Rezension über:

Charlotte A. Stanford: Commemorating the Dead in Late Medieval Strasbourg. The Cathedral's Book of Donors and Its Use (1320-1521) (= Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot: Ashgate 2011, XX + 327 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-1-4094-0136-0, GBP 70,00
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Rezension von:
Sabine Klapp
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Klapp: Rezension von: Charlotte A. Stanford: Commemorating the Dead in Late Medieval Strasbourg. The Cathedral's Book of Donors and Its Use (1320-1521), Aldershot: Ashgate 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/21013.html


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Charlotte A. Stanford: Commemorating the Dead in Late Medieval Strasbourg

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Charlotte A. Stanfords Studie ist dem Donationsbuch der Straßburger Münsterfabrik gewidmet, dessen Entstehung und Entwicklung eng mit den Bautätigkeiten an der Kathedrale verknüpft ist. Name und Stifterwunsch von Personen, die an die Münsterfabrik spendeten, wurden im Schenkungsbuch notiert, das um das Jahr 1318 angelegt und bis zum Einsetzen der Reformation in den 1520er-Jahren weitergeführt wurde. In der bislang unedierten und inhaltlich kaum aufgearbeiteten Handschrift finden sich knapp 7000 Einträge mit Informationen zu den Stiftern und deren frommen Gaben. [1] Ziel ihrer Studie, so Stanford, sei es, die Handschrift in der Forschung bekannt zu machen und das Schenkungsbuch "within the setting of its creation" (17) zu kontextualisieren. Dabei möchte sie aufzeigen, wie die Handschrift mit ihrer liturgischen, sozioökonomisch-politischen sowie architektonischen Umgebung interagierte und welche Rolle sie bei der Finanzierung des Straßburger Münsters spielte. Für die Beantwortung ihrer Fragestellung wählt Standford einen interdisziplinären Zugang, den sie in fünf Hauptkapiteln entfaltet. Im Anhang finden sich fünf edierte Quellen(-Ausschnitte), darunter ein "typischer" Eintrag aus dem Donationsbuch sowie die Transkription dreier Anniversarstiftungen zugunsten eines der Straßburger Beginenhäuser. Ein Orts- und Personenregister beschließt den Band.

In Kapitel 1 erfolgt zunächst eine gründliche Beschreibung der knapp 370 Blätter umfassenden Handschrift. Stiftername und -wunsch - je nach Gabe etwa Gebete oder Seelmessen - wurden zumeist in Form eines Anniversars in das Schenkungsbuch aufgenommen. Die Datierung, so Stanford, gestalte sich schwierig, da die Schenkungen erst ab dem 15. Jahrhundert regelmäßig mit einer Jahreszahl versehen worden seien. Da viele der Namenseinträge nur aus der Nennung des Vornamens bestünden, stoße die soziale Einordnung der Stifter zudem an Grenzen. Die Personen, deren Einträge Informationen zu Beruf oder Stand verraten, wertet die Autorin aus und stellt die Ergebnisse tabellarisch dar. Stanford weist darauf hin, dass mit 55 % mehr Männer als Frauen an die fabrica stifteten - ein Widerspruch zu Marie-José Nohlen, die das Geschlechterverhältnis der Stifter als nahezu ausgeglichen bezeichnet (51 % Männer, 49 % Frauen). [2] Es lassen sich Stifter aller Stände und sozialer Schichten nachweisen, wobei die städtischen Handwerker die größte Gruppe bildeten. Bei den meisten Stiftungen handelte es sich um Kleidergaben, gefolgt von Geldspenden, Rüstungen und Waffen sowie Schmuck. Hauptzweck der Spenden, so Stanford, sei neben der Sorge um das Seelenheil die Unterstützung der Münsterfabrik gewesen. Für den Übergang zum 15. Jahrhundert kann Stanford neue Strategien im Stiftungsverhalten ausmachen: Die mit der Gabe verbundenen Wünsche wurden detaillierter, etwa mit Blick auf Anzahl und liturgische Ausgestaltung von Messen.

