Olga Kurilo (Hg.): Seebäder an der Ostsee im 19. und 20. Jahrhundert, München: Martin Meidenbauer 2009, 300 S., ISBN 978-3-89975-151-2, EUR 29,00
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Olga Kurilo: Zoppot, Cranz, Rigascher Strand. Ostseebäder im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin: BeBra Verlag 2011, 158 S., ISBN 978-3-937233-81-9, EUR 19,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Stephan Krause / Christian Lübke / Dirk Suckow (Hgg.): Der Osten ist eine Kugel. Fußball in Kultur und Geschichte des östlichen Europa, Göttingen: Die Werkstatt 2018
Johannes Frackowiak (Hg.): Nationalistische Politik und Ressentiments. Deutsche und Polen von 1871 bis zur Gegenwart, Göttingen: V&R unipress 2013
Jörg Hackmann / Marta Kopij-Weiß: Nationen in Kontakt und Konflikt. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1806-1918, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014
Die Osteuropahistorikerin Olga Kurilo hat sich in den zurückliegenden Jahren mehrfach mit der Badekultur im südlichen Ostseeraum beschäftigt: Neben den beiden hier anzuzeigenden Publikationen - der Sammelband präsentiert Beiträge einer im September 2008 in Greifswald abgehaltenen Tagung, die Monografie, versehen mit einem Vorwort von Karl Schlögel, ist das "Ergebnis zweijähriger Forschungsarbeit" (155) - zeichnete sie auch für die Wanderausstellung "Zoppot, Cranz, Rigaer Strand" verantwortlich, die in Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut in Marburg sowie dem Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam entstand und seit 2010 an wechselnden Orten gezeigt wird. Bereits ein kurzer Blick in die beiden reich bebilderten Publikationen macht klar, wie lohnend die Beschäftigung mit dieser Thematik ist: Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehende und an der Wende zum 20. Jahrhundert in voller Blüte stehende Seebäderbetrieb war Ausdruck tiefgreifender Veränderungen in so unterschiedlichen Bereichen wie der Medizin, dem (Massen-)Tourismus oder den Geschlechterbeziehungen. Die Mehrzahl der in den beiden Büchern behandelten Seebäder wechselte im Laufe der Zeit seine staatliche Zugehörigkeit. Als Grundlage für deren vergleichende Analyse vor dem Hintergrund der vielfältigen nationalen und kulturellen Beziehungen stand Kurilo und den Autor/inn/en des Sammelbands ein enormer Bestand ganz unterschiedlicher Hinterlassenschaften zur Verfügung: Hotels und Badeanstalten als Baudenkmäler, schriftliche Erinnerungen gerade aus den Reihen des deutschbaltischen Adels, ikonografische Quellen wie Postkarten, Fotografien und illustrierte Zeitschriften.
Kurilo versteht Seebäder als "transnationale Orte", wie sie in dem Sammelband sowohl in ihrem Vorwort (7) als auch in ihrem Beitrag über "Baltische Ostseebäder als Schauplätze der Transnationalität" hervorhebt. Sie schildert anschaulich die vielfältigen kulturellen Kontakte, die sich durch den Badebetrieb mit Gästen aus mehreren Staaten ergaben. Kritisch zu hinterfragen wäre allerdings, ob zum Beispiel das Konzert eines finnischen Orchesters in Riga bereits als transnationales Ereignis gewürdigt werden muss oder ob sich hier nicht vielmehr die ganz üblichen Umstände eines touristischen Massenbetriebs zeigten. Dass es nicht unbedingt neue Erkenntnisse verspricht, Seebäder ausdrücklich als transnationale Orte zu analysieren, zeigt sich allein schon daran, dass keine/r der übrigen Autor/inn/en des Sammelbands auf dieses Konzept zu sprechen kommt. Dessen ungeachtet bietet Kurilos Beitrag eine informative Einführung in das Thema. Anhand der nationalen Zusammensetzung der Badegäste zeigt sie die Besonderheiten der baltischen Ostseebäder gegenüber den im Deutschen Reich gelegenen auf, wie z.B. den niedrigeren Komfort und geringen Anteil westeuropäischer Badegäste.
