Horst Carl / Ute Planert (Hgg.): Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger - Medien - Deutungskonkurrenzen (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 15), Göttingen: V&R unipress 2012, 383 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-89971-995-6, EUR 53,90
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Militärgeschichte und Erinnerungskulturen waren lange diametral entgegengesetzte Forschungsfelder. Über Jahrzehnte beschäftigten sich die Militär- und gewissermaßen auch die Kriegsgeschichte mit Schlachten, Taktiken und Truppenstärken. Die Erinnerungskultur und deren Erforschung wiederum waren in Deutschland über Jahrzehnte geprägt von der Beschäftigung mit der Shoa einerseits und andererseits mit der Untersuchung des mittelalterlichen Totengedenkens. Das hat sich in den letzten 15 Jahren geändert. Die Kulturgeschichte ist nun auch im Zentrum der Militärgeschichte angekommen. So sind Sammelbände über Kriegsbilder, Medien im Krieg oder zur Erforschung des Militärs aus kulturhistorischer Perspektive im deutschsprachigen Raum keine Seltenheit mehr. Auch die epochenübergreifende Perspektive von Erinnerungskulturen ist häufig debattiert worden.
Erfreulicherweise deckt der vorliegende Band eine Lücke der Forschung auf und erschließt gleichsam neue Wege der Erforschung der militärischen Erinnerungskulturen. Insbesondere durch die Wahl einer Binnenperspektive auf die Erinnerungskultur und indem er Militärgeschichte und kulturwissenschaftliche Erinnerungsforschung gekonnt zusammenbringt. Anlass für diesen Sammelband war eine Tagung im September 2009 in Gießen, die im Rahmen des dort angesiedelten SFB 434 "Erinnerungskulturen" in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (AMG) stattfand.
Der Band ist untereilt in chronologisch geordnete Kapitel, die jeweils Spezifika der Epoche hervorheben sollen. Dass es hierbei zu epochen- und themenübergreifenden Querbezügen und Überschneidungen kommt, ist verständlich. Geht es im ersten Abschnitt um ständisch gebundene Erinnerungskulturen im spätmittelalterlichen Schlacht(en)gedenken, so thematisieren die Beiträge zur Frühen Neuzeit die medialen Konfigurationen der Erinnerung. Der dritte Abschnitt behandelt militärischen Korpsgeist und innermilitärische Erinnerungskulturen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Darauf folgen Beiträge zur gesellschaftlichen Kriegsmobilisierung in der napoleonischen Zeit und deren literarische Nachwirkungen als erinnerungskulturelle Zäsur. Deutlich wird bei der Lektüre der Einzelbeiträge, dass es epochenübergreifende Kontinuitäten des Erinnerns an Kriege und militärische Ereignisse gibt. Zu betonen gilt dabei, dass adliges Erinnern an Kriege offensichtlich anders funktionierte als in bürgerlichen Erinnerungskulturen. Diese These vertritt beispielsweise der Beitrag des Berliner Mediävisten Malte Prietzel. Er vergleicht eidgenössisches, städtisches Erinnern mittels Trophäen wie Beutefahnen mit den chronikalischen Erinnerungsformen aus der adligen Welt des 100-jährigen Krieges. Während Beutefahnen bei den Eidgenossen als Träger der kollektiven Erinnerung über Schlachtensiege (vornehmlich über den Adel) fungierten, hatten Fahnen und Trophäen als Erinnerungsmedien im Adel angeblich keine große Bedeutung. Dass beispielsweise Herrscherhäuser wie die Habsburger am Ende des 15. Jahrhunderts pompöse Triumphzüge nach erfolgreichen Schlachten und ganze Erinnerungsindustrien aufbauten, würde die These von Prietzel zumindest relativieren und herausfordern. Deutlich wird: In beiden sozialen Kontexten spielten Fahnen als Träger von Ehre eine wichtige Rolle und das militärische Erinnern musste immer wieder neu aktualisiert werden. Dies wird auch in den Beiträgen von Sascha Möbius zur chronikalischen, städtischen Erinnerungskultur in Lübeck und Oliver Landolt zur nachgereichten Heldenproduktion und zur materiellen Erinnerungskultur in der Eidgenossenschaft deutlich. Sabine Jagodzinski untersucht das Andenken an die Türkenkriege im polnischen Adel und verdeutlicht dabei ebenfalls, dass erbeutete Waffen und Ehrenzeichen durchaus auch in der adligen Welt zur Selbstinszenierung und Überhöhung der eigenen militärischen Taten dienen konnten.
