Charalampos Tsochos: Die Religion der römischen Provinz Makedonien (= Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge; Bd. 40), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, 278 S., 58 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-09448-1, EUR 56,00
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Das vorliegende Werk ist die überbearbeitete Fassung der Habilitationsschrift von Charalambos Tsochos, die im Juli 2007 an der Universität Erfurt eingereicht wurde. Sein Gegenstand ist die Untersuchung des Wandels, der in der religiösen Praxis Makedoniens nach der Gründung der römischen Provinz stattfand. Als repräsentative Beispiele werden die römischen Kolonien Dion und Philippi sowie Samothrake ausgewählt, das jedoch als civitas libera zur Provinz Thrakien gehörte (136; vgl. 178). Der Verfasser ist bereits durch andere Publikationen aus dem gleichen Bereich bekannt. [1]
Nach einer kurzen Einleitung behandelt der Verfasser in gesonderten Kapiteln die Gottheiten der jeweiligen Städte, während er im letzten Teil versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer religiösen Praxis festzustellen. Abgesehen vom Inschriftenkatalog (209-223), bei dem weder die chronologischen noch die geografischen Grenzen eingehalten werden, endet das Werk mit Literaturverzeichnis, Registern und Abbildungen [die Nummerierung letzterer folgt nicht jener im Text und zudem sind einige Abbildungen, auf die im Text verwiesen wird, nicht zu finden (22 Abb.8; 86 Abb.31)].
Im Falle Dions konzentriert sich das Interesse des Verfassers hauptsächlich auf die ergrabenen Heiligtümer. Seine Ansicht, dass die Stadt "in der Kaiserzeit ihre Funktion als Archiv des makedonischen Koinon" fortsetzte (181, 11) und dass sie "die Rolle eines religiösen Zentralortes in Makedonien" übernahm (17, 37), ist nicht belegt. Tsochos vertritt die Auffassung, dass die Gründung der Kolonie das religiöse Leben der Stadt nicht wesentlich beeinflusst habe (35). In diesem Rahmen sollte sich der Verfasser meines Erachtens mit der Entstehung der neuen "élite municipale" beschäftigen, die sich auch im religiösen Leben präsent zeigt. Die Familie der freigelassenen Anthestii ist dafür das repräsentativste Beispiel. Ihre Aktivität ist bekannt durch Weihungen sowohl an die ägyptischen Götter [2] als auch an Diana, Liber Pater und Venus Hypolympidia. Der Verfasser datiert die betreffenden Inschriften ins 1. Jahrhundert n.Chr. (insbesondere in die 2. Hälfte), was sich nicht mit den weiteren archäologischen Zeugnissen deckt. Wahrscheinlicher ist eine Datierung an das Ende des 1. Jahrhunderts v.Chr. oder zu Beginn des 1. Jahrhunderts n.Chr., was die Dedikanten mit den ersten Kolonisten in Verbindung setzen würde. [3] Außerdem scheint der Kult des Liber Pater, dessen Mitglieder im thiasos organisiert waren, einen "caractère public" zu haben und auf die deductio der Kolonie gefolgt zu sein. [4]
Die Inschriften von Philippi wurden schon von P. Pilhofer gesammelt (der Verfasser verwendet die im J. 2000 erschienene 1. Auflage). [5] Hier koexistierten griechische, thrakische und römische Gottheiten. Die religiöse Topographie der Stadt habe eine dreigeteilte Struktur aufgewiesen: Einerseits das Forum, wo die offiziellen Kulte stattfanden, und anderseits die Akropolis sowie das Territorium der Kolonie, wo die Kultpraxis hauptsächlich individuellen Charakter hatte. Das Bild des religiösen Lebens der Kolonie, so wie es von Tsochos dargestellt wird, ist lückenhaft. Von den Kulten fehlen z.B. jener der Nemesis, der durch drei aus dem Theater stammende Weihinschriften bekannt ist (I.Philippi2 142-144), sowie jene des etrurischen Gottes Vertumnus (I.Philippi2 515) und des Apollo, die im Territorium der Kolonie bezeugt sind (I.Philippi2 509b + Ann.épigr. 2006, 1339; 642a+Ann.épigr. 2007, 1278).
