John F. Miller: Apollo, Augustus, and the Poets, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XI + 408 S., ISBN 978-0-521-51683-9, GBP 65,00
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Das Verhältnis von Literaten zur politischen Herrschaft ist seit jeher ein prekäres wie ambivalentes: Abhängig von der jeweiligen Herrschaftsstruktur ist teils Kritik am politisch autoritären System ebenso unerwünscht wie gefährlich, teils Lob des demokratischen Gemeinwesens anscheinend unter jedweder literarischen Würde; die vielen Töne und Färbungen dazwischen sind dabei Ausdruck des jeweiligen persönlichen wie kollektiven Standortes des bzw. der Literaten zur herrschenden Macht, so jedenfalls die vorherrschende Forschungsmeinung.
Für die römische Antike ist dieses Verhältnis von Literatur zu Politik gerade für die Römische Kaiserzeit von Belang, stellen sich doch sofort Fragen wie nach Kritikmöglichkeiten im Prinzipat, ebenso nach Kritikfähigkeit der Kaiser oder nach einer gesteuerten Hofdichtung u.v.m. Wenn dabei das Verhältnis der sogenannten "schlechten" Kaiser Nero und Domitian zur blühenden Dichtkunst ihrer Epoche bereits Gegenstand einschlägiger Untersuchungen war und auch andere Kaiser diesbezüglich in den Blick genommen wurden [1], darf man dies für die augusteische Zeit erst recht annehmen. So gibt es denn auch zahlreiche, auch übergreifende Studien zu einzelnen Autoren in ihrem Verhältnis zum ersten Prinzeps Augustus. [2] Jedoch fehlte bislang eine Schau, die anhand eines thematischen Zuschnitts die Phänomene von Rezeption, Reflexion und Reaktion dieser Dichter auf die mittlerweile sattsam bekannte "augusteische Propaganda" einerseits aufzeigt sowie andererseits den postulierten kausalen Nexus von Politik und Dichtkunst insgesamt kritisch in den Blick nimmt.
Diese hat nun J. F. Miller, ein ausgewiesener Experte für die Dichtkunst der augusteischen Epoche, vorgelegt, indem er den maßgeblich durch Augustus geförderten Aufstieg des Gottes Apoll zu einem der wichtigsten Götter rund um die Umbruchszeit zwischen Republik und Prinzipat als poetisches wie politisches Symbol analysiert. Aufbauend auf umfangreichen Vorarbeiten und gleichzeitig erschienenen, flankierenden Studien [3] durchstreift er in sieben, voller Gelehrsamkeit geschriebenen Kapiteln die politische wie auch apolitische Verwendung des sowohl von griechischer wie römischer Seite assoziations- wie motivreichen Gottes Apoll. Dabei betont er schon in der Einleitung (1-14), dass es ihm nicht um die Aufspürung der Verwendung augusteischer Ideologie bei antiken Literaten, also einen einseitigen Prozess, gehe, sondern umgekehrt um den literarischen Diskurs im augusteischen Zeitalter, der eben im "politisierten" Apoll einen wesentlichen Ausdruck finde. Jedoch sei umgekehrt das politische Lesen jeglicher Literaturstelle mit Bezug zu Apoll nicht statthaft, da es weiterhin ein unpolitisches Verwenden des topoireichen Gottes gegeben habe.
Das erste Kapitel, tituliert mit "Octavian [sic!] and Apollo" (15-53), erweist zunächst die ikonographisch geführten Auseinandersetzungen um die Lichtgestalt Apoll am Ende der späten Republik zwischen den aufsteigenden Einzelpersönlichkeiten, an deren Ende sich Oktavian mit seinem Apoll als Symbol einer neuen Zeit durchsetzt. Dass dies jedoch nicht eindeutig und quasi vorprogrammiert geschah, zeigt Miller anhand der Verwendung der Apoll-Symbolik etwa durch Markus Antonius ebenso auf wie an einer bei Sueton überlieferten, von einem Anonymus poetisch negativ reflektierten Episode um Oktavian als falschen Apoll bei einem Bankett (Suet. Aug. 70,1). Eine ähnliche Uneindeutigkeit in der Ausdeutung Apolls konstatiert Miller dann auch für Horaz, der in seinen Oden Merkur, nicht Apoll als Retter Roms und sogar des Dichters selbst auftreten lässt, was mit der damals noch vorherrschenden Gleichsetzung Apolls als Kriegsführer, und eben nicht -beender, eng zusammenhänge.
