Rezension über:

Michel Sève: 1914-2014 PHILIPPES. 100 ans de recherches françaises (= Patrimoine photographique; 2), Athen: École française d'Athènes 2014, 280 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-2-86958-271-2, EUR 32,50
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Rezension von:
Elias Sverkos
Department of History, Ionian University, Corfu
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Elias Sverkos: Rezension von: Michel Sève: 1914-2014 PHILIPPES. 100 ans de recherches françaises, Athen: École française d'Athènes 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/27073.html


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Michel Sève: 1914-2014 PHILIPPES

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Das vorliegende Werk ist der zweite Band der Reihe Patrimoine photographique, die von der École française d'Athènes (EFA) veröffentlicht wird und deren Ziel die Förderung und die Verwertung des archivalischen Materials aus der archäologischen Tätigkeit der Mitglieder der EFA ist (Zeichnungen, Grundrisse, Fotos, handschriftliche Notizen sowie Abklatsche von Inschriften). Der erste Band behandelt die Geschichte der inzwischen hundertjährigen archäologischen Forschungen in Thasos (1911-2011) [1]; der zweite Band ist inhaltlich direkt damit verbunden, denn das Gebiet, wo König Philipp II. von Makedonien im Jahr 356 v.Chr. die Stadt Philippi gegründet hat, war vorher von Thasiern besiedelt. Darüber hinaus war Thasos der Ausgangpunkt der Reise von Charles Picard und Charles Avezou nach Philippi (Juni 1911), mit der die archäologische Forschung in dieser Stadt eingeleitet wurde.

Die Publikation, die das hundertjährige Jubiläum der Ausgrabungen in Philippi feiert, ist in drei Sprachen (französisch, griechisch, englisch) verfasst und vervollständigt die in Thessaloniki und Kavala gezeigten Ausstellungen. Der Band spiegelt die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungen in Philippi von Juni / Juli 1914 bis in das Jahr 2014 wider. Auf Seite 31-73 werden kurz die Geschichte der Stadt sowie ihre geografische Lage beschrieben: Philippi liegt an einem geografisch und strategisch bedeutsamen Standort und kontrolliert die Straße, die von Makedonien nach Thrakien führt. Außer der Gründung durch König Philipp II. von Makedonien waren für die historische Entwicklung der Stadt folgende Ereignisse wichtig: a) Die Schlacht von Philippi im Jahr 42 v.Chr. zwischen den Mördern von Iulius Caesar, d.h. Cassius und Brutus, einerseits und Octavianus und Marcus Antonius anderseits. Der Ausgang der Schlacht hat nicht nur über die Zukunft des Römischen Reiches entschieden, sondern auch die weitere Entwicklung von Philippi selbst bestimmt: die Stadt erhielt den privilegierten Status einer colonia und wurde in augusteischer Zeit in colonia Iulia Augusta Philippiensis umbenannt. b) Der dortige Besuch des Apostels Paulus während seiner zweiten Missionsreise führte zur Gründung der ersten christlichen Gemeinde in Europa.

Im selben Kapitel werden die Etappen der archäologischen bzw. historischen Forschungen, die Personen, die dabei wichtige Rollen gespielt haben, sowie die oft äußerst schwierigen Bedingungen, unter denen die Arbeiten stattfanden, vorgestellt. Bekanntlich beginnt die wissenschaftliche Forschung in Philippi mit der Mission Léon Heuzeys in Makedonien, der in Begleitung des Architekten Honoré Daumet und des Militäringenieurs A. Laloy als Gesandter von Napoleon III. nach Griechenland kam. Anliegen des Kaisers war die Erforschung jener Orte, die mit der Geschichte Iulius Caesars im Zusammenhang stehen. In Philippi hat sich Heuzey vom 5. bis 22. April 1861 aufgehalten. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden in der monumentalen Publikation Mission archéologique de Macédoine, Paris 1876, veröffentlicht. Auf dieser Grundlage basierte auch - nach dem offiziellen Beginn der Ausgrabungen im Juni von 1914 - der Arbeitsplan von Charles Avezou und Charles Picard.

