Reinhold Reith: Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 89), München: Oldenbourg 2011, X + 196 S., ISBN 978-3-486-57622-1, EUR 19,80
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Die Enzyklopädie deutscher Geschichte hat sich zu einer kleinen Erfolgsgeschichte entwickelt. Von den Bänden, die inzwischen vorliegen, haben fünf bereits eine dritte Auflage erreicht. Der 89. Band aus der Feder von Reinhold Reith stellt einen Einstieg in ein Gebiet der Geschichtswissenschaft dar, das bisher relativ wenig Beachtung gefunden hat: Umweltgeschichte, eine junge Disziplin, die im Wesentlichen zwischen Wirtschafts-, Sozial- und politischer Geschichte angesiedelt ist. Der inhaltliche Teil enthält je zur Hälfte eine knappe Darstellung der bisherigen Ergebnisse und zur anderen Hälfte die Diskussion der Probleme und Methoden der Umweltgeschichtsschreibung.
Worum geht es in dieser sehr komprimierten Darstellung? Es geht zum einen um die sogenannten natürlichen Umwelten (insbesondere Klima, Naturkatastrophen) und zum anderen um die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur (anthropogene Umwelten). Im Mittelpunkt steht dabei Mitteleuropa, insbesondere das Heilige Römische Reich deutscher Nation, seit dem späten Mittelalter. Beide Eingrenzungen, die von Raum und jene von Zeit, können nicht mit der herkömmlichen historiographischen Periodisierung parallel laufen. Weder lassen sich Klima und Klimaveränderungen regional begrenzen, noch zeitlich fixieren. Deshalb gelangt Reith immer wieder in die Diskussion über die verschiedenen älteren und jüngeren Erklärungsmodelle, zumal er mit dem Fehlen von statistischen Daten für die Frühe Neuzeit zu kämpfen hat. Nach der "Warmperiode des Mittelalters" (43) folgte die sogenannte "kleine Eiszeit", deren Höhepunkt auf das Ende des 17. Jahrhunderts fiel: Der Temperatursturz zwischen 1670 und 1701 wird mit einer Phase abgeschwächter Sonnenaktivität begründet. Danach konstatiert Reith zunächst eine erneute Erwärmung, die von 1730 bis 1810 von zu kalten Jahreszeiten abgelöst wurde. In diesen Zeiträumen passierten Naturkatastrophen und Seuchenzüge, auf die die Menschen und die Obrigkeiten trotz mangelhafter Kenntnisse der Ursachen häufig schon adäquate Antworten fanden.
Bei der Schilderung der vom Menschen beeinflussten Kulturlandschaften der Frühen Neuzeit greift Reith auf das Bild von den sogenannten Thünenschen Ringen, ein Modell konzentrischer Kreise (Dorf-Äcker-Grünland-Wald; 25), zurück. Im Rahmen der Diskussion um die Nachhaltigkeit von Forst- und Bergbauwirtschaft weist er auf deren großen Anteil bei der Entstehung des modernen Beamten- und Steuerstaates hin. Interessant sind seine Ausführungen zu den Hexenverfolgungen und "frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der Kleinen Eiszeit" (77) als Reaktionen auf die Kälteeinbrüche am Ende des 16. Jahrhunderts. Die Seuchen waren seiner Meinung nach sowohl ein medizinisches als auch ein ökologisches Phänomen und führten erst im 18. Jahrhundert zu stärkerer Hygienepolitik der Städte, aber auch zur verbesserten individuellen Körperhygiene.
Ausgehend von der Umweltdiskussion der letzten Jahrzehnte, die das Waldsterben und die Atomkraftwerke im Zentrum hatten, diskutiert Reith die Bedeutung des Waldes, die er in der Frühen Neuzeit als Spender von Brenn- und Bauholz sowie als Ort der sogenannten Waldweide einerseits und als zunehmend bedeutender Erholungsort für die Stadtbevölkerung andererseits hatte. Leider kommt dabei die Schilderung, wie Holz als Energiequelle durch die Steinkohle substituiert wurde, zu kurz. Anders als in Großbritannien wurde die Steinkohle in Mitteleuropa erst spät, d.h. in der Hochindustrialisierungsphase erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts genutzt.
Im Kapitel über Stadt und Umwelt steht der "Stoffwechsel der Stadt" im Mittelpunkt: Die Versorgung mit Brenn- und Baumaterialien, mit Lebensmitteln, aber auch Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Sehr interessant sind in dem Zusammenhang die Veränderungen der Naturauffassungen im 18. Jahrhundert und die - durch den Druck des Bevölkerungswachstums - verstärkte Rücksichtnahme auf die natürlichen Ressourcen. Reith betont den Kontrast des Stoffwechsels der Industriegesellschaften, die einen hohen Anteil nicht-erneuerbarer Ressourcen verbrauchten, zu dem Stoffwechsel der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, die auf stärkere Nachhaltigkeit schon wegen hoher Preise und schwankender Naturproduktivität achtete. Geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit der Wiederverwertung von Materialien im Sinne von Stoffkreisläufen bzw. deren Substitution befassen, sind zu Recht als ein Forschungsdesiderat der Gegenwart zu bezeichnen (137ff.). Hier eröffnet sich ein weites gemeinsames Feld für Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Reith kann sich schon auf eine große Zahl von Publikationen stützen (147-179). Er bezieht das regionale Schrifttum in starkem Umfange mit ein und erschließt seine Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit durch solide Personen-, Orts- und Sachregister.
Es ist Reith sehr gut gelungen, in komprimierter Weise die Ergebnisse und offenen Fragen der bisherigen Umweltgeschichtsschreibung, aber auch ihre theoretischen und methodischen Probleme darzustellen. Dabei leidet die Lesbarkeit gelegentlich, wenn die zitierten Autoren im laufenden Text in zu dichter Folge erscheinen. Aber das ist offenbar ein editorisches Problem.
Ekkehard Henschke