Harriet Rudolf thematisiert das Erinnern an die siegreiche Schlacht von Lepanto vom 7. Oktober 1571 der Heiligen Liga gegen die Türken. Dabei macht sie neue Faktoren der Erinnerungskultur aus, die im Mittelalter vielleicht durchaus vorhanden gewesen waren, aber noch keine so prominente Bedeutung entwickelten: 1. Das gesteigerte Repräsentationsinteresse der zahlreichen beteiligten europäischen Fürsten und Republiken wie Genua und Venedig. Dieses führte zu einer wahren Medienschlacht um die Erinnerung selbst und den Deutungsanspruch über den Sieg. 2. Die konfessionelle Spaltung und die Gegenreformation waren Grundvoraussetzungen für eine starke Instrumentalisierung des Erinnerns an die Schlacht. 3. Die Inszenierung diente der Ablenkung von innen- wie außenpolitischen Spannungen. Ein Phänomen, welches sich bis in die Gegenwart zieht. 4. Durch die Druckmedien wurden mehr Personen an das Schlachtengedenken gebunden. Besonders einleuchtend ist Rudolphs Beitrag, weil er zeigt, dass Bilder im Rahmen der militärischen Erinnerungskultur zu visuellen Topoi werden können, wenn die entsprechenden historischen und sozialen Rahmenbedingungen vorhanden sind. Dass die einzelnen Abbildungen zu klein und qualitativ eher schlecht ausgefallen sind, ist allerdings zu bedauern.
Das Erinnern an Kriege und Schlachten wird in der Frühen Neuzeit zunehmend verwissenschaftlicht. Diskurse über das richtige und zuverlässige Erinnern sind zwar keine Erfindung der Frühen Neuzeit, sondern seit Aristoteles ein Thema. Dennoch kann eine zunehmende wissenschaftliche, auch innermilitärische Debatte im 17. und 18. Jahrhundert festgemacht werden, wie die beiden Beiträge von Thomas Weißbrich und Marian Füssel verdeutlichen. Die Suche nach Zeugen des Krieges und nach zuverlässigen Medien wird immer zentraler innerhalb der offiziösen, militärinternen Erinnerungskultur. Schlachtorte werden begangen und durch privates Expertentum historisiert. Die empirische Auseinandersetzung mit dem Krieg und dem Erinnern fallen zusammen.
Das Erinnern und sich Einschreiben in die militärische Geschichte erfolgte jedoch nicht nur auf wissenschaftlicher, sondern auf gänzlich unterschiedlichen Ebenen, sei dies durch Offiziere und Feldprediger (Beiträge Angela Strauss und Carmen Winkel), als auch Regimentsebenen (Beitrag Frank Zielsdorf). Vermutlich lässt sich eine Individualisierung und gleichzeitige Nationalisierung des Gedenkens und der Erinnerungskulturen im 19. Jahrhundert durchaus festmachen. Mit dem Nationalstaat und der Moderne wandeln sich die Bilder und die Instrumentalisierung des Krieges und die Erinnerungsproduktion nochmals grundsätzlich. In den Dienst der Nation und der nationalen Ehrzuweisung werden zunehmend Akademiker wie beispielsweise Historiker gestellt. Erinnerungskulturen werden so zu offizieller nationalpädagogischer Geschichtsschreibung. Erst mit der Abwendung von der nationalen Geschichtsschreibung nach 1945 scheint ein unverkrampfter Umgang mit der eigenen militärischen Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur möglich geworden zu sein (Beiträge Oliver Landolt und Armin Owzar).
Der schön gestaltete Sammelband vereinigt zahlreiche Facetten und Entwicklungen des Erinnerns an Kriege, der militärischen Erinnerungskulturen. Angesichts der Tatsache, dass sich die Beiträgerinnen und Beiträger auf der Gießener Tagung begegnet sind und sicher auch über militärische Erinnerungskulturen diskutiert haben, vermisst man die inneren Querbezüge und Verknüpfungen mit jeweils sach- und themenverwandten Beiträgen anderer Beiträger. Fragen der Geschichtstradierung und Instrumentalisierung von Geschichte und Vergangenheit werden nämlich in fast allen Artikeln aufgeworfen. Insofern dient der Band auch der künftigen Selbstreflexion der Geschichtsschreibung. Und das ist doch sehr erfreulich.
Michael Jucker