Rezension über:

Robert M. Citino: The German Way of War. From the Thirty Years War to the Third Reich (= Modern War Studies), Lawrence, KS: University Press of Kansas 2005, XIX + 428 S., ISBN 978-0-7006-1410-3, USD 14,99
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Rezension von:
Dieter Langewiesche
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Langewiesche: Rezension von: Robert M. Citino: The German Way of War. From the Thirty Years War to the Third Reich, Lawrence, KS: University Press of Kansas 2005, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/20992.html


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Robert M. Citino: The German Way of War

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In Deutschland scheint anders als im englischen Sprachraum dieses Buch des angesehenen Militärhistorikers, der an der Eastern Michigan University lehrt und Gastprofessor an der US-Militärakademie in West Point war, bislang keine Beachtung und keinen Rezensenten gefunden zu haben. Das mag daran liegen, dass Militärgeschichte als Operationsgeschichte in Deutschland ins Abseits geraten ist. Dies war wohl der Preis für die gelungene Integration der Militärgeschichte in die Geschichtswissenschaft. [1] Warum es nicht dabei bleiben sollte, die Operationsgeschichte aus der neuen Militär- und Kriegsgeschichte auszugrenzen, begründet dieses Buch eindrucksvoll. Schlachten zu untersuchen, ist für Citino kein Selbstzweck. Er fragt nach langen militärgeschichtlichen Kontinuitätslinien: Gab es auf der operationellen Ebene eine spezifisch preußisch-deutsche Art der Kriegführung? Antworten werden nicht wie üblich bei den bedeutenden Theoretikern des Krieges gesucht, sondern in der Kriegspraxis. Scharnhorst, Clausewitz, "the great Moltke", wie er ihn nennt, Schlieffen und andere kommen zu Wort, doch Erfolg oder Misserfolg in der Schlacht hingen davon ab, wie "the officer on the spot" (152) seinen Auftrag umsetzte, und deshalb könne der Frage nach einem "German Way of War" angemessen nur auf der Ebene der Operationsgeschichte nachgegangen werden.

Kein Zweifel, so Citino, es gab diesen deutschen Weg der Kriegführung. Entstanden im 17. Jahrhundert in Preußen unter dem Großen Kurfürsten, voll ausgebildet von Friedrich II. habe er sich bis zum Ende des II. Weltkriegs in seinem Grundmuster nicht verändert: "the art of operational-level warfare" (82) des preußischen und dann im Nationalstaat des deutschen Militärs sei stets auf den Bewegungskrieg ausgerichtet gewesen, um den schnellen, kriegsentscheidenden Schlachtensieg zu erzwingen. Für diesen Krieg wurden die Mannschaften und die Offiziere ausgebildet: "offensive-orientated, aggressive, and always in search of rapid victory" (149). Diese friedrizianische Art der Kriegführung habe sich von Hohenfriedeberg über Leuthen und Königgrätz bis nach Südwestafrika, wo die deutsche Armee "some of the most brutal campaigns in the entire history of the age of imperialism" führte, in "the corporate memory of the Prussian-German officer corps" eingebrannt (103). Auf sie war auch die Ausbildung der Offiziere ausgerichtet. Denn "the operational war of movement" (89) verlangte entscheidungsstarke Offiziere in den Führungsstellen. "When doctrine failed, as it often does on a real-life battlefield, the commander had to be ready to act. The German way of war matched intellect and drive, and one who studies it must give equal time to 'the Genius of Gneisenau and the aggression of Blücher'." (141) Nicht handeln galt als verderblicher denn eine falsche Entscheidung. Deshalb sei es unangemessen, so Citino, nach individuellen Gründen zu suchen, als 1870 in der Schlacht bei St. Privat Prinz August von Württemberg seinem Gardekorps eigenmächtig den Befehl zum Angriff gab. Dieser "unauthorized and invariable bloody assault" sei vielmehr wie viele ähnlich gelagerte Angriffsentscheidungen in anderen Kriegen "part and parcel of the Prussian command ethos" und somit systembedingt gewesen (187).

Den Ursprung dieser Art von Kriegführung sieht Citino in der historischen Ausgangsposition Preußens. Als kleiner Staat mitten in Europa, umgeben von größeren, konnte Preußen keine langen Kriege gewinnen. Seine knappen Ressourcen verlangten den kurzen Krieg mit schneller Entscheidung. Dieses preußisch-deutsche "pattern of Bewegungskrieg" war zugeschnitten auf die begrenzten Räume Mittel- und Westeuropas "with its fine road network and its temperate climate", nicht auf die ganz anderen Bedingungen in der Sowjetunion und in Nordafrika (XV). Auf die Kolonialkriege geht Citino nicht ein, doch seine Analyse des Grundmusters deutscher Kriegführung lässt erkennen, was zu erwarten ist, wenn Offiziere, die geschult sind, die schnelle Entscheidungsschlacht aggressiv zu suchen, auf Gegner treffen, in deren Kultur ganz anders Krieg geführt wird. Hier führte, was Generationen deutscher Offiziere gelernt hatten, zu Gewaltexzessen. Kriege in anderen Kulturräumen gehörten nicht zu dem Lernprozess, den Citino seit den Kriegen des Großen Kurfürsten beschreibt. Sie wurden für die deutschen Offiziere bis ins 20. Jahrhundert "a model of maneuver-oriented war, of improvisation, of bold and aggressive command." (33) Was man später "Auftragstaktik" nannte, die großen Entscheidungsfreiräume der Befehlshaber an der Front, um das vorgegebene Ziel möglichst schnell zu erreichen, sei damals entstanden und dann immer aufs neue den großen Veränderungen des Krieges im 19. und 20. Jahrhundert angepasst worden, ohne jedoch das Grundmuster aufzugeben. Citino analysiert im Krieg und von Schlacht zu Schlacht einen kontinuierlichen Lernprozess. Offiziere haben ihn mit einer hochentwickelten Militärgeschichtsschreibung theoretisch fundiert. Auch auf sie geht Citino ein, wenn er etwa Clausewitz und Jomini vergleicht, doch aus ihr könne die Besonderheit der deutschen Kriegsführung nicht abgeleitet werden. So mancher Kommandeur in den Kriegen unter Moltkes Leitung hätte dessen Konzept des Zusammenwirkens getrennter Heere nicht besser verstanden als "a modern undergraduate", doch es genügte "he was aggressive, he almost attacked first". Wer so handelte, tat es "in the best traditions of the service", und er konnte sicher sein, dass der Kommandeur nebenan ebenso dachte und handelte (141). Im 20. Jahrhundert wurde aus diesem Verhaltensmuster, das Ressourcen-Unterlegenheit durch eine schnelle militärische Entscheidung zu kompensieren suchte, ein gefährliches Erbe, wenn aus ihm gefolgert wurde, so lasse sich auch eine Übermacht von Gegnern schlagen.

