Ronnie Ellenblum: The Collapse of the Eastern Mediterranean. Climate Change and the Decline of the East, 950-1072, Cambridge: Cambridge University Press 2012, XII + 270 S., 22 Kt., ISBN 978-1-107-02335-2, GBP 60,00
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Die klimatische Entwicklung des Nahen Ostens am Vorabend der Kreuzzüge beschäftigte Historiker bisher weniger als die Kreuzzüge als solche. Diese Lücke füllt nun ein Überblick über die natürlichen Vorbedingungen im östlichen Mittelmeerraum, die Ronnie Ellenblum, Professor an der Hebrew University in Jerusalem, vorgelegt hat.
Seine Grundannahme dabei ist, dass dem sogenannten "mittelalterlichen Wärmeoptimum" im Westen eine Phase von "climatic disasters" (3f.) im Nahen und Mittleren Osten gegenübersteht, deren extremste Periode im ausgehenden 11. Jahrhundert zu finden sei. Die ökologische Krise, die den östlichen Mittelmeerraum während des 10. und 11. Jahrhunderts getroffen hat, stellt "probably the most documented climatic disaster in premodern history" (7) dar.
Die Arbeit ist in drei große Teile mit insgesamt elf Kapiteln untergliedert. Dabei wird in Teil 1 ein Überblick über die bisherigen theoretischen Erklärungen der Ereignismuster im östlichen Mittelmeerraum vom 10. bis 12. Jahrhundert geliefert. In Teil 2 wird die Entwicklung der Großräume Iran, Bagdad, Byzanz und Ägypten betrachtet, in Teil 3 geht es um die Entwicklung verschiedener Städte (Tiberias, Ramla, Jerusalem) und deren Umgang mit den Ereignissen.
In den Kapiteln 1 "Presenting the events" (3-11), 2 "Deconstructing a 'collapse'" (12-40) und 3 "950 - 1027: an impending disaster" (41-58) werden die sogenannten "Overshoot and collapse"-Theorie und die "Resilience"-Theorie einander gegenübergestellt. Die erste geht von einer Überstrapazierung der natürlichen Ressourcen aus, in deren Folge die Zivilisation kollabiert. Die zweite akzeptiert, dass Stabilität und Transformationsprozesse unvermeidlich nebeneinander stehen, ohne dass einem von beiden ein normierender Anspruch zukommen würde (16). Dadurch wird die Annahme eines totalen Kollapses vermieden, der für isolierte Räume (Osterinseln) oder Gruppen (Anasazi) entwickelt wurde. Im Nahen Osten gab es jedoch mehrere große voneinander unabhängige Regionen zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, die imstande waren, Mängel auszugleichen.
Ausgehend von der statistisch beobachteten Häufung von Dürren (von 600 bis 950 eine Dürre alle 55 Jahre, von 950 bis 1072 eine alle 4,6 Jahre) in der Zeit von 1052 bis 1072, als in jedem zweiten Jahr eine Dürre auftrat und einem ebenfalls gehäuften Auftreten von Kältewellen und Hungersnöten im 10. und 11. Jahrhundert, kommt Ellenblum zu der Frage, ob das parallele, gehäufte Auftreten von Unruhen und von massenhaftem Mangel nur eine Koinzidenz ist. Der Gefahren des Determinismus ist er sich voll bewusst (249) und führt für seine Phasen des Mangels eine beeindruckende Zahl von jüdischen, arabischen, byzantinischen und lateinischen Quellen an, die er immer mit archäologischen Beobachtungen, überwiegend aus Israel, unterfüttert. Die Daten über die Trockenperioden des Nils (31) zeigen, dass nicht nur die Zahl, sondern auch die Länge der Dürreperioden zunahm. Als am verheerendsten stellt sich die sieben Jahre dauernde Dürrephase ("great clamity") von 1065 bis 1072 heraus, die aufgrund der historischen und archäologischen Fülle an Quellen nicht als Topos abgetan werden kann.
Durch Dürreperioden können "domino effects" um ruhende Auseinandersetzungen wieder ausgelöst werden. Ellenblum macht dabei mehrere Zirkel aus, die den "domino effect" durch Translokation größerer Gruppen verschärfen. Seine Hauptakteure sind die Gruppen, die stark von witterungstechnischen und klimatischen Änderungen betroffen sind: Nomaden, die in "guten" Zeiten in klimatischen Randzonen leben können, in klimatischen Extremphasen aber durch Migration einen gewaltigen Druck auf die etablierten Strukturen und Reiche ausüben können.