Der Sammelband ist in vier thematische Abschnitte untergliedert ("Sozialer und kultureller Wandel", "Tourismus", "Alltag und Badewesen" sowie "Ostseebäder und Kulturerbe"), wobei allerdings der markantere Unterschied darin besteht, ob die Beiträge eine größere Region beziehungsweise einen Vergleich zwischen zwei Orten oder aber nur ein einzelnes Ostseebad behandeln. Die Texte, die der zuerst genannten Ausrichtung folgen, sind besser gelungen. Wiebke Kolbe untersucht in ähnlicher Manier wie Kurilo die weiter westlich gelegenen deutschen Ostseebäder zwischen Nordschleswig und Kurischer Nehrung. Sie konzentriert sich dabei auf die beiden Jahrzehnte um 1900 und weist, wie fast alle anderen Beiträge auch, auf die überragende Rolle der Eisenbahn für den Bäderbetrieb hin, da erst mit diesem Verkehrsmittel die Bewohner von Metropolen wie Berlin und Sankt Petersburg in nennenswerter Zahl zum Urlaub an die Ostsee gelangen konnten. Die Beiträge von Hans-Christian Bresgott über die Landschaftswahrnehmung Rügens und Usedoms sowie von Anja Peleikis über die Kurische Nehrung als nostalgischen Sehnsuchtsort werfen einen geistesgeschichtlichen Blick auf die Seebäder. Peleikis macht sich von allen Beiträgen wohl am besten die Abfolge unterschiedlicher politischer Systeme in ihrem Untersuchungsgebiet zunutze. Sie beschreibt über einen Zeitraum von knapp 200 Jahren, wie sich die "touristischen Imaginationen über die Nehrung in ihren jeweiligen historischen und politischen Kontexten" (123) entwickelten, und analysiert die Gründe für diese Kontinuität.
Zwei weitere Beiträge nehmen ortsübergreifend wichtige Einzelaspekte des Badebetriebs in den Blick: Frank Bajohr befasst sich, allerdings in einem bereits 2007 in leicht abgewandelter Form erschienenen Beitrag, mit dem Bäder-Antisemitismus an der deutschen Ostseeküste; Anja Wilhelmi zeigt anhand der Badekultur für Männer und Frauen in den russischen Ostseeprovinzen, wo um 1900 das gemeinsame Baden beider Geschlechter möglich wurde, wie als Ergebnis dieser Entwicklung "die Familie zunehmend als Einheit definiert wurde, in die auch männliche Familienmitglieder sichtbar einbezogen wurden" (167). Nicht ganz so überzeugend, wenn auch mit einigen interessanten Details, schildert Anu Järs die Badekultur in den Ostseebädern Estlands, wobei sie zu dem wenig überraschenden Fazit gelangt: "Neben der dominierenden Badekultur sah man auch andere Badegewohnheiten" (198). Sehr gelungen ist hingegen der Beitrag von Małgorzata Omilanowska zur Bäderarchitektur in dem heute zu Litauen gehörenden Polangen (polnisch Poł ąnga, litauisch Palanga). Vergleichende Blicke auf andere Kurorte sowie aussagekräftige Fotografien und Zeichnungen führen die Eigentümlichkeiten der Bauten in Polangen vor Augen, wo in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg durch das Wirken des Architekten Stanisław Witkiewicz, der auf die Baukunst der Goralen zurückgriff, ein - so die zeitgenössische Werbung - "Zakopane an der Ostsee" (222) entstand.
Die restlichen sechs Beiträge - Nijolė Strakauskaitė zu Seebädern auf der Kurischen Nehrung, Małgorzata Buchholz-Todoroska zu Zoppot (Sopot), Inga Sarma zum Schwimmen in der Rigaer Bucht, Ėl'vira Jurčenko zu den Seebädern des Samlandes, Rihards Petersons zum kulturellen Erbe des Rigaer Strandes (Jūrmala) und Dimitri Spivak zu Sestroreck bei Sankt Petersburg - stellen weniger analytisch ausgerichtete historische Abrisse ohne eine streng umrissene Fragestellung dar. In einigen Fällen lassen die Autor/inn/en touristische Eigenwerbung einfließen; so Buchholz-Todoroska (150) und Petersons (261). Hier wäre eine stärker eingreifende Textredaktion zu wünschen gewesen.