Operationsgeschichte, wie Citino sie schreibt, zielt also darauf, aus der Analyse einzelner Schlachten lange Entwicklungslinien abzuleiten und zeitliche übergreifende Handlungsdispositionen der militärischen Akteure freizulegen. Sie bietet aber auch weiterführende Einsichten in die Einschätzung einzelner Phasen der Kriegsgeschichte, und Citino scheut sich nicht, seine Meinung deutlich zu formulieren. So bezieht er kräftig Position gegen die geläufige Vorstellung, seit der Französischen Revolution und Napoleon habe die "Nation in Waffen" eine neue Form des Krieges erschaffen. Auf der operationalen Ebene sei die wirksamste Neuerung die Formierung großer Einheiten oberhalb des Regiments geworden. Sie umfassten alle Waffenarten, konnten selbständig marschieren und kämpfen, so dass der Oberkommandeur eine weitaus größere Armee als bisher effizient zu leiten vermochte. Napoleon hat als erster das Potential dieser neuen Organisation erkannt und meisterhaft genutzt, während die preußische Armee damals nicht mehr als "an ossified relic" konserviert "as a fly in amber" gewesen sei (110). Unter den preußischen Militärreformen bewertet er die neue Organisation nach französischem Vorbild als die wichtigste.

1813 gilt ihm als "a conceptual link between the wars of Frederick the Great, the art of war as practiced by Napoleon, and the great nineteenth-century campaigns of Helmuth von Moltke" (138), der fähiger als jeder andere in seiner Zeit gewesen sei, die neuen Technologien einzubeziehen und die neue Massenarmee, "a huge body with a small brain", mit der Tradition des aggressiven Bewegungskrieges zu verbinden: "At that point, a mutual slaughter began." (148)

Auch in der Kontroverse über die Bedeutung des Schlieffenplans bezieht er pointiert Stellung. Schlieffen habe im Frieden über den künftigen Krieg nachgedacht und ihn durchgespielt, nicht jedoch die deutsche Kriegführung im I. Weltkrieg determiniert. Er spricht vom Moltke-Plan (212), der keineswegs zwangsläufig in die Niederlage geführt habe. Bislang sei nicht richtig gewürdigt geworden, dass der Stellungskrieg im Westen für Deutschland mit seiner Tradition der schnellen aggressiven Operationen nachteiliger gewesen sei als für die Nachbarn. Lernen aus dem I. Weltkrieg hieß für die deutsche Militärführung, die Armee so zu organisieren, dass sie auf der operationalen Ebene wieder fähig zum Bewegungskrieg wird. Die spezifisch deutsche Antwort war die Panzerdivision als "a combined arms formation". Er nennt sie "the most important military innovation in the interwar period" (254), erfolgreich erprobt gegen Polen. Für das deutsche Militär sei der "Blitzkrieg" nichts Neues gewesen, sondern "a renaissance" (267) der im I. Weltkrieg unterbrochenen deutschen Tradition des auf die schnelle Entscheidung angelegten Bewegungskrieges. Auch Hitlers Offensivkrieg gegen die Sowjetunion ordnet er in diese deutsche Tradition der Kriegführung ein. Als "classic front-loaded campaign", deren Erfolg vom "rapid blow from the outset" abhänge, stehe er "completely in keeping with past German wars" (292). Allerdings endete nun die Unabhängigkeit der höheren Kommandeure auf der operationalen Ebene, die zum Kern der preußisch-deutschen Art der Kriegführung gehört hatte. Sie nicht wieder aufleben zu lassen, gehörte zu den Zielen, in denen die alliierten Sieger übereinstimmten und die sie durchsetzten.

Citino ist ein stimulierendes Werk gelungen, anregend gerade auch dort, wo er gegen die blinden Stellen in der neuen Militär- und Kriegsgeschichte schreibt. Deutlich wird allerdings auch, was eine künftige Operationsgeschichte noch leisten muss: Citino nennt zwar die Kriegsverbrechen der Wehrmacht, und er deutet sogar Kontinuitätslinien bis zurück in den Siebenjährigen Krieg an (273), doch in seine Analyse des militärischen Geschehens auf der operationalen Ebene geht dies nicht wirklich ein. Ebenso nicht die nationalen Emotionen in den Kriegen des 19. Jahrhunderts. Dies zu ändern müsste eine Operationsgeschichte, die so selbstbewusst antritt, wie die Citinos, als eine Herausforderung begreifen.


Anmerkung:

[1] Rückblicke in diese Integration und auch Hinweise zur Leistungsfähigkeit einer modernen Operationsgeschichte bieten Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hgg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn u.a. 2000.

Dieter Langewiesche