Jürgen Overhoff: Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung, Stuttgart: Klett-Cotta 2011, 365 S., 8 meist farb. Bildtafeln, ISBN 978-3-608-94647-5, EUR 22,95
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Auf den ersten Blick mögen Titel und Thema des hier anzuzeigenden Bandes überraschen, in dem Jürgen Overhoff ganz in der Tradition von Plutarchs Parallelbiographien die an sich so grundverschiedenen Gestalten Friedrichs des Großen und Washingtons gegenüberstellt. Was vermag einen europäischen Fürsten des Rokoko und einen Sprössling der colonial gentry Erwähnenswertes verbinden? Das offensichtlich hier dominierende Fragezeichen ist wohl auch der Grund dafür, weshalb dieses Unterfangen bislang nicht unternommen wurde. Ist es sinnlos, absurd oder gar vermessen?
Overhoff gelingt es in seinem schönen Band, den Leser vom Gegenteil zu überzeugen. In chronologisch geordneten Kapiteln, welche sich über die Zeitspanne eines Säkulums, von 1701 bis 1801, erstrecken, zeichnet er in bemerkenswert lesbarer und ansprechender Weise nicht nur die beiden Viten nach, sondern zeigt vor allem die beiden zugrundeliegenden kulturellen und sozialen Kontexte auf. Da es sich aber auch und zuvorderst um ein Lesebuch im wahrsten und eigentlichen Sinne des Wortes, also um eine Publikation handelt, welche nicht nur "konsultiert", "rezipiert" und "wahrgenommen", sondern wirklich - also ganz - gelesen werden will, kommt auch die Ereignisgeschichte nicht zu kurz.
Der Autor bringt für dieses weitgesteckte Anliegen die besten, ja unabdingbaren Voraussetzungen mit: eine große Vertrautheit mit der mitunter sehr weitläufigen Materie, eine nicht nur solide, sondern ausgezeichnete Kenntnis der Literatur und Forschungslage, sowie vor allem das heute vor allem hierzulande so selten gewordene Erzähltalent, also jene glückliche Vereinigung von Darstellungsvermögen, inhaltlicher Perzeption und Reflexion sowie einen angenehmen Stil.
Von diesen Elementen sei besonders auf die Literaturkenntnis verwiesen: Wiewohl der Verfasser sinnvollerweise auf die Angabe von Anmerkungen und Nachweisen im Text verzichtet, hat die der Erörterung folgende Auswahlbibliographie Referenzcharakter. In ihr finden sich auch abgelegenere und scheinbar weiter entfernt liegende Fragestellungen abdeckende Verweise, sodass man sie getrost als Basis für Seminare und allgemein für weiterführende Beschäftigung mit der Materie empfehlen kann.
Entstanden ist so ein Werk in der besten Tradition euro-amerikanischer Geschichtsschreibung - eine Tradition, innerhalb derer der Autor sich eindeutig der "Aufklärung" verpflichtet weiß. Hier könnte eine kleine Kritik ansetzen, denn - was ist "Aufklärung"? Sicherlich liefert der Band zahlreiche Symptome des geistigen und politischen Lebens des 18. Jahrhunderts, aber kann und soll man diese tatsächlich in dieses mittlerweile innerhalb der Historiographie - ähnlich wie andere Etiketten, "Konfessionalismus", "Absolutismus" oder "Imperialismus" etwa - keineswegs mehr unumstrittene Zwangskorsett stecken? Nun, dies mag jeder Leser für sich entscheiden; die gerade in der Einleitung gebotene flammende Apologetik der "Aufklärung" liefert hierzu eines von zahlreichen möglichen Argumenten.
Diese Überlegungen sollen und können den Wert und vor allem die Lesefreude an und mit dem vorliegenden Band jedenfalls keineswegs schmälern. In bewundernswerter Weise hat der Verfasser seine Grundidee der vitœ parallelœ durchgehalten, wiewohl dies nicht die einzig denkbare Herangehensweise an die Grundidee darstellt. Denkbar wäre auch eine Gegenüberstellung von zentralen, wiewohl zeitlich versetzten entscheidenden Momenten im Leben der beiden Protagonisten gewesen, deren völlig unterschiedliche militärische Ausgangslage etwa (hier eine perfekt funktionierende, vom königlichen Vater ererbte Armee, dort das Desaster eines bis zum Wendepunkt des Valley Forge disparaten Milizhaufens), das Ausharren in aussichtslosen Situationen (Friedrich in den Jahren 1760-1762, Washington bis zur Wende des Amerikanischen Krieges), die brillante, schließlich gegen jedes Erwarten siegreiche Taktik (Roßbach und Leuthen beziehungsweise das Second Crossing of the Delaware und die Battle of Trenton), das letztendliche Behaupten der eigenen Positionen und der damit verbundene Aufstieg zur politischen Größe (staatlich wie persönlich), die Liebe zu Kunst und Architektur, die Logenmitgliedschaft usw.
All dies findet sich im vorliegenden Buch, allerdings unter anderem Zugriff. Die oben angestellten Vergleiche sollen daher keineswegs als Verbesserungsvorschläge verstanden werden, sondern vielmehr aufzeigen, dass die beiden gewählten Akteure tatsächlich wesentlich mehr verband, als man auf den ersten Blick annehmen könnte, und folglich das Anliegen Overhoffs keineswegs einer obsessiven idée fixe entsprungen ist. Nein, Ambition und Bedeutung des Bandes sind evident, und Jürgen Overhoff hat mit ihm den schlagenden Beweis angetreten, dass klassische Darstellung und originelle, wenngleich ihrerseits traditionelle Ansätze sich keineswegs ausschließen müssen. Ein lesens- und empfehlenswertes Buch!
Josef Johannes Schmid