In den Kapiteln 4 "The collapse of Iran" (59-87), 5 "The fall of Baghdad" (88-122), 6 "A crumbling empire: The Pechenegs and the decimation of Byzantium" (123-146) und 7 "Egypt and its provinces, 1050s-1070s" (147-160) beschreibt er dann, wie die verschiedenen politischen Großakteure mit dem Druck solcher nomadischen Gruppen umzugehen versuchten. Ellenblum entwickelt die Annahme des "Big Chill" (63), einer langen Periode von Kaltphasen weiter und kann mit vielen Quellen belegen, dass eine große Zahl von "cold and famine-driven" (67) Nomaden beispielsweise in den 1030er-Jahren von Norden her in den Iran einfielen. Aufschlussreich dabei ist, dass sich Ellenblum der Thematik nicht von der Klimaforschung, sondern von der Migrationsforschung her annähert. Anhand weiterer Beispiele werden auch für Bagdad klimainduzierte Migrationen und Plünderungen (76) und mit Hungerjahren synchrone Aufstände bis hin zur Zerstörung von Bibliotheken und Akademien in den Jahren 1027 bis 1060 vorgestellt.
Auch die Byzanz betreffenden Desaster, das am Ende der Herrschaft von Basileios II. († 1025) zwei Jahre vor der Katastrophenphase eigentlich sehr gut dastand, werden überwiegend anhand von Matthias von Edessa dargestellt. Dem Migrationsdruck von bis zu 800000 Nomaden konnte es auf Dauer nicht standhalten. Nach Ellenblum ist der bisherige Versuch der Forschung, alles politischen Aspekten zuzuschreiben, ein Irrtum (131). Er schreibt auch diese Migrationen einem Dominoeffekt infolge von Kälte- und Dürreperioden zu und führt letztlich auch das Schisma von 1054 auf wirtschaftliche und militärische Not zurück (140).
Als letztes, für die Region aber wichtigstes Beispiel beschreibt er die Entwicklung im Großraum Ägypten, das zwar weniger schlimm betroffen gewesen sei als Mesopotamien (147), in der Mitte des 11. Jahrhunderts aber von einer ganzen Reihe von Naturkatastrophen (1055/56 Heuschrecken, Hungersnöte in Mekka, Probleme des Nilstandes, 1058/9 extreme Kälte) heimgesucht wurde, bevor es von 1065 bis 1072 zur erwähnten "great calamity" kam (151).
In den Kapiteln 8 "Jerusalem and the decline of Classical cities" (163-195), 9 "Water supply, declining cities and deserted villages" (196-227), 10 "Food crises and accelerated Islamization" (228-248) geht es um den Umgang der Städte mit diesem von extremen Naturereignissen geprägten nahöstlichen Umfeld. Dabei wird der älteren These von Henri Pirenne vom Zerfall römischer Städte aufgrund der Ausbreitung des Islam sowie eines damit einhergehenden "revolutionären" (166) Wechsels hin zu den mittelalterlichen Stadtstrukturen die von Hugh Kennedy entworfene Gegenthese eines eher "evolutionären" Übergangs von den antiken zu den mittelalterlichen Städten, teilweise mit islamischen Zwischenstufen (168) gegenübergestellt. Mit dem Kapitel 11 "Reflections" (249-260) und einem Index schließt der insgesamt überzeugende und mit 21 Abbildungen und Karten anschaulich ergänzte Band ab.
Fazit: Der Autor versteht es, aus einer beeindruckende Sammlung verschieden(sprachig)er Quellen ein neues Gesamtbild hervorzubringen, bei dem durch eine Zunahme witterungstechnischer Extremereignisse im 11. Jahrhundert in der Region des Nahen Ostens eine Zunahme der Hungersnöte zu verzeichnen ist, die durch die vier großen Lebensmittelproduktionsräume nicht ausgeglichen werden konnten und zu starken Migrationsbewegungen von Nomadengruppen aus den zu dieser Zeit nicht nutzbaren klimatischen Randgebieten führten. Unter deren Plünderungen hatten insbesondere die Städte zu leiden. Ellenblums Bild der klimatischen Ereignisse macht deutlich, dass gleichzeitige Witterungs- und Klimaextreme in unterschiedlichen Regionen sehr verschieden ausfallen können. So ist die Zusammenschau des Jahres 1065 sehr aufschlussreich, als Ägypten hart von Naturereignissen betroffen war, der Iran aber kaum und der Norden und Westen sehr gute Jahre mit Überfluss vermeldeten (155, 253). Vor diesem Hintergrund bildet das Buch eine willkommene Regionalstudie zur klimatischen Entwicklung im Großraum Naher Osten mit den Folgen dieser Veränderung. Weitere zeitgleiche Regionalstudien anderer Großräume müssten nun folgen.
Thomas Wozniak