Franz Brendle: Der Erzkanzler im Religionskrieg. Kurfürst Anselm Casimir von Mainz, die geistlichen Fürsten und das Reich 1629-1647 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 156), Münster: Aschendorff 2011, XIII + 578 S., ISBN 978-3-402-12802-2, EUR 59,00
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Die vorliegende Tübinger Habilitationsschrift ist im Kontext des Sonderforschungsbereichs 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" entstanden. Sie rekapituliert in chronologischer Weise zentrale Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges aus der Perspektive ihres Protagonisten, des Mainzer Kurfürsten Anselm Casimir Wambold von Umstadt. Brendle benennt sein Erkenntnisziel wie folgt: "Die Arbeit unternimmt [...] den Versuch, das Verhältnis von Politik und Religion im Dreißigjährigen Krieg dadurch genauer zu bestimmen, indem am Beispiel von Kurmainz die Rolle der Religion und ihr Einfluss auf die Politik auf den verschiedenen Ebenen der Entscheidungsträger, der passiv Betroffenen und der Erinnerung an den Krieg untersucht werden" (26).
Mit Anselm Casimir hat der Autor eine Persönlichkeit ausgewählt, deren reichspolitisches Denken und Handeln von der bisherigen Forschung nicht hinreichend behandelt worden ist. Dem niederadeligen Rittergeschlecht der Wambold von Umstadt entstammend, wurde Anselm Casimir konsequent mit dem Ziel einer geistlichen Laufbahn erzogen. Nach seiner Rückkehr von einem Studium der Philosophie und Theologie in Rom stieg er in bilderbuchartiger Weise auf der reichskirchlichen Karriereleiter nach oben und erlangte 1629 das verfassungsmäßig so bedeutende Amt eines Erzbischofs bzw. Kurfürsten von Mainz.
Wambold erwies sich in der Folgezeit als Verfechter eines politischen Kurses, der ganz maßgeblich von der Maxime einer Balance zwischen dem Reichsoberhaupt und dem Kurfürstenkollegium geprägt war. In konfessioneller Hinsicht unterschied er sich auf Reichsebene von den intransigenten katholischen "Falken" und bemühte sich als "Initiator und Motor" (207) um eine Ausgleichspolitik mit verständigungsbereiten protestantischen Reichsständen wie dem lutherischen Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt.
Der Kriegsverlauf hätte Anselm Casimir kaum härter treffen können: Ende 1631 musste er vor den Schweden und 1644 vor den Franzosen aus Mainz fliehen. Insbesondere seine Flucht vor den schwedischen Truppen, die ein über vier Jahre andauerndes Exil zur Folge hatte, stellte eine deutliche Zäsur im Leben Anselm Casimirs dar, stand er doch noch auf dem Regensburger Kurfürstentag 1630 im Zenit seiner Macht. Im Verlauf des Krieges vor die Alternative gestellt, sich für Frankreich oder für den Kaiser zu entscheiden, entschloss sich Wambold, anders als beispielsweise der Kurfürst von Trier, letztlich für eine enge Anlehnung an die Habsburger. Dies ging mit seinen fundamentalen reichspolitischen Zielen einher, zu einem Ausgleich zwischen Kaiser und Reichsständen und einer Klärung der Religionsfrage im Sinne eines allgemeinen Reichsfriedens zu gelangen, was dann im Frieden von 1648, den Anselm Casimir nicht mehr erlebte, schließlich auch umgesetzt wurde.
Brendles Darstellung ist erkennbar davon geprägt, Wambold aus dem Schatten der Protagonisten des Kriegsgeschehens heraustreten zu lassen. Einige Beispiele dafür seien hier genannt: Die Absetzung Wallensteins 1630 sei sein Werk gewesen, der Prager Friede von 1635 habe "den Geist mainzischer Ausgleichspolitik" (410) geatmet, und es sei letztlich sein Friede gewesen, der nach seinem Tod in Osnabrück mit den Protestanten geschlossen wurde. Die eigentliche Größe Anselm Casimirs liege darin, so Brendle, dass er bereits in den 1630er Jahren das "zukunftsweisende Konzept" (499) eines Ausgleichs mit den protestantischen Reichsständen vertreten habe, als viele auf katholischer Seite noch auf Waffenerfolge gegen die Protestanten hofften.
Die Arbeit leistet somit einen substanziellen Beitrag zu der von der Forschung oftmals vernachlässigten Reichspolitik geistlicher Reichsstände. Die Auswahl Anselm Casimirs erweist sich in diesem Zusammenhang als gewinnbringend, denn seine Vita vermag exemplarisch aufzuzeigen, wie es um die Handlungsspielräume mindermächtiger Reichsglieder im Falle europäischer Konflikte bestellt war. Selbst der Erzbischof und Kurfürst von Mainz, der aufgrund seiner verfassungsmäßigen Schlüsselstellung im Reich über beträchtliche Möglichkeiten verfügte, politische Akzente zu setzen, musste im Verlauf des Krieges wiederholt erkennen, wie begrenzt seine Gestaltungsmöglichkeiten im europäischen Mächtespiel letztlich waren.
Im Hinblick auf die Frage, ob und inwiefern der Dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg gewesen sei, fällt das Votum Brendles eindeutig aus. Auf der Grundlage der von ihm herangezogenen Quellen gelangt er zu dem Befund, dass das religiöse Motiv bis 1635 (und nicht bis 1630, wie in der Forschung oftmals betont wird) den Charakter des Krieges maßgeblich prägte, ja, dass die Zeitgenossen im Jahr 1630 nahezu einhellig der Meinung gewesen seien, gerade jetzt beginne ein großer Religionskrieg.
Brendles gediegene, mit vielen Quellenzitaten angereicherte Untersuchung erweist sich insgesamt gesehen in mehrerer Hinsicht als aufschlussreich: Sie analysiert die um Ausgleich mit den protestantischen Kräften bemühte Reichspolitik Anselm Casimirs, verortet dessen konfessionell moderate Haltung in komparatistischer Weise innerhalb des katholischen Lagers und zeigt die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen eines Reichsstandes von nachrangiger machtpolitischer Bedeutung in einem Krieg auf, der von vielen Zeitgenossen als Strafgericht Gottes verstanden wurde. Mit Brendles Arbeit und der im gleichen Jahr erschienenen Habilitationsschrift von Thomas Brockmann über Kaiser Ferdinand II. [1] liegen nunmehr zwei Monografien vor, die neue Einblicke in die Politik und Gedankenwelt führender katholischer Entscheidungsträger im Heiligen Römischen Reich während des Dreißigjährigen Krieges ermöglichen.
Anmerkung:
[1] Thomas Brockmann: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. Neue Folge, H. 25), Paderborn [u.a.] 2011.
Michael Rohrschneider