Außer den relevanten Aufsätzen von M. Sève zur Rolle des Forums als "lieu d'autocélébration de l'élite municipale" [6], versäumt es Tsochos ebenfalls den Aufsatz von M.-D. Poncin zu berücksichtigen, welcher sich mit den Priesterämtern der Kolonie befasst. [7] Zu den bereits bekannten Personen sollten noch der flamen imp(eratoris) Antonini M. Figilius Pudens (Ann.épigr. 2006, 1330; I.Philippi2 324a) und der VIvir Aug(ustalis) T. Cottius T. l. Viriles (Ann.épigr. 2006, 1336; I.Philippi2 74b) hinzugefügt werden. Möglich ist auch die Ergänzung [flam(en) div]i Augusti in der fragmentarisch erhaltenen Grabinschrift Ann.épigr. 2006, 1333 (= I.Philippi2 531a), während nach einer von J. Bartels vorgeschlagenen Ergänzung der Inschrift I.Philippi 321, [M.] Velleius M. l. [Symp]horus (64, Anm. 103) das Amt des Augustalis ausübte. [8]
Thrakische Gottheiten sind insbesondere im Territorium der Kolonie dokumentiert. Die Ansicht des Verfassers, dass im Kult des Heros mit dem Beinamen Aulonites alle ethnischen Gruppen sowie sozialen Schichten vertreten waren (80), scheint richtig. Ansonsten ist die auf den Namen der Dedikanten basierte Verbindung einiger Götter, wie z.B. Souregethes, mit Personen thrakischer Herkunft (81f.), zweifelhaft. Zum Beispiel heißt der Dedikant einer an Theos Souregethes gerichteten Weihinschrift, die aus Nikopolis ad Istrum stammt, Cl(audius) Rufus (SEG LIII 724).
Besonders verbreitet scheint der Kult von Dionysos-Liber Pater gewesen zu sein. Allerdings ist die Zahl der "etwa 20" aus dem Territorium der Stadt stammenden Inschriften, auf denen Vereine des Dionysos erwähnt werden (95; 216-218), nicht präzise. [9] Die von Bartels vorgeschlagene Ergänzung der Grabinschrift aus Eleutheroupolis I.Philippi 637, bietet einen weiteren Beleg für die thiasoi des Gottes. [10] Die Weihungen an die ägyptischen Götter wurden schon von Bricault gesammelt (RICIS 113/1001-1012), während der Text der Weihinschrift an Manta und die Dioskouroi (86 Anm. 222; 216) von den Herausgebern der Année épigraphique 2004, 1339 (= I.Philippi2 509e) korrigiert wurde.
Unter den Gottheiten, die auf der Akropolis bezeugt sind, hatte der Kult des Silvanus einen vornehmlich römischen Charakter. Unter seinen cultores finden sich nicht nur Personen mit römischen bzw. griechischen cognomina (so der Verfasser, 131), sondern auch einige, die thrakische bzw. "indigène" Namen tragen. Im Katalog I.Philippi2 163 begegnen zwei Personen mit den Namen Tharsa (Z. 30) und Velleius Paibes (Z. 53).
Die Geschichte von Samothrake ist eng mit jener des Heiligtums der Großen Götter verbunden. Tsochos nimmt als Ausgangspunkt die durch Servius überlieferte Passage von Varro, nach welcher Dardanos die Penaten von Samothrake nach Troja geholt und Aeneas sie später nach Italien gebracht hatte [11]; so stellt er die Frage, ob diese Theorie die Rolle der Insel als Pilgerziel für Römer beeinflusste. Es gibt keine Zweifel, dass die Insel ihren heiligen Charakter behielt. Eine ganze Reihe von Feststellungen zeige, dass die Theorie Varros ohne weitere Folgen blieb: So habe der Kult der Großen Götter weder in Rom noch auf der italischen Halbinsel stattgefunden und die griechische Sprache sei im Inschriftenmaterial von Samothrake nicht verdrängt worden. Zudem sei die Bautätigkeit im Heiligtum begrenzt und die Zahl der Geweihten römischer Herkunft gering gewesen.
