Rezension über:

Kathrin Groh: Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats (= Jus Publicum. Beiträge zum Öffentlichen Recht; Bd. 197), Tübingen: Mohr Siebeck 2010, XVIII + 648 S., ISBN 978-3-16-150222-4, EUR 119,00
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Rezension von:
Jörn Retterath
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Jörn Retterath: Rezension von: Kathrin Groh: Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen: Mohr Siebeck 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15.12.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/12/20491.html


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Kathrin Groh: Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik

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Mit den "'Big Five' der demokratischen Weimarer Staatsrechtslehre" (1) beschäftigt sich die juristische Habilitationsschrift von Kathrin Groh. Eindrucksvoll zeigt sie auf, dass die Weimarer Republik nicht nur antiparlamentarisch denkende Verfassungsjuristen wie Carl Schmitt hervorbrachte, sondern sich auch auf eine Reihe namhafter demokratisch gesinnter Staatsrechtler stützen konnte. Groh knüpft in ihrem Werk an die Tendenz der jüngeren historischen Forschung an, vermehrt das demokratische Denken in der Weimarer Republik in den Blick zu nehmen. [1]

Als die "großen Fünf" von Weimar behandelt die Juristin die Staatsrechtslehrer Hugo Preuß, Gerhard Anschütz, Richard Thoma, Hans Kelsen und Hermann Heller. Die Fokussierung auf eine kleine Zahl scheint sinnvoll, jedoch bleibt unklar, warum die Autorin gerade diese fünf und nicht andere wichtige demokratische Juristen wie etwa Gustav Radbruch oder Fritz Stier-Somlo in ihre Auswahl mit aufnimmt.

Zunächst geht Groh auf die Staats- und Demokratielehren, sodann auf die Vorstellungen zu Theorie und Praxis des Regierungssystems ein sowie abschließend auf Überlegungen zu einer demokratischen Verfassungstheorie in der Weimarer Republik. Die genannten drei Teile der Studie behandeln jeweils das Denken der einzelnen Staatsrechtler. Das 650 Seiten starke Buch endet mit einer Zusammenfassung, einem Personen- und Sachregister sowie einem - mit geschätzten 1200 Titeln höchst beeindruckenden - Literaturverzeichnis, das auch als eine Art Nachschlagewerk dienen kann.

Die Summe der Titel lässt erahnen, wie akribisch die Autorin den publizistischen Äußerungen dieser fünf Staatsrechtler nachgegangen ist. Dabei macht Groh klar, dass es nicht "das" demokratische Denken gab, sondern eine ganze Bandbreite davon. Durch ihre theoretische Reflexion entgeht die Autorin der Gefahr, der "Inhaltsleere" (2) des Demokratiebegriffs zu erliegen. So untersucht sie die Positionen der fünf Juristen zu den wichtigen und umstrittenen Themenbereichen "Führung und (Eliten)Herrschaft", "Weimarer Parteienstaat", "(Verbände)Pluralismus", Ausgestaltung des Regierungssystems, "Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik" (9).

Im ersten Teil der Studie geht es um Biografie, Methodik, Staats- und Demokratielehre der fünf Staatsrechtslehrer. Während die Darstellung von Lebensweg und persönlichem Hintergrund sehr knapp bleibt, gelingt es Groh dagegen die entscheidenden theoretischen Positionen der untersuchten Juristen präzise herauszuarbeiten.

Scharfsinnig analysiert die Autorin etwa die Bedeutung des mit unterschiedlichsten Vorstellungen verknüpften Volksbegriffes für die Demokratietheorie (186-189). Ebenfalls geht Groh den - je nach politischer Verortung höchst verschiedenen - Eliten- und Führungstheorien der fünf Juristen nach (191-217) und arbeitet die nur bei wenigen Staatsrechtlern - so etwa bei Heller und Kelsen - ausgeprägte positive Einstellung zum Verbändepluralismus heraus (255-279). Zugunsten einer "Vollinklusion des Volkes [...] in den politischen Raum der Demokratie" (579) hätten sich hingegen alle untersuchten Staatsrechtler ausgesprochen, so die Autorin. Während Kelsen und Preuß die Demokratie "stärker partizipatorisch" dachten, tendierten Anschütz und Thoma eher dazu, "den Output und damit die Entscheidungsfähigkeit eines starken Staates zu betonen" (579).

Breiten Raum nimmt das Unterkapitel zur parlamentarischen Demokratie (280-408) ein, darin beschäftigt sich die Autorin unter anderem mit der Frage, wie stark die Bereitschaft der demokratischen Staatsrechtslehrer ausgeprägt war, die Republik durch eine Machtverschiebung zugunsten der Exekutive zu retten - ein Weg aus der Parlamentskrise, der "lediglich von Kelsen nicht unterstützt" (408) wurde. Das Denken der meisten Staatsrechtler, so betont die Autorin resümierend, sei "jedoch nicht antirepublikanisch, sondern lediglich exekutiv" (585) gewesen - allein Heller habe "als weitere Option die kommissarische Diktatur zur Rettung der Demokratie" (585) angedacht.