Der "Apollo at Actium" als zentrales Motiv in der augusteischen Epoche ist Gegenstand des zweiten Kapitels (54-94). Miller analysiert hier insbesondere die Schildbeschreibung in Vergils Aeneis (8,704ff.) und arbeitet deren Bedeutung als Paradigma für alle spätere literarische Beschäftigung mit dem Actischen Apoll als Retter Oktavians heraus (Ergebnis: 91). Ebenso wird die ambivalente Darstellung bei Properz in den Blick genommen, die insgesamt gesehen sowohl den Kriegs- als auch den Friedensgott Apoll kontrastierend gegenüberstellt und sich damit nicht eindeutig auf eine Huldigung des augusteischen Regimes hin deuten lässt.
Vergils Aeneis als Gesamtkomplex wird im folgenden, die chronologische Reihenfolge der Behandlung durchbrechenden dritten Kapitel hinsichtlich der Apoll-Motivik in den Blick genommen (95-184). Deutlich werden durch Millers genaue, manchmal auch erschöpfende Analyse die intertextuellen Bezüge der hochkomplexen, da nicht eindeutig stets auf Huldigung der Führungsfigur Aeneas/Augustus ausgerichteten Apoll-Figur, die sich aus griechischen Vorlagen wie Apollonios, Kallimachos oder Homer speist. [4] So lässt Miller zu Recht die nicht erfolgte Heilung des Aeneas durch Apoll (Verg. Aen. 12,405f.) als unerklärbare Episode zurück und versucht sich nicht an einer Überinterpretation, bspw. als Kritik an Antonius, wie T. P. Wiseman dies vorgeschlagen hat. [5]
Mit dem vierten Kapitel wendet sich Miller dem Apoll-Tempel auf dem Palatin und der literarischen Reaktion hierauf zu (185-252). Nach kurzem Referieren der archäologischen Situation (unmittelbare Integration in das Haus des Augustus; Architektur; Ausschmückung) lässt er die unterschiedlichen Reaktionen bzw. Verarbeitungen augusteischer Dichter auf dieses die augusteische Ideologie von Apoll als Schutzherr des Prinzeps mit am deutlichsten spiegelnde Monument zu Wort kommen. Während z.B. bei Properz wiederum ein Schwanken zwischen Bewunderung des Prinzeps und (aufgrund des literarischen Fokus bedingter) Nichtbeachtung der dahintersteckenden Ideologie zu beobachten ist, wird der Apollinische Tempel in Ovids Tristien (3,1) zum Ort des Ausschlusses von Ovids Werk aus der dort angesiedelten Bibliothek und ist für Ovid daher negativ konnotiert.
Mit "Apollo and the New Age" (253-297) schlägt Miller noch einmal einen Bogen von der Etablierung des Motivs eines mit Apoll beginnenden Neuen Zeitalters in der Späten Republik hin zur endgültigen Ausgestaltung in der augusteischen Zeit mit dem Höhepunkt der Säkularspiele des Jahres 17 v. Chr. Besonders die Einwirkungen des bereits von den Zeitgenossen und Gegnern des Oktavian propagierten Topos von Apoll als Lichtbringer oder der Motivik in Vergils vierter Ekloge auf das Carmen Saeculare von Horaz sind dabei auffällig. Auch die (aus literarischer wie politischer Entwicklung erklärbare) Ambivalenz Apolls als Kriegs- und Friedensgott wird wiederum deutlich anhand der Symbolik innerhalb des Carmen Saeculare herausgearbeitet.