Zweifellos kam die Mehrheit der römischen Amtsinhaber, die als Besucher im Heiligtum der Großen Götter belegt sind, aus den benachbarten Provinzen und insbesondere aus Makedonien. Das bedeutet aber nicht, dass sie "keine Römer aus dem Mutterland waren" (160; 179/180). Hier hätte die systematische Verwendung des Werkes von N.M. Dimitrova, Theoroi and initiates in Samothrace: The epigraphical evidence, Hesperia Suppl. 37, Princeton/New Jersey 2008, den Verfasser vor vielen Missverständnissen bewahren können: So ist etwa die Identifizierung des L(ucius) I(u)ventius Thalna mit dem Praetor des Jahres 149 v.Chr., der das Praenomen Publius trägt und im Jahr 148 v.Chr. nach Makedonien gesandt wurde, unmöglich (165). Die Erwähnung der consules ordinarii L. Fundanius Lamia Aelianus und Sex. Carminius Vetus fungiert in der Geweihtenliste des Jahres 116 n.Chr. als chronologische Angabe und keine der beiden Personen sollte als mystes im Heiligtum betrachtet werden. Ferner in der am 1. Mai des Jahres 165 bzw. 166 n.Chr. datierte Geweihtenliste gehört das Cognomen Pudens nicht zum Statthalter Makedoniens (er heißt P. Anteius Orestes), sondern entweder zum consul ordinarius des Jahres 165 n.Chr. L. Arrius Pudens, oder zu jenem des Jahres 166 n.Chr. Q. Servilius Pudens (167). [12]
Alle drei Städte haben in der Kaiserzeit ihr eigenes religiöses Profil, wobei sich im Falle Philippis die stärkeren römischen Einflüsse zeigen. Aus der Untersuchung der Kultkontakte zwischen diesen Städten sollte man keine wichtigen Ergebnisse erwarten. Die Datierung der Grabinschrift Samothrace 69a in das 2./1. Jahrhundert v.Chr., auf welcher der Name Dinis als Patronym des Verstorbenen erwähnt wird, gestattet nicht die vom Verfasser vorgeschlagene Vermutung (184), dass er mit dem Seemann Dinis, Sohn des Defcilas, der aus einer aus Philippi stammenden Weihung an Neptun und die Dioscuroi bekannt ist (I.Philippi2 388, 1./2. Jahrhundert n.Chr.), zu identifizieren sei.
Zu Missverständnissen führen folgende Flüchtigkeitsfehler (in Auswahl): 20 Anm. 26: Der Dedikant der Inschrift an Jupiter Optimus Maximus hieß Heracleo und übte das Amt des tabularius publicus aus (Ann.épigr. 2003, 1582a). 26 Anm. 62 + 210: Die Abkürzung aed entspricht dem Amt der Dedikanten: aed(iles). Der editio princeps folgend gibt der Verfasser aed(icaverunt) wieder. 31 Anm. 88 + 211: Tsochos datiert die Grabinschrift des Veteranus Aur(elius) Dionysius "eher in den ersten Jahrzehnten nach der Koloniegründung". Jedoch war die Abkürzung D(is) M(anibus) erst seit der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert üblich. 32 mit Anm. 89: der Verfasser sollte Publius Memmius Regulus statt Paulus Memmius lesen. 85 (Vgl. 76 Anm. 157, 94, 216): Die Grabinschrift des actor Lucius stammt aus dem heutigen Dorf Charitomeni (nicht aus Prosotsani). 81+105: Die Summe, welche Aurelius Zipyron dem Verein des Gottes Souregethes gestiftet hatte, belief sich auf 150 (der Verfasser 1000) Denare. 129: Tsochos sollte den Namen der Dedikantin der Inschrift als Aelia Athena lesen. 219 (Vgl. 123 Anm. 391): Der Beiname der Artemis Όπιταΐς (I.Philippi2 18, Neapolis, 1.Hälfte 3. Jahrhundert v.Chr.), verbindet ihren Kult mit Zakynthos, der Heimat des Dedikanten Philinos, Sohn des Stratokles, wo die Göttin mit dem gleichen Epitheton bezeugt ist (IG IX2 1.4, 1731).
Im Falle folgender Inschriften fehlen die bibliografischen Angaben: 30 Anm. 81: Weihinschrift an Zeus Hypsistos (Pydna) = SEG XLVI 800; Anm. 82: Weihinschrift für Sarapis, Isis und Anoubis = SEG LV 679bis; der Name des Dedikanten, Mέλλιχoς Ίππάρχoυ, wird richtig von P. Christodoulou (Anm. [2], 16 Nr. 2) gelesen. 81 Anm. 190: Weihinschrift an Souregethes = Bull.épigr. 1949, 97. 98: Album eines dionysischen Kultverein = Ann.épigr. 2006, 1337 + SEG LVI 735 + I.Philippi2 166a. 120 Anm. 382: Der Inventarnummer Museum Kavala Λ 770 entspricht die aus Amphipolis stammende Grabinschrift (kein Sarkophag) der Isispriesterin Krateso, Tochter des Nikandros (ca. 275-250 v.Chr.); Ch. Koukouli, AD 24 Chron. B2 (1969) [1970] 355 Nr. 2 + R. Veymiers, BCH 133 (2009) 476-478, 512-513 Nr. 1.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Verfasser sich mit einem besonderes umfangreichen und - was die Interpretation angeht - anspruchsvollen Inschriftenmaterial befasst hat. Das weite Spektrum der Gottheiten von Philippi würde meiner Meinung nach sogar eine separate Studie rechtfertigen. Obwohl eine sorgfältigere Bearbeitung der Quellen viele Fehler vermieden hätte, sind dennoch einige Fragestellungen von Tsochos, wie z.B. hinsichtlich der sozialen und ethnischen Herkunft der Dedikanten, nicht ohne Interesse.
