Karina Pryt: Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934-1939 (= Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau; 22), Osnabrück: fibre Verlag 2010, 529 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-3-938400-53-1, EUR 35,00
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"Der Deutsche hat uns jahrhundertelang gewürgt [...] / Und plötzlich ist er auf einer süßen Welle geschwommen / Und ihn zu lieben, wurde uns Polen befohlen." (190) Diese Spottverse auf die Deutschlandpolitik ihrer Regierung waren im Frühsommer 1934 in einer polnischen Satirezeitschrift zu lesen. Karina Pryt hat die Zeilen für ihre Studie zu den deutsch-polnischen Kulturbeziehungen zwischen 1934 und 1939 zu dem Titel Befohlene Freundschaft verdichtet. "Befehl zur Freundschaft" wäre allerdings passender gewesen, denn Pryt kommt zu dem Schluss, dass die deutsche wie die polnische Regierung zwischen Abschluss (1934) und Kündigung (1939) des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts Kulturkontakte zwischen ihren Ländern anordneten, dies jedoch keine nachhaltigen Auswirkungen auf das deutsch-polnische Verhältnis hatte. Auch was ihren außenpolitischen Nutzen angeht, waren die Kulturbeziehungen ohne Bedeutung. "Keiner der beiden Seiten gelang es, über den Einsatz von kulturpolitischen Maßnahmen jene Ziele zu verwirklichen, die mit der klassischen Diplomatie nicht zu erreichen waren." (472 f.)
Gestützt auf eine Fülle von Akten deutscher und polnischer Provenienz (entstanden vor allem in den Außenministerien und Botschaften beider Länder), auf im Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin aufbewahrtes Filmmaterial sowie vereinzelt auf Memoiren von Beteiligten und auf die zeitgenössische Tagespresse rekonstruiert Pryt akribisch, welche Kontakte in den Bereichen Musik, Theater, Film und Ausstellungswesen geknüpft wurden. Höhepunkte waren die Auftritte des polnischen Startenors Jan Kiepura in Deutschland, die drei Deutschlandtourneen des Ballett-Ensembles Feliks Parnells, die Aufführung der polnischen Nationaloper "Halka" in Hamburg und in Berlin, eine Wanderausstellung polnischer Kunst in neun deutschen Städten (der Eröffnung in Berlin wohnten Hitler und eine Reihe weiterer nationalsozialistischer Spitzenpolitiker bei) sowie eine deutsche Skulpturenausstellung in Warschau und Krakau - die erste eigenständige Kunstausstellung des 'Dritten Reichs' im Ausland überhaupt. Dazu kamen verschiedene Kooperationsprojekte bei Filmen und der Filmaustausch, der sich allerdings fast ausschließlich in eine Richtung vollzog: von Deutschland nach Polen.
Die Studie konzentriert sich auf die große Politik: Es interessieren insbesondere die Motive für die Anbahnung der Kulturkontakte und die daraus abgeleitete auswärtige Kulturpolitik. Dabei versucht die Autorin, Deutschland und Polen gleichermaßen zu berücksichtigen, der Schwerpunkt der Darstellung liegt aber auf der deutschen Seite. Pryt bestätigt bereits vorliegende Befunde zur deutschen auswärtigen Kulturpolitik, dass das NS-Regime mit der Förderung der Kulturbeziehungen ein kurz- und ein langfristiges Ziel verfolgt habe: kurzfristig mehr Sympathie in den Partnerländern und damit mehr politischen Einfluss; langfristig die kulturelle Hegemonie in Europa.
In diesem Zusammenhang erklärt Pryt, warum rassistische Überzeugungen und ein Befehl zur Freundschaft mit Polen, also mit "Slawen", für Nationalsozialisten kein Widerspruch sein musste. Die Deutschen waren den Polen der NS-Ideologie zufolge kulturell überlegen. Einige mit den deutsch-polnischen Kulturbeziehungen befasste Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop glaubten sogar, ein vordergründig gleichberechtigter Kulturkontakt werde gemäß der sozialdarwinistischen Evolutions- und Selektionstheorie dazu führen, dass (in Pryts Worten) "das 'schwächere' Volk im Laufe der Zeit automatisch dem 'stärkeren' Volk weichen werde" (229, vgl. auch 468 f.). Diese These stützt sich auf die Erinnerungen des damaligen Mitarbeiters des polnischen Generalkonsulats in Berlin, Roman Wodzicki, und müsste anhand weiterer Quellen überprüft werden.
Deutsche Ostforscher und nationalsozialistische Funktionsträger auf lokaler Ebene in West- und Ostpreußen waren im Gegensatz dazu häufig zu keinen Kompromissen in der "Polenfrage" bereit. Sie akzeptierten die "Verständigungspolitik" mit Polen nur als taktische Übergangslösung bis zu einer militärischen Auseinandersetzung (236 ff.). Hitler selbst, so Pryt, begegnete dem ideologischen Problem, indem er sein Polenbild an die politische Entwicklung anpasste. Je nach Bedarf zählte er das Land zum europäischen Kulturkreis oder zum kulturlosen asiatischen Osten (473).
Ein Manko des Buches ist die "gemischte Gliederung", die Pryt gewählt hat - "thematisch geordnet und chronologisch unterteilt" (11). Dieses Prinzip führt de facto dazu, dass weder eine thematische noch eine chronologische Ordnung durchgehalten werden. Bedauerlich ist darüber hinaus, dass zentrale Begriffe nicht definiert werden. So verschwimmen insbesondere in den Ausführungen zum Film "auswärtige Kulturpolitik" und "Propaganda" zu einer unterschiedslosen Kulturwerbung für Belange des Staates. Damit bleiben aber die Rolle und das Eigeninteresse von Kulturschaffenden und nicht-staatlichen Mittlern unterbelichtet, trotz der Abschnitte über das Deutsch-Polnische Institut in Berlin (später umbenannt in Deutsch-Polnische Gesellschaft) und über die Polnisch-Deutsche Gesellschaft in Warschau. Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen staatlichen Akteuren hätten ebenfalls schärfer herausgearbeitet werden können.
Befohlene Freundschaft ist trotzdem nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der deutsch-polnischen Beziehungen, sondern auch ein Meilenstein auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der auswärtigen Kulturpolitik beider Länder, insbesondere des 'Dritten Reiches'. Ein Vergleich der auswärtigen Kulturpolitik des NS-Regimes gegenüber verschiedenen Staaten ist ein Desiderat. [1] Studien wie diejenige von Karina Pryt schaffen für einen solchen Vergleich solide empirische Grundlagen und leisten selbst einen wertvollen Beitrag zur theoretischen Diskussion. [2]
Anmerkungen:
[1] Bisher nur: Jan-Pieter Barbian: "Kulturwerte im Zweikampf". Die Kulturabkommen des "Dritten Reiches" als Instrumente nationalsozialistischer Außenpolitik, in: Archiv für Kulturgeschichte 74 (1992), 415-459. Zum Teilbereich der Wissenschaftsbeziehungen im Zweiten Weltkrieg vgl. Frank-Rutger Hausmann: "Auch im Krieg schweigen die Musen nicht". Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2002.
[2] Von der Anlage her der Darstellung Pryts am ähnlichsten: Andrea Hoffend: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf. Die Beziehungen zwischen "Drittem Reich" und faschistischem Italien in den Bereichen Medien, Kunst, Wissenschaft und Rassenfragen, Frankfurt am Main u. a. 1998.
Johannes Dafinger