zur Ewigkeit führt über Rom

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Die historische Frage der Entwicklung des Primats des Römischen Stuhls wurde in den letzten Jahrzehnten mehrfach in den Fokus der wissenschaftlichen Debatte gerückt und hat eine umfangreiche Literatur hervorgebracht.[1] In diesem Kontext stellt sich J. Martins neues Buch einer doppelten Herausforderung: in den ersten vier Abschnitten bietet es eine fundierte Zusammenfassung der Entwicklung des Primats von den Anfängen der kirchlichen Institutionen bis zur Zeit Leos I. (der bekanntermaßen an diesem Prozess entscheidend mitwirkte und auch hier als Autor der ersten konsequenten Papsttheorie thematisiert wird, 101). Der letzte Abschnitt widmet sich der Interpretation der Apsismosaiken von S. Maria Maggiore, die zwar bereits wiederholt in der Literatur behandelt wurden, die aber in Bezug auf die Geschichte des römischen Primats zum Teil neu interpretiert werden können.

Im ersten Teil gelingt es Martin, unter Verwendung der Originalquellen eine überzeugende Geschichte des römischen Primats zu skizzieren, wobei die klare Schilderung das Werk auch für Studenten und Nicht-Spezialisten zugänglich macht. Die rigorose chronologische Darstellung, die die unterschiedlichen Standpunkte und Maßnahmen der einzelnen Bischöfe von Rom bis ins Detail zeigt, ist sehr nützlich, da sie beweist, dass die Herausbildung des römischen Primats keine lineare Entwicklung war, sondern vielmehr ein Weg voller Spannungen, Konflikte, Fort- und Rückschritte sowie wechselnder juristischer Regelungen. Hervorzuheben ist auch die Klarheit, mit der gezeigt wird, dass es sich nicht nur um einen Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel handelte - die Wechselbeziehung, die wegen der Kanones Nikaia 6 (325), Konstantinopel 3 (381) und Chalkedon 28 (451) am häufigsten erörtert wird.[2] Daneben beleuchtet Martin z. B. die starke afrikanische Opposition zur Errichtung des römischen Primats, die erst mit der vandalischen Eroberung ein Ende gefunden habe. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die häufigen Vergleiche mit den staatlichen Institutionen, der kaiserlichen Selbstdarstellung und Macht und dem römischen Recht, die sehr deutlich zeigen, auf welche Weise Institutionen und Charakter der christlichen Kirche sich in Nachahmung der römischen Institutionen bzw. in Opposition zu diesen entwickelt haben.

Laut Martin gab es zwei Gründe für die hervorgehobene Rolle des römischen Bischofs: zum einen die Schwäche der politischen Macht im Westreich im 5. Jahrhundert ("so konnte das werdende Papsttum zu einer amtlichen Institution des Reiches werden sowie Herrschafts- und Repräsentationsformen des Kaisertums übernehmen", 12). Zum anderen sieht Martin einen Unterschied zwischen dem Osten, wo seit dem Hellenismus die politische Macht stark religiös fundiert war, und dem Westen, wo eine solche Fundierung schwächer blieb, eine neuere Variante des Weber'schen Begriffes vom "Cäsaropapismus", die aber auch riskiert, in einen Determinismus abzugleiten. Bei dieser Argumentation fehlt teilweise ein konkreterer Bezug zur Ereignisgeschichte: das Problem der kirchlichen Verwaltung Illyricums (64-65), das Spannungen zwischen Rom und Konstantinopel, zwischen "Papst" und Kaiser schuf, sollte z. B. vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen zwischen West- und Ostreich um die Kontrolle Illyricums in den Jahren Stilichos betrachtet werden.

Die Verbindungen zwischen Religion und Politik tauchen in der Tat zu selten auf, auch hinsichtlich der Förderung bestimmter Städte und ihrer Bischöfe (z.B. Arles, 84), die oft als konstitutives Element kirchlicher und politischer Netzwerke wirkte. In diesem Sinne wären möglicherweise zentrale Punkte aus der Perspektive des kulturellen Gedächtnisses und der "Invention of Traditions" besser zu thematisieren. Dies gilt zunächst für die immer stärkere ideologische Aufladung der Worte von Mt 16.18-19, mit denen die römischen Ansprüche begründet wurden, und für das Thema der Apostolizität der bischöflichen Sitze - eine Apostolizität, die fast nie historisch zu begründen war, sondern von lokalen Traditionen abhing, und die von Rom bestätigt bzw. abgelehnt werden konnte -, aber auch für den Kult bestimmter Heiliger (z.B. Petrus, Paulus, Laurentius), die als typisch römische Figuren überall thematisiert (und verehrt) wurden.[3]