Anmerkungen:
[1] Abgesehen von den auf Seite 207 erwähnten sollten auch die folgenden Arbeiten zitiert werden: Charalambos Tsochos: Ή ϴρησκευτική τoπoγραφία τῶν Φιλίππων κατὰ τòν 2o καὶ 3o αἰ. μ.X., in: AEMTh 17 (2003) [2005] 71-85; Ders.: Philippi als städtisches Zentrum Ostmakedoniens in der hohen Kaiserzeit: Aspekte der Sakraltopographie, in: Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, hgg. von Hubert Cancik / Alfred Schäfer / Wolfgang Spickermann,Tübingen 2006, 245-272; Ders.: Religion and Cults of Macedonia in Imperial Times, in: Forme di aggregazione nel mondo Romano, hgg. von Elio Lo Cascio / Giovanna D. Merola, Bari 2007, 329-344.
[2] Siehe dazu Laurent Bricault: Recueil des inscriptions concernant les cultes Isiaques (RICIS), Paris 2005, Nr. 113/0207-0212 und zuletzt Perikles Christodoulou: Les reliefs votifs du sanctuaire d'Isis à Dion, in: Bibliotheca Isiaca II, Bordeaux 2011, 11-22.
[3] Julien Demaille: Les P. Anthestii: une famille d'affranchis dans l'élite municipale de la colonie romaine de Dion, in: La fin du statut servile? (affranchissement, libération, abolition ...) 30e colloque du Groupe International de Recherches sur l'Esclavage dans l'Antiquité (GIREA), Besançon, 15-16-17 déc. 2005, hg. von Antonio Conzales, Vol. I, Besançon 2008, 185-202.
[4] Demaille 2008, 189-192.
[5] Vgl. Peter Pilhofer: Philippi, Band II: Katalog der Inschriften von Philippi, 2., überarbeitete und ergänzte Aufl., Tübingen 2009 = I.Philippi2.
[6] Michel Sève: Le forum de Philippes, lieu d'autocélébration de l'élite municipale, in: Autocélebration des élites locales dans le monde romaine. Contextes, images, textes (IIe s. av. J.-C.-IIIe s. ap. J.-C.), hgg. von Mireille Cébeillac-Gervasoni / Laurent Lamoine / Fredéric Trément, Clermont-Ferrand 2004, 107-119; Ders.: Dédicaces du Ier siècle à Philippes, in: L'hellénisme d'époque romaine: nouveaux documents, nouvelles approches (Ier s.a.C.-IIIe s.p.C.). Actes du Colloque international à la mémoire de Louis Robert, Paris, 7-8 juillet 2000, hg. von Simone Follet, Paris 2004, 37-44; Ders.: Les destin des honneurs pour les empereurs et les notables à Philippes. Note d'épigraphie et de topographie, in: Mémoire et Histoire. Les procédures de condamnation dans l'Antiquité romaine, hg. von Stéphanie Benoist, Metz 2007, 139-152.
[7] Marie-Dominique Poncin: Les prêtrices publiques dans la colonie de Philippes, CGG 12 (2001), 229-252.
[8] Vgl. Jens Bartels: Lateinische Grabinschriften aus Philippi: Corrigenda, in: ZPE 157 (2006) 202-203 Nr. 4 = Ann.épigr. 2006, 1344. Vgl. I.Philippi2 321.
[9] Vgl. Anne-Françoise Jaccottet: Choisir Dionysos. Les Associations dionysiaques ou la face cachée du dionysisme II. Documents, Zürich 2003, 60-68 Nr. 25-30.
[10] Bartels 2006, 210 Nr. 15 = Ann.épigr. 2006, 1350.
[11] Eva Stehle: Dii Penates a Samothracia sublati, in: Latomus 50 (1991), 581-601.
[12] Nora M. Dimitrova: a.O., 151 Nr. 64; 184-185 Nr. 98; 189-193 Nr. 104.
Elias Sverkos