Ulrich Gehn: Ehrenstatuen in der Spätantike. Chlamydati und Togati (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 34), Wiesbaden: Reichert Verlag 2012, 542 S., 46 s/w-Tafeln, ISBN 978-3-89500-861-0, EUR 98,00
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Mit der Veröffentlichung seiner Dissertation trägt Ulrich Gehn einen entscheidenden Teil zum besseren Verständnis einer Monumentengattung bei, die in den letzten Jahren wieder vermehrt im Fokus altertumswissenschaftlicher Forschung stand [1]. Er widmete sich nämlich der spätantiken Ehrenstatuen bzw., wie es der Untertitel verrät, den Darstellungen von Chlamydati und spätantiker Togati; beide stellen im 4. Jahrhundert neu entwickelte Statuentypen dar. Gehn liefert mehr als eine rein chronologische Ordnung des Materials. Damit geht er weit über die wenigen, älteren Publikationen zu diesem Thema [2] hinaus. Zum einen bezieht er erstmals Statuen aus dem Westteil des spätrömischen Reiches sinnvoll in die Untersuchung mit ein; zum anderen beleuchtet er das Verhältnis der magistratischen Ehrenstatuen zu denen der Kaiser und berücksichtigt auch Inschriftenformular und weitere literarische Quellen. Dabei entwickelt er stilistische wie typologische Datierungskriterien und nimmt anschließend eine ikonographische wie ikonologische Interpretation vor (14).
Nach einer Einleitung bietet das erste Kapitel eine Übersicht der Bestandteile des spätantiken Chlamys- bzw. Togakostüms. Angesichts der teilweise verwirrenden Begrifflichkeit in den spätantiken Quellen und der teils unscharfen Verwendung in der Forschungsliteratur ist dies sehr verdienstvoll. Hier erweist sich Gehn als Kenner spätantiker Realien und Quellen. Der teilweise lexikalische Aufbau dieses Kapitels macht es aber nicht immer zu einem Lesevergnügen; da Gehn auf ein Glossar verzichtet, bleibt es ein wertvoller Bestandteil des Buches.
Das kurze Kapitel 2 skizziert die "Einführung der neuen Repräsentationsformen seit dem Ende des 3. Jahrhunderts" anhand tetrarchischer und konstantinischer Porphyrstatuen, wobei dabei fast ausschließlich bekannte Sachverhalte referiert werden. Hier sei angemerkt, dass der 'thronende' Kaiser außerhalb von Götterangleichungen keine tetrarchische Neuerungen im Bereich der Kaiserikonographie darstellt (88). [4] Überzeugend gelingt es Gehn, die mutmaßliche Zusammengehörigkeit der sogenannten Prinzengruppe, [3] aufgrund ihrer stilistischen Unterschiede zu dekonstruieren (91-94).
Im darauf folgenden Kapitel 3 beleuchtet Gehn die ikonographische Entwicklung der spätantiken Repräsentationsornate beginnend mit den Staatsmonumenten tetrarchischer und konstantinischer Zeit. Erst in theodosianischer Zeit, nach "Festigung der kaiserlichen Bildmuster [...] der religionspolitischen Konsolidierung und [...] der Festigung der ordines dignitatum und der daraus resultierenden Festigung eines übergreifenden senatorischen Standesbewusstseins" (113), sei eine Übernahme der neu etablierten Bildmuster in die magistratische Repräsentation möglich geworden. Der Senatorenstand habe sein neues Verhältnis zum Herrscher und seine Amtstätigkeit als militia akzeptiert; dies sei nun konsequent durch neue Statuentypen vermittelt worden.
Kapitel 4 liefert eine chronologische Einordnung der untersuchten Ehrenstatuen östlicher Herkunft. Gehn unterscheidet eine früh-, mittel- spät- und eine nachtheodosianische Periode. Für jede chronologische Gruppe führt er statuarische Prototypen an, an denen sich die Charakteristika der Stilstufe am deutlichsten nachvollziehen lassen. Typologische Beobachtungen - besonders in Hinblick auf das Togakostüm - unterstützten die vorgebrachten Datierungsvorschläge. Dieser methodische Ansatz ist als klarer Vorteil gegenüber der reinen Stilanalyse sehr zu begrüßen. Ob sich die Datierungsvorschläge im Einzellfall halten lassen, wird auch ein Vergleich mit den Studien Martin Kovacs' zum spätantiken Privatporträt ergeben, deren Ergebnisse in Kürze erscheinen sollen. [5]
Kapitel 5 bildet das Pendant zum vorgehenden Kapitel und widmet sich den spätantiken Ehrenstatuen im Westteil des Reichs. Allerdings verlagert Gehn hier die "formanalytische Beschreibung der einzelnen Monumente sowie ihrer kunsthistorischen Einordnung und Datierung" (160) in den Katalogteil. Dadurch kann er sich Fragen nach den Aufstellungskontexten (öffentliche Platzanlagen, sogenannte Privatfora, domus), den Stiftern und dem Empfängerkreis widmen. Dabei betont er zu Recht die Sonderstellung Roms mit seiner dem Prinzipat verbundenen Senatorenschicht.