Die Gesamtzahl der EFA-Mitglieder, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Philippi gearbeitet haben, belief sich auf siebzehn (74/75). Zweifellos hing die begrenze Attraktivität des Ortes für die ersten französischen Wissenschaftler mit den dortigen Arbeits- und Lebensbedingungen zusammen (50, 52/53). Dennoch war die Zeit bis 1937 besonders fruchtbar, was sich in einer Reihe von Monografien sowie einer großen Anzahl von Aufsätzen vor allem in der Zeitschrift Bulletin de Correspondance hellénique widerspiegelt (53-56). Der Zweite Weltkrieg unterbrach die archäologische Forschung in Philippi. Eine neue Phase der Ausgrabungen begann 1968, und sie hält bis heute an. In diesem Zeitraum leitete Michel Sève, der Herausgeber des vorliegenden Bandes, von 1977 bis 1993 die systematische Erforschung des Forums. [2]

Die elf Kapitel des Hauptteils gliedern sich in die Geschichte des Ortes sowie die Entwicklung der dortigen archäologischen Forschungen von 1911 bis heute (der Schwerpunkt liegt auf der ersten Phase der Ausgrabungen). Abgesehen von den Zeichnungen von Léon Heuzey und Auguste Viquesnel, werden hier Fotos, Notizen, Ausgrabungstagebücher, Architekturzeichnungen sowie Abklatsche von Inschriften ausgewertet, die in den Archiven der EFA aufbewahrt werden. Dieses reiche Material lässt nicht nur die lokale Geschichte aufleben, sondern vermittelt auch sehr interessante Informationen z.B. über die mit der Austrocknung des Sumpfes in den 30er-Jahren einhergehenden Veränderungen der Umwelt und der Siedlungsentwicklung und deren Auswirkungen auf die Geschichte einiger Denkmäler, die heute als verloren gelten (siehe z.B. 186/187). Weiterhin werden die Hauptpersonen, wie Charles Picard, Paul Collart und Paul Lemerle während ihrer Arbeit vorgestellt, außerdem auch all jene, die mit der technischen Unterstützung der Ausgrabungen und dem Aufbewahren der Monumente beschäftigt waren, wie z.B. der erfahrene Wächter Nikoles aus Vrachasi in Kreta: Er kam nach Philippi, um seine Expertise anzubieten und brachte in der Tasche seiner kretischen Hose ein Stück Käse aus seiner Heimat als Geschenk für Paul Collart mit. Als Gegenleistung hat Collart ihn neben dem Fragment einer Säule fotografisch verewigt (44, 132/133). Die Beziehungen zwischen den Archäologen und den übrigen Mitarbeitern der Ausgrabung zeigen am besten zwei Zeichnungen von Fernand Chapouthier (ca. 1923). Mit viel Humor illustrieren sie die Arbeitsauffassung des mit der Bewachung des Ausgrabungsortes betrauten Polizisten: schlafend, um 9:00 Uhr genauso wie um 14:00 (134/135). Auf den Bildern fehlen auch Aspekte des täglichen Lebens der Bewohner des Ortes nicht, wie etwa ein Fest im Dorf Raktcha, wo sich das Grabungshaus befand (140), oder eine Hochzeit der Sarakatsanen im Dorf Magyar Tepe (159).

Es besteht kein Zweifel, dass die vorliegende Publikation ein besonders nützliches Werkzeug nicht nur für den Archäologen bzw. Historiker darstellt, sondern auch für alle, die sich dafür interessieren, unter welchen Umständen Grabungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts stattfanden. Aufgrund seiner langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Stadt darf der Verfasser als hervorragender Kenner ihrer Geschichte und ihrer Denkmäler gelten. Die Auswahl des Dokumentationsmaterials ist besonders gelungen und gibt dem Leser Einblick in die Umstände, unter denen die archäologische Forschung in diesem Gebiet durchgeführt wurde.


Anmerkungen:

[1] Arthur Muller / Dominique Mulliez (avec la collaboration de Catherine Aubert): Cent ans de fouilles françaises à Thasos 1911-2011 (= Patrimoine photographique; Bd. 1), Athen 2012.

[2] Michel Sève / Patrick Weber: Guide du forum de Philippes (= Sites et Monuments; Bd. 18), Athen 2012 [griechische Fassung, Athen 2014].

Elias Sverkos