Das Schenkungsbuch, so Stanford, könne nur vor dem Hintergrund seiner architektonischen und liturgischen Umgebung verstanden werden. So unternimmt die Autorin im zweiten Kapitel den Versuch, die Stiftungstätigkeit zugunsten der fabrica mit der Errichtung zentraler Baubestandteile der Straßburger Kathedrale in Verbindung zu bringen. Mit Blick auf den Bau der Westfassade und des Nordturmes kann sie deutliche Wechselwirkungen zwischen der Ankündigung der jeweiligen Bauvorhaben und dem Spendenaufkommen ausmachen. Als die Bauschritte am Münster im 15. Jahrhundert immer kleinteiliger oder - mit Blick auf den Bau des Südturmes - ganz aufgegeben wurden, sei auch der Spendenfluss geringer geworden. Seit dem 13. Jahrhundert, so Stanford, habe sich das Straßburger Münster immer mehr zu einer "Bürgerkirche" entwickelt. Einen vorläufigen Höhepunkt fand diese Entwicklung im 14. Jahrhundert, als die durch bürgerliches Engagement finanzierte Marienkapelle an der linken Seite des Lettners errichtet wurde, in der das Schenkungsbuch aufbewahrt worden sei.

In Kapitel 3 widmet sich Stanford der politisch-sozialen städtischen Umgebung der Handschrift, wobei sie den Weg Straßburgs von der Bischofs- zur Freien Reichsstadt nachzeichnet. Über weite Strecken verliert sie dabei ihr eigentliches Ziel, nämlich die Erforschung von Wechselwirkungen zwischen den politisch-sozialen Umwälzungen in der Stadt und dem Stiftungsaufkommen zugunsten der Münsterfabrik, aus den Augen. Ähnlich verhält es sich mit den reich bebilderten Kapiteln 4 und 5, die den (weiteren) Nekrologen des Münsters sowie dem Gebetsgedenken in anderen geistlichen Institutionen des spätmittelalterlichen Straßburg gewidmet sind: Minutiös wird etwa die Überlieferung der weiteren Nekrologe des Straßburger Münsters dargelegt, ein systematischer inhaltlicher wie formaler Vergleich der vorgestellten Handschriften mit dem Schenkungsbuch der Münsterfabrik unterbleibt jedoch.

Im letzten Kapitel der Studie geht Stanford der Frage nach, welche weiteren geistlichen Institutionen den Straßburger Bürgern Serviceleistungen wie Gebetsgedenken und Seelmessen anboten. Wie in Kapitel 4 nimmt sie dabei die Überlieferung von Nekrologen und Schenkungsbüchern in den Blick, wobei sie neben Straßburger Pfarreien u.a. den Reuerinnenkonvent sowie verschiedene Hospitäler und Beginenhäuser betrachtet. Auch in diesem Kapitel stellt die Autorin dem Schenkungsbuch in formaler Gestaltung, Datierung und Inhalt sehr unterschiedliche Handschriften gegenüber; ein systematischer Vergleich wird auch hier nicht betrieben. Abschließend kommt Stanford zu dem Schluss, dass die Münsterfabrik ein insgesamt erfolgreicheres Fundraising betrieben habe als die anderen Straßburger Kirchen: Im Gegensatz zu diesen sei es der Münsterfabrik gelungen, über Jahrhunderte eine beständig hohe Zahl von Stiftungen einzuwerben, wie das Schenkungsbuch deutlich erkennen ließe.

