Rezension über:

Simone Mengis: Schreibende Frauen um 1500. Scriptorium und Bibliothek des Dominikanerinnenklosters St. Katharina St. Gallen (= Scrinium Friburgense; Bd. 28), Berlin: de Gruyter 2013, 400 S., 31 Farbabb., ISBN 978-3-11-022088-9 , EUR 99,95
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Rezension von:
Martina Wehrli-Johns
Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Martina Wehrli-Johns: Rezension von: Simone Mengis: Schreibende Frauen um 1500. Scriptorium und Bibliothek des Dominikanerinnenklosters St. Katharina St. Gallen, Berlin: de Gruyter 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/23811.html


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Simone Mengis: Schreibende Frauen um 1500

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Die hier anzuzeigende Basler Dissertation ist aus der langjährigen Mitarbeit der Verfasserin an der Neukatalogisierung der Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen heraus entstanden. Der dort aufbewahrte Bestand an Handschriften aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharina in St. Gallen hatte ihr Interesse geweckt, dem Phänomen der 'Frauenhandschriften', auf das bereits 1957 der Basler Mediävist und Paläograph Albert Bruckner († 1985) aufmerksam gemacht hatte [1], eine wissenschaftliche Studie zu widmen.

Forschungen zu den observanten Dominikanerinnenklöstern der Ordensprovinz Teutonia haben derzeit Hochkonjunktur. Es ist darum sehr verdienstvoll, wenn der Oxforder Germanist Nigel F. Palmer als einer der besten Kenner der internationalen Forschung auf diesem Gebiet ein Vorwort zur überarbeiteten Druckfassung der Dissertation beigesteuert hat, in dem das Kloster St. Katharina in den größeren Zusammenhang der dominikanischen Observanz gestellt und die Ergebnisse der 'Mikrostudie' von Mengis entsprechend gewürdigt werden. Sein lesenswerter Beitrag hätte allerdings auch im Buchtitel erwähnt werden müssen.

Die Untersuchung von Mengis besteht aus fünf Hauptteilen und einem umfangreichen Katalog der im Scriptorium von St. Katharina entstandenen Handschriften. Im ersten einleitenden Teil wird das Forschungsziel definiert und ein erster Überblick über die Geschichte des Klosters geboten. Im zweiten und dritten Teil werden dann die eigentlichen Forschungsanliegen behandelt: dies sind die vielen Facetten der Schrift- und Buchkultur des Klosters sowie der Versuch einer Rekonstruktion des historischen Handschriftenbestandes. Ein vierter Teil widmet sich dem schriftlichen Austausch der Schwestern mit anderen reformierten Frauenklöstern und ein fünfter Teil lenkt den Blick schließlich auf die Reform des Konstanzer Dominikanerinnenklosters Zoffingen durch einige Schwestern aus St. Katharinen.

Hinsichtlich des geschichtlichen Kontextes konnte Mengis auf die ältere Monographie von M. Thoma Vogler (1938) und den Artikel über St. Katharina in der Helvetia Sacra von Magdalen Bless-Grabher (1999) zurückgreifen. [2] Vogler publizierte im Anhang auch einen ersten Katalog der zur Bibliothek von St. Katharinen gehörenden Handschriften und Drucke, mit dem sich Hans-Jochen Schiewer und Andreas Rüther 1992 kritisch auseinandersetzt haben.[3] Von A. Rüther erschien zudem 1999 ein Aufsatz über 'Schreibbetrieb, Bücheraustausch und Briefwechsel' in St. Katharina zur Zeit der Reform. [4] Aufbauend auf diesen Forschungen, ist es Mengis dank ihrer Fachkompetenz auf dem Gebiet der Handschriftenbeschreibung gelungen, die Schrift- und Buchkultur dieses Klosters weiter zu präzisieren und in einigen Punkten wesentlich zu ergänzen. Allein achtzehn Schreiberinnen aus dem Kloster werden von ihr namhaft gemacht und in Kurzbiographien näher vorgestellt. Eine zentrale Rolle bei allen Bildungsbestrebungen spielte die langjährige Priorin Angela Varnbühler (1476-1509) aus einer St. Galler Ratsfamilie. Sie führte den Konvent 1482/1485 endgültig der Reform zu und kämpfte während vieler Jahre vergeblich um die Inkorporation des Klosters in den Dominikanerorden. Die Sonderstellung von St. Katharina als observantes Dominikanerinnenkloster unter Diözesanhoheit brachte es mit sich, dass der Konvent unter ihrer strengen Leitung weitgehend aus eigener Kraft die Erwartungen an ein reformiertes Frauenkloster erfüllen musste. Er wurde darin unterstützt von den eigenen Angehörigen aus den führenden Geschlechtern der Tuchstadt St. Gallen, die sich auch beim Aufbau der Bibliothek beteiligten und möglicherweise auch den Kontakt zum gleichnamigen Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg herstellten.

