Rezension über:

Jan Eckel / Samuel Moyn (Hgg.): Moral für die Welt? Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren (= Schriftenreihe der FRIAS School of History; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 396 S., ISBN 978-3-525-31045-8, EUR 59,99
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Rezension von:
Peter Ridder
Köln
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Peter Ridder: Rezension von: Jan Eckel / Samuel Moyn (Hgg.): Moral für die Welt? Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/22477.html


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Jan Eckel / Samuel Moyn (Hgg.): Moral für die Welt?

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In dem Ende 2012 erschienenen Sammelband "Moral für die Welt", herausgegeben von Jan Eckel und Samuel Moyn, konzentriert sich die historische Menschenrechtsforschung auf die für die Zeitgeschichte bedeutenden 1970er Jahre und legt den Zäsur-Charakter dieser für die Menschenrechte entscheidenden Dekade frei. Der aus einer Tagung des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) 2010 hervorgegangene Band beinhaltet 14 Beiträge deutsch- und englischsprachiger Autoren und bietet nicht nur eine empirische Ergänzung des bisherigen Forschungsstandes, sondern vor allem eine historische Einbettung der Geschichte der Menschenrechte in die historiographischen Narrative über die 1970er Jahre.

Diese wurden bisher seitens der Geschichtswissenschaft als "Zeitalter des Zerfalls" und der "Krise" betrachtet, nicht aber als die des moralischen Durchbruches der Menschenrechte. Samuel Moyn beschreibt diese Synthese als "Paradoxon" (9) und plädiert für eine Betrachtung dieser Dekade als die "langen 1970er Jahre", die aus menschenrechtshistorischer Perspektive mit dem Biafra-Krieg beginnen und bis in die 1980er Jahre hineinreichen.

Darauf aufbauend zeigt Lasse Heerten in seinem Essay, wie durch den Biafra-Krieg das Recht auf Selbstbestimmung seine Schlüsselposition in der politischen Rhetorik postkolonialer Staaten verlor und damit den Weg bereitete für die Menschenrechtsdiskurse der 1970er Jahre (99).

Jan Eckel vertieft in seinem Beitrag die Überlegungen einer Synthese zweier Narrative der 1970er Jahre und bietet einen Erklärungsansatz für diese "heterogene Konjunktur" (22). Demnach stellte der Aufstieg der Menschenrechte in den "langen 1970er Jahren" keine kontinuierliche Entwicklung dar, sondern bildete eine "polyzentrische[...] wie schubweise[...]" (43) auftretende Reihe von Prozessen, welche aus den Rahmenbedingungen jener Dekade, wie u.a. der Dekolonisierung, der Détente und der Medialisierung, erwachsen sind und zugleich geformt wurde (43).

Neben diesen Rahmenbedingungen war es aber auch die Attraktivität der Menschenrechte selbst, die zu dessen Aufstieg beitrug. Die politische Rhetorik der Menschenrechte befand sich außerhalb der Logik des "Kalten Krieges", zudem wurde Moralität zu einer nützlichen politischen Ressource und die vermeintliche "unpolitische Politik" (64) der Menschenrechte ermöglichte es Akteuren verschiedenster Couleur sich dieser zu bemächtigen. Mit dieser "Verkomplizierung" der Narrative verdeutlicht der Herausgeber, dass es nicht eine Menschenrechtsgeschichte der 1970er Jahre gibt, sondern verschiedene Menschenrechtsgeschichten, die noch zusammengeführt werden müssen.

Dieser Befund zieht sich als roter Faden durch den Band und setzt die verschiedenen Beiträge miteinander in Verbindung. Drei Beiträge widmen sich der Rolle der Menschenrechte in Osteuropa und betonen dabei den polyzentrischen Charakter dieser Prozesse. Während in der Sowjetunion (Benjamin Nathans) die Menschenrechte den Dissidenten in den 1970er Jahren zum Selbstschutz dienten und anders als im Westen nicht zu einem moralischen Internationalismus führten, hatten es Oppositionelle in der DDR (Ned Richardson-Little) in den 1970er Jahren schwer, sich diese anzueignen, weil die SED-Regierung "sozialistische" Menschenrechte seit den 1960er Jahren außenpolitisch instrumentalisierte, stetig weiterentwickelte und somit staatlich zu monopolisieren trachtete. In Polen (Gunter Dehnert) hingegen trafen die Menschenrechte in den 1970er Jahren auf eine lange Tradition des Widerstandes und halfen, anders als in der Sowjetunion, eine breite Opposition in der Mitte der Gesellschaft zu konsolidieren und damit den Weg für Solidarność zu bereiten.