Die zentrale Rolle des Damasus, die von Martin gut herausgearbeitet wird, ist inzwischen in verschiedenen, auch mit dem römischen Primat verbundenen Bereichen anerkannt worden, die vielleicht in diesem Kontext erwähnenswert wären: von entscheidender Bedeutung war er nicht nur für die Neuorganisation und die literarische Thematisierung der römischen Heiligen (74-75) und generell für die Entwicklung des Begriffes der Schutzheiligen und die Verehrung früherer Bischöfe, sondern z. B. auch für die Entstehung der christlichen Historiographie.[4] Es handelt sich hierbei um wichtige Themen, die überdies Perspektiven für zukünftige Forschungsvorhaben eröffnen könnten: z.B. findet die Verehrung der Vorgänger Parallelen in anderen Städten, und zwar in so unterschiedlichen Formen wie der Ausschmückung bischöflicher Gräber oder der Erstellung offizieller Bischofslisten.[5]

Der zweite Teil des Buches deutet die Mosaiken von S. Maria Maggiore neu. Hier wird eine Darstellung der Heilsgeschichte gesehen, und insbesondere die Erfüllung der Prophezeiungen des Alten Testaments im Neuen Testament, die Erkenntnis Jesu durch die Heiden, und dadurch die Rolle Roms als Zentrum der Christenheit. Die vorgeschlagene Interpretation ist sehr überzeugend, und kann tatsächlich Widersprüche und Probleme der früheren Deutungen beseitigen. Dennoch bleibt die Verbindung zum ersten Teil des Buches relativ schwach. Die Apostolizität und der Primat Roms sind natürlich ein Schwerpunkt in Martins Auslegung, aber hinzu treten die Probleme der heilsgeschichtlichen Interpretation des römischen Reiches sowie des christlichen Antisemitismus, die in diesem letzten Abschnitt zwar Erwähnung finden, die aber ebenso wichtig wie die Geschichte des römischen Primats für ein korrektes Verständnis der Mosaiken wären.

Die Mosaiken von S. Maria Maggiore werden von Martin hauptsächlich ausgehend von Schriften Leos I. interpretiert. Die Widmung der Kirche fand aber bereits am 5. August 434 unter Papst Sixtus III. statt, dessen Name auch die Mosaiken schmückt, also vor Leos Amtsantritt; das ikonographische Programm wurde vermutlich, wie Martin selbst zugibt, ebenfalls schon früher ausgearbeitet. Es ist möglich (aber nicht belegbar), dass Leo als Diakon aktiv an der Planung der Mosaiken beteiligt war (so Martin, 151): Dann muss aber vorausgesetzt werden, dass er schon vor seiner Ernennung zum Papst alle seine Theorien zur Rolle des römischen Bischofs entwickelt hatte. Vielleicht sollte man daher etwas vorsichtiger sagen, dass die Mosaiken uns bei der Rekonstruktion des allgemeinen kulturellen Klimas in Rom um die Mitte des 5. Jahrhunderts helfen.

Sehr nützlich ist der Kommentar zu den Mosaiken am Ende des Buches. Einerseits erleichtert er das Verständnis des letzten Abschnitts, indem alle Detailfragen zur Ikonographie sowie die Behandlung der bisherigen Literatur hierher verschoben werden; andererseits bietet er eine tiefergehende Diskussion aller früheren Interpretationen.


Anmerkungen:

[1]Z. B., unter vielen anderen, M. Maccarrone (a cura di): Il primato del vescovo di Roma nel primo millennio. Ricerche e testimonianze, Vatikan 1991; K. Schatz: La primauté du pape, son histoire des origines à nos jours, Paris 1992.

[2] Z. B. G. Dagron: Constantinople, la primauté après Rome, in: F. Elia (a cura di), Politica, retorica e simbolismo del primato: Roma e Costantinopoli, Catania 2002, 23-38.

[3] L. Grig: Making Martyrs in Late Antiquity, London 2004; F. Carlà: Milan, Ravenna, Rome: Some Reflections on the Cult of the Saints and on Civic Politics in Late Antique Italy, in: RSLR 46, 2010, 197-272.

[4] U. a. P. Pergola: Nereus et Achilleus martyres: l'intervention de Damase à Domitille, in: Saecularia Damasiana, Vatikan 1986, 203-224; G. Zecchini, Ricerche di storiografia latina tardoantica, Roma 1993; M. Sághy, Scinditur in partes populus: Pope Damasus and the Martyrs of Rome, in: EME 9 (2000), 273-287.

[5] Z. B. J.C. Picard: Le souvenir des évêques: sépultures, listes épiscopales et culte des évêques en Italie du Nord des origines au Xe siècle, Paris 1988.

Filippo Carlà-Uhink