Der "Kreis der Geehrten" (191) steht auch im Zentrum des sechsten Kapitels. Die Mehrzahl der Statuen im Untersuchungszeitraum sei für Statthalter gestiftet worden. Das jeweilige Kostüm der Statue erlaube aber keine rangspezifische Identifikation des Geehrten, allerdings wurde die Toga "obwohl nicht notwendig auf einen höheren Rang bezogen, als die Chlamys, (und) als das prestigeträchtigere der beiden Gewänder erachtet" (221). Der Chlamydatus habe als allgemeine Bildform für zivile Amtsgewalt (227) auch für Statuen anderer hoher Amtsträger zur Verfügung gestanden. Der Togatus sei "zu einem ständischen Festkostüm des ordo amplissimus" geworden (228). Anhand prominenter Gegenbeispiele, wie der Statue des Palmatus (Kat. Nr. O31), widerlegt Gehn die immer wieder postulierte Identifikation spätantiker Togati als Konsuln (230).
In den Kapiteln 7 und 8 vergleicht Gehn die Basisinschriften in Ost und West. Klare Übereinstimmungen finden sich im Tugendlob; insbesondere die iustitia des Magistraten wird immer wieder betont. Im Osten des Reiches wird die Wirklichkeit der spätantiken Amtspflichten in panegyrischen Elogieninschriften kunstvoll verpackt (271). In ihrer unverblümten Formulierung - nicht selten unter Nennung des cursus honorum - und mit teils starkem Bezug auf die Herkunft des Geehrten unterscheiden sich die lateinischen Inschriften (275-291) aber doch deutlich von den griechischen.
Komplettiert wird die Studie in Kapitel 9 durch "Überlegungen zum kaiserlichen und magistratischen Porträt in der Spätantike". Diese bleiben recht allgemeine Anmerkungen zum sacer vultus des Herrscherporträts und den lebensnäheren, realistischeren Zügen der Beamtenporträts. Für eine Reihe von Privatporträts schlägt Gehn die passende Bezeichnung des "typenbezogenes Zeitgesicht" (315) vor. Bei seiner Datierung des Kopf des Stephanus um 500 (Kat. Nr. O 16) vermisst man die ansonsten gelungene Verbindung stilistischer Kriterien mit solchen antiquarisch-historischer bzw. typologischer Natur.
Auf ein zusammenfassendes Schlusskapitel 10 folgen ein Katalog- und Tafelteil. Letzterer bildet zwar alle 67 Statuen ab, die im Katalog besprochen werden, allerdings machen geringe Größe und unterschiedliche Qualität die Beschreibungen des Autors vereinzelt schwer nachvollziehbar. Auf Tafel 41 oben sind Vorder- und Rückseite des Diptychons vertauscht, die Abbildung des Stephanus (Taf. 10 O 16, Mitte) ist spiegelverkehrt. Damit sind wir auch schon bei den formalen Schwächen angelangt: Doch werden den aufmerksamen Leser uneinheitliche Schreibweisen (z. B. Delbrück - Delbrueck, mehrfach; Oikoumenios - Oecumenius, 151), sowie die nicht geringe Anzahl an Tippfehlern und unvollständigen Sätzen nur leicht stören. Bedauernswerter ist aber das Fehlen eines Glossars und eines Registers.
Bei seiner Vorlage der Statuenmonumente berücksichtigt Gehn die Monumente in ihrer Ganzheit und liefert mit Rücksicht auf die inschriftlichen und literarischen Quellen in antiquarischer Genauigkeit erstmals eine umfassende Interpretation spätantiker Ehrenstatuen, insbesondere der Beamtenstatuen. Dieser gelungene Ansatz macht sein Buch zu einem wichtigen Referenzwerk für kommende Forschungen zu Statuen der Spätantike.
Anmerkungen:
[1] Vgl. R. R. R. Smith: Late Antique Portraits in a Public Context: Honorific Statuary at Aphrodisias in Caria, A.D. 300-600, JRS 89, 1999, 155-189; F. A. Bauer / Ch. Witschel (Hgg.): Statuen in der Spätantike (Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz; 23), Wiesbaden 2007.
[2] Vgl. J. Kollwitz: Oströmische Plastik in der theodosianischen Zeit, Berlin 1941; R. Özgan / D. Stutzinger: Untersuchungen zur Porträtplastik des 5. Jahrhunderts. n. Chr. anhand zweier neugefundener Porträts aus Stratonikeia, in: IstMitt 35 (1985), 237-274.
[3] R. Delbrueck: Antike Porphyrwerke (Studien zur spätantiken Kunstgeschichte; 6), Leipzig 1932, 110 f. verband in der sogenannten Prinzengruppe erstmals einen Loricatus in Turin bzw. einen Chlamydatus in Berlin und einen weiteren in Wien R. Delbrueck: Die mutmaßliche Werkstattzugehörigkeit wurde von H. P. L'Orange: Das spätantike Herrscherbild von Diokletian bis zu den Konstantinsöhnen 284 - 361 n. Chr. (Das römische Herrscherbild; III,4), Berlin 1982, 67 übernommen.
[4] Beispielhaft sei auf einen thronenden Porpyhrtogatus in Caesarea maritima verwiesen, der stilistisch in hadrianische Zeit datiert werden kann. Aufgrund der deutlichen Überlebensgröße und der Werkstoffes Porphyr muss er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein männliches Mitglied des Kaiserhauses dargestellt haben. Vgl. S. Yievin: Excavations at Caesarea Maritima, in: Archaeology 8 (1955), 122-127, Abb. 1-12; L'Orange a. O. 11, 22, 95, Taf. 13 d.
[5] Vgl. M. Kovacs: Kaiser, Senatoren und Gelehrte. Studien zur Chronologie, Typologie und Hermeneutik des spätantiken männlichen Privatportraits vom 4. bis zum 6. Jahrhundert (angekündigt für 2013, ebenfalls in der Reihe Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz).
Markus Löx