Rezension über:

Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen, München: Siedler 2011, 288 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-88680-984-4, EUR 19,99
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Rezension von:
Brigitte Meier
Kulturwissenschaftliche Fakultät, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/O.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Meier: Rezension von: Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen, München: Siedler 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20189.html


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Jürgen Luh: Der Große

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Der 300 jährige Geburtstag des preußischen Königs Friedrich II. (1712-1786) wird im Land Brandenburg durch zahlreiche wissenschaftliche Tagungen, eine innovative Ausstellung im Neuen Palais in Potsdam und zahlreiche Publikationen systematisch vorbereitet. Jürgen Luh, der das wissenschaftliche Tagungsgeschehen in Potsdam mit verantwortet, stellt nun in einem interessanten Buch seine ganz spezielle Sicht auf diesen legendären preußischen König vor, der heute in seinen wahren Leistungen umstrittener denn je ist.

Wer eine chronologisch geordnete, auf dem neuesten Forschungsstand basierende Biografie erwartet, der wird enttäuscht. Denn der Autor hat mit seinen auf den ersten Blick fast willkürlich gewählten Kapiteln (Ruhmsucht, Hartnäckigkeit, Eigensinn und Einsicht) nicht die Absicht, das Leben dieses seit drei Jahrhunderten von Laien und Historikern verklärten Königs detailliert zu beschreiben. Wie der Titel des Buches schon zeigt, legt Jürgen Luh vielmehr das Hauptaugenmerk auf die Selbstinszenierung eines seit seiner Kindheit schwer traumatisierten Herrschers, dessen Egoismus und Egozentrismus sich nur im Vergleich mit anderen Herrschergrößen relativieren ließe. Doch diese Perspektive wählte der Autor leider nicht. So führt er uns einen preußischen König vor Augen, der "groß" sein wollte und der sein ganzes Tun danach ausrichtete.

Jürgen Luh konzentriert sich bei seiner Stoffauswahl allein auf das Bestreben Friedrichs, den Makel seiner Jugend und den damit einher gehenden Ehrverlust aus dem kulturellen Gedächtnis der europäischen Fürstenhöfe auszumerzen, in dem er alles tat, um sich der Nachwelt als ein großer Herrscher zu präsentieren. Friedrichs dilettantisch geplante Flucht 1730 und die strafrechtliche Verfolgung dieser Desertion durch seinen Vater Friedrich Wilhelm I., dem leider auch in diesem Buch wieder nur Klischees angeheftet wurden, stellen den Höhepunkt eines typischen Vater-Sohn-Konflikts in einem Herrscherhaus dar. Dieser Konflikt verlief aber anders, als Friedrich gehofft hatte. Der Vater nahm den Sohn nicht in den Arm und überdachte seine Handlungen, sondern er ließ Friedrich als Deserteur verhaften und stellte ihn vor ein Kriegsgericht. Für den Erstgeborenen eines Königshauses war diese Behandlung psychisch und physisch kaum verkraftbar. Nach diesen schrecklichen Erlebnissen war der junge Thronfolger ein anderer. Fortan prägten Misstrauen, Ironie, Sarkasmus, Angst vor dem Ehrverlust und ein alles dominierender Egoismus sein Leben. Friedrich wollte nur noch an die Macht kommen, um dann allen europäischen Herrschern zu beweisen, dass sie fortan mit ihm, dem verurteilten Deserteur, rechnen müssten. In seinen begabten Brüdern sah er fortan nur noch potentielle "Königsmörder", die er im Zaume halten musste. Überall witterte Fritz Verrat, und so unterstellte er seiner Umgebung denselben Egoismus, den er seit 1740 für alle spürbar an den Tag legte.

Mit seinem auf die Größe Friedrichs ausgerichteten Buch setzt der Autor ohne Frage neue Akzente und fokussiert die unendliche Materialfülle auf den eigentlichen Lebensinhalt dieses nur vermeintlich "aufgeklärten" Monarchen. Friedrich wollte in die Reihen der großen Herrscher aufrücken und dafür allein lebte, arbeitete und kämpfte er tagtäglich und ununterbrochen. Aufklärung, Bildung, Kunst, Theater oder Musik waren ihm nur Mittel zum Zweck. Es ist nur folgerichtig, dass Jürgen Luh die so oft fehlgedeutete Toleranz Friedrichs II. erst gar nicht thematisiert oder Friedrichs Ignoranz der deutschen Sprache und der deutschen Aufklärung lediglich kurz streift. Wichtiger sind dem Autor all jene Beispiele aus Friedrichs Herrscherleben, die sein Machtstreben und seinen Narzissmus verdeutlichen.

Jürgen Luh präsentiert uns einen preußischen König, der für seinen politischen Senkrechtstart über zahlreiche Leichen ging, der unfähig war, Menschen Vertrauen entgegen zu bringen, der den Familienmitgliedern ebenso misstraute wie seinen wenigen Freunden, der rechthaberisch war und nur in Ausnahmefällen auf den begründeten Rat anderer hörte. Friedrich II. starb 1786 mit der Gewissheit in Sanssouci, für seinen eigenen Nachruhm vortrefflich gesorgt zu haben. Er hinterließ seinem Neffen Friedrich Wilhelm II. ein schweres Erbe mit der Überzeugung, dass er, "Friedrich der Große", schon zu seinen Lebzeiten alles dafür getan hatte, den Ruf seines Nachfolgers systematisch zu beschädigen und ihn als unfähig, tölpelhaft und faul im kulturellen Gedächtnis der Zeitgenossen und der Nachwelt zu verorten. "Der Große Friedrich" interessierte sich so ganz und gar nicht dafür, was aus seinem Land nach seinem Tode werden würde. Die Menschen sollten seinen Verlust spüren und ihn in ihrem Gedächtnis behalten als den "ersten Diener des Staates", der sich als einziger für diesen aufopferte. Friedrich hat sein Ziel erreicht. Über 300 Jahre gab es nur wenige Stimmen, die seine Größe anzweifelten und sich um eine kritische Wertung seiner Leistungen bemühten. Einige wenige Autoren (unter anderen Theodor Schieder, Ingrid Mittenzwei, Wilhelm Bringmann, Peter-Michael Hahn) thematisierten die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit dieses nach Legitimation lechzenden Herrscherlebens im Zeitalter der Aufklärung. Hier ist auch das Buch von Jürgen Luh einzuordnen.

Bedauerlich ist nur, dass der Verfasser sich nicht die Mühe gemacht hat, einen Blick in die anderen europäischen Herrscherhäuser des 18. Jahrhunderts zu werfen. Denn hätte Jürgen Luh die "Staatbildung als kulturelle[n] Prozess" (Wolfgang Reinhard, Ronald G. Asch, Dagmar Freist) stärker theoretisch und vergleichend betrachtet, hätte sich das Streben Friedrichs II. nach Größe relativiert. Der "alte Fritz" war ein typischer Herrscher seiner Zeit, vielleicht etwas einsamer, schrulliger, berechnender und etwas medienorientierter als die anderen Könige, Königinnen oder Zarinnen seiner Zeit.

Wer sich über den steilen Aufstieg Friedrichs vom doppelzüngigen Thronfolger zum gefürchteten europäischer Herrscher informieren möchte und wer bereit ist, mehr über Friedrichs Schwächen als über seine "wahren" Leistungen zu erfahren, wird an diesem unterhaltsam geschriebenen Buch von Jürgen Luh viel Freude haben.

Brigitte Meier