Die Lektüre von Stanfords Monografie hinterlässt ein zwiespältiges Bild. Das Ziel, die Handschrift einem größeren Leserkreis bekannt zu machen, dürfte die Autorin bei einer entsprechenden Rezeption des Buches wohl verwirklichen. Vor allem die Abbildungen sowie die vielen Textbeispiele geben einen direkten Einblick in Inhalt und formale Gestaltung der Quelle. Der interdisziplinäre Ansatz der Studie ist innovativ und öffnet den Blick für den komplexen Entstehungskontext der Handschrift, an der sich - folgt man der Autorin - tatsächlich bestimmte Bauabschnitte des Straßburger Münsters und politische Entwicklungen in der Stadt ablesen lassen. Dieses Bild wird indes getrübt durch eine Reihe methodischer und terminologischer Unschärfen. Keine Studie dieses Formats ist frei von Unstimmigkeiten, die Menge an missverstandenen oder falsch gelesenen Begriffen ist indes auffällig. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Bei der "porissa monasterii penitentium" - übersetzt mit "gate keeper for convent" - dürfte es sich wohl eher um die "priorissa" des Reuerinnenklosters gehandelt haben. Bei einem "faszieher" handelte es sich mitnichten um einen "hairdresser" (Tabellen 1.4 bis 1.6). Zwei "heidische küssen ziechen", also in der Technik des "Heidnischwerks" hergestellte Kissen(-Bezüge), übersetzt die Autorin mit - aus ihrer Sicht als Ausstattungsgegenstände für eine Kapelle unangemessene - "two heathen kissing figures" (41).

Aus methodischer Hinsicht hätte man sich einen insgesamt kritischeren Umgang mit den Aussagemöglichkeiten und -grenzen der Quelle, vor allem auch mit Blick auf die Vergleichsmöglichkeiten mit Schenkungsbüchern und Nekrologen weiterer Straßburger Kirchen gewünscht. Was zudem ins Gewicht fällt, ist der unsystematisch und lückenhaft anmutende Einbezug neuerer Forschungsliteratur zu Straßburg einerseits, zu Themen wie spätmittelalterliche Frömmigkeit oder bürgerliches Stiftungsverhalten andererseits. Zentrale Studien wie von Alioth zu den politischen Führungsgruppen der Stadt oder Rapps "Réforme et Réformation" wurden ebenso wenig einbezogen wie die Forschungen von Rüther oder Hirbodian zu den Straßburger Männer- und Frauenklöstern. Dies führt an einigen Stellen zu Fehlschlüssen, etwa wenn Pitanzstiftungen zugunsten eines Konvents als Beleg für dessen Armut gewertet werden (263), wenn die Beschreibung der Straßburger Hospitäler wie die Darstellung der Krankenhausversorgung einer modernen Großstadt anmutet (269) oder der Einfluss der ökonomisch desolaten Lage auf das Stiftungsverhalten der Straßburger im 15. Jahrhundert nur am Rande erwähnt wird. Der Leser, der neueste valide Forschungsergebnisse zum (bürgerlichen) Stiftungsverhalten im späten Mittelalter oder zur Straßburger Kirchengeschichte erwartet, wird nach der Lektüre der Monografie vielleicht enttäuscht sein. Wer einen Einblick in Inhalt und Aufbau des Donationsbuches haben möchte, dem sei das Buch von Stanford durchaus empfohlen.


Anmerkungen:

[1] Marie-José Nohlen (Strasbourg) bereitet derzeit eine Edition des Schenkungsbuches vor, vgl. zuletzt Dies.: Das "Donationsbuch" des Frauenwerks im Straßburger Münster. Erste Untersuchungsergebnisse, in: Neue Forschungen zur elsässischen Geschichte im Mittelalter, hgg. von Laurence Buchholzer-Remy u.a. (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte; Bd. 56), Freiburg / München 2012, 73-84. Vgl. ebd. sowie Luzian Pfleger: Das Schenkungsbuch des Strassburger Münsters, in: Das Elsassland 15 (1935), 101-106.

[2] Vgl. Nohlen, Donationsbuch (wie Anm. 1), 74.

Sabine Klapp