Wiebke Deimann: Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla. Religiöse Minderheiten unter muslimischer und christlicher Dominanz (12. bis 14. Jahrhundert) (= Geschichte und Kultur der Iberischen Welt; Bd. 9), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2012, 367 S., ISBN 978-3-643-11554-6, EUR 39,90
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Das vorliegende Werk geht auf Deimanns Dissertation von 2010 zurück. Die Autorin versucht darin das Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen im mittelalterlichen Sevilla nachzuzeichnen. Im Zentrum der Arbeit stehen dabei die Veränderungen dieses Zusammenlebens als Folge der sich wandelnden Herrschaftsverhältnisse. Auf Grund dieser veränderten Herrschaftsverhältnisse sind zunächst die Christen (Untersuchungszeitraum 1100-1248), dann jedoch die Muslime in der Situation einer "religiösen Minderheit" (1248-1391). "Eine Konstante, wenngleich möglicherweise ohne personelle Kontinuität, bildete die dritte religiöse Gruppe, die der Juden, die sowohl unter islamischer wie auch unter christlicher Herrschaft als Minderheit in Sevilla lebte." (12)
Bereits in ihrer Einleitung verweist Deimann darauf, dass für den von ihr gewählten Untersuchungszeitraum bisher noch viel zu wenige interdisziplinäre Arbeiten geleistet worden sind. Dabei würde diese Herangehensweise das größte Problem lösen helfen, vor dem ForscherInnen der Geschichte der Iberischen Halbinsel stehen, nämlich das der Sprachenvielfalt der schriftlichen Quellen. Wie Deiman selbst sagt, kann sie "arabische, lateinische, altspanische und in einem Fall auch katalanische (Quellen) [...] in ihrer Originalsprache berücksichtig(en)" (16) nicht aber hebräische Texte und damit Quellen, die Aufschluss über innerjüdische Verhältnisse geben. Der für diesen Bereich erzwungene Rückgriff auf Texte, für die Übersetzungen vorliegen, ist eine der Schwächen der Arbeit, die ja im Titel für sich in Anspruch nimmt, allen drei religiösen Minderheiten des mittelalterlichen Sevilla gleichermaßen gerecht zu werden.
Deimanns Arbeit ist in insgesamt neun Kapitel unterteilt, die jeweils wieder in Unterkapitel gegliedert sind. Das erste Kapitel widmet sich der Fragestellung, der Definition von "religiöser Minderheit" im Kontext der Arbeit und dem Forschungsstand dazu, der Quellenlage sowie dem Aufbau der Arbeit. Die Kapitel 2 bis 4 sind der Zeit unter muslimischer Herrschaft gewidmet, innerhalb derer die Eroberung Sevillas durch die Almohaden (1147) eine Zäsur darstellt. Kapitel 5 bis 8 widmen sich der christlichen Herrschaftsperiode, Kapitel 9 schließt die Arbeit mit einer zusammenfassenden Wertung ab.
Wie Deimann ausführt, ist die Quellenlage für eine Erforschung der von ihr umrissenen zeitlichen Periode für Sevilla zwar, im Vergleich zu anderen geografischen Räumen, gut, aber dennoch keineswegs umfassend. Dieser Mangel an Quellen zeigt sich zum Beispiel sehr deutlich daran, dass sie für die frühe Phase der muslimischen Herrschaft als Hauptquelle die so genannte "Marktordnung" (ḥisba) des Ibn ʿAbdûn heranzieht, die sie selbst als äußerst problematische bewertet: "Die [Marktordnung des Ibn ʿAbdûn] hat möglicherweise nie Rechtsgültigkeit erlangt, und es lässt sich allenfalls in Einzelfällen eine Nähe zum geltenden Recht vermuten. Über die grundsätzliche methodische Schwierigkeit bei der historischen Einordnung normativer Quellen - den fehlenden Bezug zwischen Theorie und Praxis - hinausgehend, lässt sich die ḥisba noch nicht einmal als geltendes Recht interpretieren." (91, unter Auslassung einer Fußnote). Die Frage, was also der Text des Ibn ʿAbdûn tatsächlich gewesen ist, hat Pedro Chalmeta - Deimann zufolge - damit beantwortet, dass der Autor eventuell ein Richteramtsanwärter gewesen sein könnte, der sich mit seinen Ausführungen zum, seiner Meinung nach, richtigen Verhältnis von Muslimen, Christen und Juden profilieren wollte. Inwieweit diese Meinungen Allgemeingut waren oder gar in die geltende Rechtsprechung übernommen worden sind, lässt sich nicht feststellen. Die von Deimann geforderte und versuchte Einordnung des Textes in seinen historischen Kontext fällt auch ihr selbst, mangels tatsächlich vergleichbarer Quellen, äußerst schwer. Womit sich die Frage stellt, ob sich aus diesem Text, dem Deimann insgesamt immerhin 35 Seiten widmet, tatsächlich, wie sie meint "wertvolle Informationen über das Leben der ḏimmiyyûn in der Stadt gewinnen [lassen]" (92). [1]
Wenngleich Deimanns Einschätzung der Relevanz der oben angesprochenen Quelle nicht ganz nachvollziehbar ist, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass der Text eine der wenigen Quellen für die mittelalterliche Geschichte Sevillas ist, die uns vorliegen. Es ist Deimanns Verdienst diese, und all die anderen Quellen, zum ersten Mal zusammenzuführen und durch ausführliche Zitate in Deutsch dem Publikum auch inhaltlich näher zu bringen. Dass ihre Untersuchung Brüche und Unsicherheiten aufweist, ist Deimann selbst durchaus bewusst. Weshalb sie darauf verzichtet, ihre Einzelaussagen zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen: "Die vorliegende Untersuchung der multireligiösen Gesellschaften Sevillas vom beginnenden 12. bis zum ausgehenden 14. Jahrhundert verzichtet zugunsten einer kleinteiligen Analyse darauf, ihre Ergebnisse in ein übergeordnetes Bewertungsschema einzufügen. Auf diese Weise lässt sie Raum für Widersprüchlichkeiten, gegen- oder rückläufige Entwicklungsprozesse sowie weitere spezifische Beobachtungen, die in der wechselhaften Geschichte einer über eine heterogene Bevölkerungsstruktur verfügenden Großstadt wie Sevilla über mehrere Jahrhunderte hinweg zu erwarten sind." (23) Unter dieser Perspektive ist Deimann ein Buch gelungen, das von ihrem Publikum mit Gewinn gelesen werden kann. Wofür die Autorin zu Recht den "Kulturpreis Bayern" erhalten hat.
Anmerkung:
[1] Anmerkung der Rezensentin: Angehörige einer schutzwürdigen, religiösen Minderheit unter muslimischer Herrschaft, wie z.B. Christen oder Juden.
Ursula Ragacs