Einen vergleichbarer Effekt lässt sich auch in Südamerika konstatieren. Dabei war vor allem der bereits von Jan Eckel beschriebene, vermeintlich unpolitische Charakter der Menschenrechte, als "Politik der Antipolitik" (228), ein entscheidender Faktor und attraktives Moment, der in Chile, Brasilien und Argentinien die verschiedenen Oppositionsbewegungen gegen die Juntas konsolidierte, wie Patrick William Kelly in seinem transnational synthetisierenden Beitrag aufzeigt. Dabei dienten NGOs wie Amnesty International als Knotenpunkt, an dem sich die verschiedenen Menschenrechtsgruppen vernetzen und international Gehör finden konnten. Dies befördert vor allem in Argentinien (Lindsay Skiba) ein öffentliches Bewusstsein für Menschenrechte und trug dazu bei, den Druck auf die Militärdiktatur Pinochets zu erhöhen.

Ein divergierendes Bild bietet hingegen der Beitrag von Benjamin Gilde und Veronika Heyde zur Rolle Österreichs und Frankreich im KSZE-Prozess 1969-1983, indem die Autoren die machtpolitische Dimension von Menschenrechtspolitik in den Vordergrund stellen und aufzeigen, dass für diese beiden Staaten die KSZE keine Zäsur in der Außenpolitik darstellte.

Der korrelative Charakter von Menschenrechten zwischen Innen- und Außenpolitik wird besonders in dem Beitrag von Simon M. Stevens deutlich. In ihm wird gezeigt, dass sich die Demonstrationen gegen die Apartheid in Großbritannien erst in den 1980er Jahren zu Massenprotesten ausweiteten, als sich der Protest gegen die Apartheid mit der Ablehnung gegen die konservative Regierung von Margret Thatcher verband. Carl J. Bon Tempo zeigt dagegen für die USA, wie sich die Republikaner in den 1970er Jahren die Menschenrechtsprache aneigneten (Genese der Neokonservativen) und in den 1980er Jahren für eigene Interessen sowohl innen- als auch außenpolitisch einsetzten.

Hervorzuheben sind die Beiträge von Bradly R. Simpson zur Menschenrechtsbewegung in Indonesien und von Celia Donert zur Rolle der Frauenbewegung in Osteuropa. In Indonesien entwickelten die Aktivisten im Kampf gegen das Suharto-Regime eine eigene Menschenrechtssprache anstatt die von Amnesty International zu adaptieren. Bei der Auseinandersetzung mit den Frauenbewegungen wird deutlich, dass sich deren Ziele in Ost und West deutlich unterschieden, weswegen auch erst mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes Frauenrechte Teil einer international geführten Menschenrechtsdebatte wurden. Beide Beiträge eröffnen Forschungsgebiete der Menschenrechtsgeschichte, die bisher noch empirisch unerschlossen sind und einer weiteren Historisierung bedürfen.

Aus dem Rahmen fällt hingegen der metaphorisch ausschweifende Essay von Daniel Sergant, indem eine eigenständige long durée der Menschenrechtsgeschichte entwickelt wird, mit welcher der Autor erklärt, welche Umstände dazu führten, dass die Menschenrechte Ende der 1970er Jahre in der US-Außenpolitik an Bedeutung gewannen.

Der hier vorliegende Band bietet einen anregenden Ansatz, die für die Menschenrechte bedeutenden 1970er Jahre zu historisieren. Die divergierenden Menschenrechtsgeschichten, die durch die polyzentrische Analyse freigelegt werden, bieten ein facettenreiches Bild, welches die Komplexität "des moralischen Durchbruches der Menschenrechte" (Moyn, 9) in den 1970er Jahren verdeutlicht und eine Einordnung in die bisherigen Narrative der Zeitgeschichte ermöglicht. Damit ist eine Basis geschaffen, auf die künftige Studien aufbauen können.

Peter Ridder