Sabine Penth: Die Reise nach Jerusalem. Pilgerfahrten ins Heilige Land (= Geschichte erzählt; Bd. 26), Darmstadt: Primus Verlag 2010, 144 S., ISBN 978-3-89678-819-1, EUR 16,90
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Das vorliegende Bändchen erzählt tatsächlich Geschichte im besten Sinne des Wortes. Es ist unterhaltsam, nie langweilig, sehr quellennah und basiert auf dem neuesten Forschungsstand. Dass es noch dazu glänzend geschrieben ist, macht seine Lektüre zu einem Vergnügen. All das kann man leider nur von wenigen Büchern sagen, auch nicht von solchen, die sich an ein breiteres Publikum wenden und diesem Geschichte ohne allzu große Wissenschaftlichkeit nahe bringen wollen.
In einem einführenden Kapitel erklärt die Verfasserin in leicht verständlicher Weise, weshalb überhaupt gewisse Orte für den Gläubigen "heilig" werden konnten, und wie sich diese Heiligkeit auswirkte, ja, das dort erfahrene Heil sogar mit nach Hause genommen werden konnte.
Da zu den für Christen heiligsten und wirkungsmächtigsten Orten Jerusalem und das Heilige Land zählten, beschreibt die Autorin sodann die "Reise nach Jerusalem" durch die Jahrhunderte, will sagen, von der Spätantike, als das Christentum noch jung war, bis zur Reformation. Am Ende des 15. Jahrhunderts erlebte die Jerusalemwallfahrt einen enormen Aufschwung, eine gewisse Blütezeit, und nahm geradezu Formen an, die an den modernen Pauschaltourismus erinnern, wie Sabine Penth anschaulich darlegt. Begleitet man die Verfasserin auf ihrer Reise, so erfährt man zunächst, wie und warum in der Spätantike der Wallfahrtsgedanke entstand und welche frommen Legenden dazu beitrugen, wie etwa die von der Auffindung des "Heiligen Kreuzes" durch Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins des Großen. Die Autorin belässt es aber nicht dabei, die Bedeutung dieser Legende zu referieren, sondern legt auch überzeugend dar, wie es dazu überhaupt kommen konnte. Der Wissenschaftlichkeit des Bändchens kommt es dabei zugute, dass die Verfasserin sich in einem eigenen Kapitel mit der Wallfahrtskritik beschäftigt, zu der es bereits in der Spätantike kam und die auch im Mittelalter immer wieder laut wurde. So schrieb etwa Petrus Venerabilis, der berühmte Abt des Reformklosters Cluny, in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, dass es zwar gut sei, "Jerusalem zu besuchen, wo die Füße des Herren standen", es jedoch "weit besser [sei], nach dem Himmel zu streben, wo man ihn selber von Angesicht zu Angesicht betrachten [könne]" (38).
Interessant ist auch, zu erfahren, dass der Hl. Hieronymus sich aufgrund eigenen Erlebens oder recht weltlicher Eitelkeit von einem glühenden Befürworter der Jerusalemwallfahrt zeitweilig zu einem entschiedenen Gegner derselben wandelte, um dann schließlich wieder auf seine vorherige Position einzuschwenken.
Was aber wäre ein Buch zu diesem Thema, wenn es nicht auch eingehend die verschiedenen Routen ins Hl. Land beschriebe? Und genau dieser Frage geht die Autorin im Kapitel "Zu Lande oder zu Wasser" nach (43-50). Dabei macht sie darauf aufmerksam, dass in der Spätantike und im Frühmittelalter, als das römische Straßennetz noch intakt war, die Reise über Land bevorzugt wurde, während etwa seit den Kreuzzügen, vor allem aber im späteren Mittelalter, der Seeweg favorisiert wurde. Als plausible Erklärung dafür - wie denn überhaupt für die Entwicklung der Wallfahrt in den Nahen Osten - verweist Sabine Penth auf die umwälzenden politischen Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf den Pilgerverkehr. Als Beispiele führt sie dazu die muslimische Expansion im 7. und 8. Jahrhundert an, das Zeitalter der Kreuzzüge, als sich das Hl. Land zeitweilig in christlicher Hand befand, die Herrschaft der Mamluken, die es bis 1517 kontrollierten, und den Aufstieg des Osmanischen Reiches.