Wer nun glaubt, Kurilo würde in ihrer Monografie ausführlicher auf die "Transnationalität" der Seebäder eingehen, sieht sich getäuscht: Die Verfasserin rudert gewissermaßen zurück und erwähnt diesen Terminus nur beiläufig, während sie Ostseebäder nunmehr "als Sammelplätze des Massentourismus und als Schnittpunkte internationaler Kontakte" versteht (35). Die drei von ihr näher in den Blick genommenen Badeorte wiesen zwei grundlegende Gemeinsamkeiten auf: Sie lagen in der Nähe von Großstädten und waren "große Seebäder mit überregionaler Bedeutung" (17).
Nach einem geschichtlichen Abriss der Bäder an der Ostseeküste widmet Kurilo jedem der drei Seebäder jeweils ein Kapitel, wobei, wie schon im Sammelband, das umfangreiche und vielfältige Bildmaterial beeindruckt. Die Kapitel zu Zoppot, Cranz (Selenogradsk) und Rigascher Strand - die Abweichung zu "Rigaer Strand" im Sammelband und Ausstellungstitel hätte vermieden werden sollen - sind chronologisch aufgebaut. Zwar wiederholt sich auf diese Weise mancher Aspekt, aber man erhält doch einige Einblicke in die jeweiligen Besonderheiten. Zoppot entwickelte sich bis 1914 von einem vergleichsweise beschaulichen Erholungsort zu dem nach eigener Ansicht besten Seebad überhaupt mit großen Sportveranstaltungen und einer Waldoper, in Polen nach 1945 hingegen zu einem Zentrum alternativer Kultur. Am heutigen Selenogradsk beeindruckt Kurilo insbesondere dessen "hybride Identität, die deutsche und russische Elemente gleichermaßen umfasst und miteinander vereint" (109). Der Rigasche Strand schließlich bestand aus einer Kette von Badeorten, deren jeweiliges Publikum sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, auf die Kurilo ihr Hauptaugenmerk richtet, in nationaler und sozialer Hinsicht ganz spezifisch zusammengesetzt und so die "Vielfalt der Ethnien und Kulturen des Russischen Vielvölkerstaats" (136) widergespiegelt habe - natürlich nur, so müsste man hinzufügen, hinsichtlich dessen gesellschaftlichen Elite.
Ein gravierender Nachteil des Buches besteht darin, dass die Darstellungsweise dem geringen Umfang von nur rund 70 Textseiten zuwiderläuft. Zu selten finden sich übergreifende Einordnungen und komprimierte Darstellungen (auch ein Fazit sucht man vergebens), viel zu häufig hingegen eher beliebig anmutende Detailinformationen (so erfährt man auf Seite 57, dass der preußische Kronprinz bei 16 Grad Celsius badete), die des Öfteren in allzu ausgedehnten Aufzählungen münden: Wen interessiert es in dieser Ausführlichkeit, dass Schachspieler "aus den übrigen baltischen Ländern, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Deutschland, Österreich, Finnland, Schweden und den USA" (138) zu einem Turnier anreisten oder dass laut eines zeitgenössischen Berichts vor Zoppot die Schiffsflaggen "Amerikas, Belgiens, der Niederlande, Portugals, Polens, Russlands, Sardiniens, Schwedens, Norwegens, Spaniens, Dänemarks, Frankreichs, Griechenlands und Großbritanniens" (59) zu sehen waren? Wie auch bei einigen Beiträgen des Sammelbandes hätte eine chronologische oder thematische Eingrenzung womöglich zu präziseren Ergebnissen geführt.
Wenn sich auch sonst kaum Schreibfehler finden und die äußere Gestaltung ohne Abstriche überzeugt, ist es bezeichnend für diese Publikation, die bei allen interessanten Aspekten doch auf halber Strecke stehen geblieben zu sein scheint, dass ausgerechnet eine für die Kulturgeschichte des Ostseeraumes so bedeutende Person wie Günter Grass als "Günther Grass" (58) erscheint.
Christoph Schutte