Allgemeiner im Sinne der vielfältigen Diskursmöglichkeiten der augusteischen Dichter (Horaz, Properz, Ovid) an und über den Dichtergott Apoll schließt sich das sechste Kapitel an (298-331). So zeigt Miller bspw. einerseits anhand von Horazens Ode 3,4 die Aufnahme der bereits bei Pindar und Kallimachos ausgeführten Gigantomachie-Motivik sowie deren Umdeutung auf Augustus als neuen "Ptolemäer" nach dem Tode der letzten ptolemäischen Herrscherin Kleopatra auf. Andererseits erweist er am gleichen Autor die Übertragung des politischen Motivs von Apoll als den Sieger mit Lorbeer krönendem Gott auf Horazens persönlichen Dichteranspruch als princeps aller Dichter und damit poeta laureatus.
Im letzten Kapitel widmet sich Miller dann der Stellung Ovids zum augusteischen Apoll anhand der Metamorphosen (332-373). Wie er bereits im vorigen Kapitel bezüglich Ovids Fasti aufzeigen konnte, ist dabei bei Ovid keine durchgängige Kritik an der augusteischen Ideologie zu erkennen; vielmehr sind es einzelne "Seitenhiebe", die immer wieder in der literarischen Verarbeitung der Apoll-Motive auch eine politische Perspektive eröffnen.
Summa summarum präsentiert sich Millers Studie als reifes Opus Magnum zur Dichtkunst in augusteischer Zeit, indem es nicht nur anhand des immer wiederkehrenden Motivs "Apoll" die Diskursansätze der unterschiedlichen Dichterpersönlichkeiten dieser Zeit aufzeigt, sondern auch den Blick auf die intertextuellen Bezüge der einzelnen Passagen sowie die daraus gleichsam resultierenden multiperspektivischen Interpretationsmöglichkeiten erweitert. Dass damit letztlich der Determinismus von politischer Ideologie und (positiver wie negativer) Reaktion der Dichtkunst darauf aufgebrochen wird und der Poesie endlich wieder ihre Eigenständigkeit fernab eines solchen Interdependenzmodells zugestanden wird, darf als der bemerkenswerteste Fortschritt dieses Werkes festgehalten werden.
Anmerkungen:
[1] Hier einiges weniges: Zu Nero vgl. nur die Einführung von Chr. Reitz: Die Literatur im Zeitalter Neros, Darmstadt 2006 [mit weiterer Literatur]; zu Domitian siehe die einschlägige Studie von J. Leberl: Domitian und die Dichter. Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung, Göttingen 2004 (Hypomnemata; 154). Ferner für die Kaiser Trajan und Hadrian siehe S. Fein: Die Beziehungen der Kaiser Trajan und Hadrian zu den litterati, Stuttgart / Leipzig 1994.
[2] Vgl. nur die umfangreichen Literaturhinweise in der Einführung von D. Gall: Die Literatur in der Zeit des Augustus, Darmstadt 2006, 168-179.
[3] L. Athanassaki / R. P. Martin / J. F. Miller (eds.): Apolline Politics and Poetics. International Symposium, Athens 2009. Zu Millers eigenen Vorarbeiten vgl. das Literaturverzeichnis (388).
[4] Zum Fehlen der Herausarbeitung der intertextuellen Bezüge zur griechischen Tragödie vgl. die Rezension zu Miller von N. W. Bernstein: Bryn Mawr Classical Review 2010.06.12 (http://bmcr.brynmawr.edu/2010/2010-06-12.html), mit weiterem Literaturhinweis in Anm. 4.
[5] T. P. Wiseman: Cybele, Virgil and Augustus, in: T. Woodman / D. West (eds.): Quality and Pleasure in Latin Poetry, Cambridge 1984, 117-128; zu Millers berechtigter Kritik daran vgl. 176f.
Sven Günther