Schließlich stellt die Verfasserin einige bekannte und weniger bekannte Wallfahrer bzw. Wallfahrerinnen vor und referiert in höchst unterhaltsamer Weise deren recht unterschiedliche Reiseberichte. Der weite Bogen spannt sich dabei von dem namentlich unbekannten "Pilger von Bordeaux" über die Klosterfrau Egeria und die römische Matrone Paula aus dem früheren bzw. späten vierten Jahrhundert bis hin zu dem Dominikaner Felix Fabri Ende des 15. Jahrhunderts. Dabei erfahren wir u. a., dass der Anonymus im Jahr 333 n. Chr. das damals noch gut funktionierende römische Straßennetz mit seinen zahlreichen Relaisstationen benutzen konnte, wie sich die lange Reise in den Orient allmählich unter dem Einfluss der islamischen Eroberung des Landes und der Kreuzzüge veränderte und wie im Laufe der Zeit der Seeweg immer bedeutsamer wurde. Und hier kommt der Leser nicht umhin zu schmunzeln, wenn er unter anderem über die guten Ratschläge liest, die etwa der spätmittelalterliche Ulmer Dominikaner Felix Fabri oder der Konstanzer Patrizier Ritter Konrad von Grünemberg all denen mit auf den Weg gaben, die zu Schiff von Venedig nach Palästina wallfahren wollten.
Das ausgehende 15. Jahrhundert ist dann auch die Zeit, in der die fromme Wallfahrt immer mehr zur Bildungsreise aufgeschlossener und neugieriger Adliger wurde. Gleichzeitig erklärt die Verfasserin aber auch, wie sich das europäische Reise- und Wallfahrtswesen durch interne wie äußere Einflüsse am Ende des Mittelalters respektive in der Frühen Neuzeit veränderte. Auf der einen Seite verweist Sabine Penth dabei als Ursache auf die Reformation in Europa und eine damit einhergehende veränderte Religiosität, auf der anderen auf das Erstarken des Osmanischen Reiches. Indem dieses anstelle des mit den Europäern auf gar nicht so schlechtem Fuß stehenden Mamlukenreiches 1517 die Herrschaft über den Nahen Osten und damit auch über das Hl. Land und Jerusalem antrat, wurde das Reisen in die Levante zunächst erheblich erschwert und gefährlicher.
Gekonnt wird die Entwicklung des Wallfahrtswesens von der Autorin stets in die sich über den langen Zeitraum hinweg ständig ändernden politischen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und militärischen Rahmenbedingungen sowohl im Heiligen Land als auch in den von den Pilgern durchquerten Gebieten eingebettet. Der jeweilige zeitgeschichtliche Hintergrund bildet dabei den Rahmen für die Einordnung der von den Pilgern in ihren Reiseberichten überlieferten Erlebnisse und Beobachtungen. Dies trägt ganz wesentlich zum Verständnis der geschilderten Ereignisse bei, denn solche grundlegenden Kenntnisse über die jeweilige Situation in Orient und Okzident erleichtern den Zugang zum Thema auch für ein breiteres Publikum erheblich. Erst diese Einordnung in den jeweiligen Referenzrahmen schafft die notwendigen Bindeglieder zwischen den geschilderten Einzelereignissen und macht aus ihnen erzählte Geschichte in wahrstem Sinne des Wortes.
Dass die von der Autorin zitierten Quellenstellen von dieser neu übersetzt wurden und dabei frühere Fehler und Ungenauigkeiten ausgemerzt werden konnten, ist kein geringes Verdienst der Verfasserin, auch wenn dies sich nur dem Fachmann erschließen dürfte. Ein knapper Anmerkungsapparat und ein auf das Notwendigste beschränktes Literaturverzeichnis beschließen das ansprechende, informative und - bei aller Wissenschaftlichkeit - kurzweilige Bändchen, das man Fachleuten wie interessierten Laien nur empfehlen kann.
Peter Thorau