Für die Grundrechtstheorie kommt Groh zu einem stark differenzierenden Schluss und zeigt, dass es hier einmal mehr keine einheitliche Position der fünf Juristen gab. Für Kelsen und Heller sei "die demokratische Funktionalisierung von Grundrechten [...] eher ein blinder Fleck in ihren Demokratietheorien" (462) gewesen, während Thoma und Anschütz die Freiheitsrechte als "Konstitutionsprinzipien der Demokratie" (461f.) wahrgenommen hätten. Unbestritten, so Groh, sei jedoch die Auffassung gewesen, dass "der demokratische Rechtsstaat [...] ein Verfassungsstaat sein" (586) müsse.

Im dritten Teil ihrer Studie bietet vor allem das Kapitel zur Frage nach der Vorrangstellung von Staat oder Verfassung (477-546) interessante Einblicke in das Denken und die Verfassungstheorien der Weimarer Republik. Vor allem Heller, so Groh, habe sich mit seinem dynamischen Verfassungsbegriff der gesellschaftlichen Wirklichkeit geöffnet (587f.). Aber auch Kelsen und teilweise Preuß hätten die Sphären des Rechts und des Politischen miteinander verkoppelt (589). Trotz Kritik am parlamentarischen System von Weimar, sei die Kritik der fünf Juristen "systemimmanent" (590) geblieben. Groh kommt zu dem Schluss, dass es Preuß, Anschütz, Thoma, Kelsen und Heller "mindestens in Ansätzen [gelungen sei], eine Verfassungstheorie des demokratischen Rechtsstaats zu entwerfen" (591). Wenn sie die Republik auch nicht zu retten vermochten, so leisteten die "großen Fünf" von Weimar doch wichtige Vorarbeiten und Anknüpfungspunkte für das staatsrechtliche Denken in der Bundesrepublik.

Durch die Fokussierung auf die "demokratischen Staatsrechtslehrer" bleibt allerdings weitgehend offen, welche Positionen im juristischen Diskurs der Weimarer Republik als "herrschend" angesehen werden können. Wo standen die Fünf in Relation zu ihren - in der übergroßen Mehrzahl konservativen - Kollegen? Das stärkere Herausarbeiten von Positionen der "antidemokratischen" Juristen wäre wünschenswert gewesen, hätte jedoch zugleich das Risiko einer ausufernden Darstellung mit sich gebracht.

Des Weiteren sei die bei einem ansonsten hohen fachsprachlichen Niveau umso mehr ins Auge fallende Verwendung von Anglizismen, Neologismen oder umgangssprachlichen Formulierungen kritisch angemerkt. So wird in Grohs Werk "geoutet" (214), "hochgezont" (475 und 517) oder etwas in "krasser Semantik" (200) begründet, während der Reichspräsident "ausbügeln" konnte, "was das Parlament verbockte", (325) und einige Staatsrechtler "der öffentlichen Meinung eine staatstheoretische Poleposition" (446, ähnlich auch 337) zuwiesen. Diese sprachlichen Schnitzer beeinträchtigen zwar nicht den inhaltlichen Wert der Untersuchung, fallen aber gegenüber dem allgemeinen Stil der Arbeit deutlich ab und hätten vom Lektorat getilgt werden müssen. Als wenig benutzerfreundlich erweist sich das nach Verfassernamen und Erscheinungsjahr sortierte Literaturverzeichnis. Das Nachschlagen der in den Fußnoten meist ohne Erscheinungsjahr aufgeführten Kurztitel macht ein mühsames Sichten aller Publikationen des jeweiligen Autors erforderlich. Eine Angleichung der Zitation an die Sortierung des Literaturverzeichnisses hätte dem Leser diese Mühe ersparen können.

Diese Kritikpunkte stilistischer und formeller Art mindern jedoch die herausragende inhaltliche Bedeutung der Habilitationsschrift nicht. Kathrin Groh ist es in ihrer Untersuchung gelungen, ein Standardwerk über demokratisches Staatsdenken in Weimar vorzulegen - eine Studie, die wertvolle Erkenntnisse für das Verständnis der Weimarer Republik aber auch zu den Demokratievorstellungen in der Bundesrepublik bietet und der viele Leser zu wünschen sind.


Anmerkung:

[1] Vgl. vor allem: Christoph Gusy (Hg.): Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000; Tina Pohl: Demokratisches Denken in der Weimarer Nationalversammlung, Hamburg 2002; Heiko Bollmeyer: Der steinige Weg zur Demokratie. Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik, Frankfurt am Main 2007.

Jörn Retterath