Mengis kann aufzeigen, wie der Bücherbestand des Klosters unter Angela Varnbühler kurz nach Beginn der Reform im Jahre 1484 bereits 233 Bände umfasste und bis 1507 um rund weitere 70 Bücher anwachsen konnte, die meisten davon durch eigene Schreibtätigkeit. Die Priorin selbst war Mitverfasserin und Schreiberin der 'Chronik' von St. Katharina, die zusammen mit dem 'Schwesternbuch' eine wichtige historiographische Quelle für den Reformprozess des Klosters darstellt.

Mengis geht davon aus, dass an der Herstellung der Codices ganze Schreiberinnen-Equipen beteiligt waren. Sogar die Tintenherstellung, für die sie in einer der Handschriften der Cordula von Schönau sogar ein Rezept ausfindig machen konnte, erfolgte im Kloster selbst. Minutiös untersucht Mengis die einzelnen Hände der Schreiberinnen, ihre an den Abkürzungen erkennbaren Latein-Kenntnisse, das Layout der Texte und die künstlerische Ausstattung der Handschriften mit Initialen, Lombarden, Rubriken und Paragraphenzeichen sowie die für das Katharinenkloster charakteristischen Einbände.

Gegenüber diesen innovativen Ergebnissen zu den handwerklichen Aspekten der Buchproduktion, bringt die inhaltliche Analyse der Bibliothek nicht wirklich neue Erkenntnisse. Mengis betont zu Recht den Einfluss der Beichtväter auf die Auswahl der geistlichen Literatur für die Tischlektüre. Das Kloster kam selbst für die Kosten der Seelsorger auf und erbat sich in der Regel theologisch gebildete Lektoren aus einem observanten Predigerkonvent. Es ist aber irreführend, wenn Mengis mit der älteren Literatur davon ausgeht, im Kloster selbst hätte es das Amt des Lesemeisters gegeben. Nachdem der von Angela Varnbühler 1477 berufene Lesemeister Johannes Scherl aus Eichstätt nach 19 Jahren das Kloster verließ, scheint die Suche nach einem ebenso gebildeten observanten Seelsorger schwierig geworden zu sein. Umso wichtiger wurde der briefliche Austausch mit dem Basler Predigerkonvent und mit St. Katharina in Nürnberg. Von Nürnberg und nicht von der Ordensleitung kamen schriftliche Anweisungen zur Durchführung der Reform, von Nürnberg kamen neben anderen Büchern auch die Schriften von Johannes Meyer, die offenbar für die St. Galler Schwestern verpflichtenden Charakter besaßen. Auch die Straßburger Dominikanerinnenklöster St. Agnes und St. Margareten schickten Vorlagen für das Scriptorium der Schwestern. Daneben gab es über familiäre Beziehungen einen Bücheraustausch mit dem Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen und dem befreundeten Klarissenkloster in Villingen. Schließlich gelangten Handschriften aus St. Gallen in das Dominikanerinnenkloster Zoffingen in Konstanz, das auf Geheiß von Bischof Hugo von Hohenlandenberg mit Hilfe von Schwestern aus dem St. Galler Katharinenkloster reformiert werden sollte.

Mengis folgt in ihrer Dissertation all diesen verschlungenen Wegen des Bücheraustausches, verzichtet aber darauf, ihre neuen Erkenntnisse zur Rekonstruktion der historischen Bibliothek von St. Katharina in Form eines vollständigen Kataloges der Forschung zur Verfügung zu stellen. Der im Anhang abgedruckte Katalog erfasst nur die 31 Handschriften aus dem Klosterarchiv des Nachfolgekonvents St. Katharina Wil und die 27 Handschriften aus der Stiftsbibliothek St. Gallen, wobei nur die im Scriptorium von St. Katharina entstandenen Handschriften aufgenommen sind, nicht jedoch die Drucke und die geschenkten oder erworbenen Handschriften. Gar nicht erfasst sind die für Zoffingen geschriebenen Handschriften in der Leopold-Sophien-Bibliothek von Überlingen. Auch fehlt ein Register und ein Verzeichnis der im Text erwähnten Handschriften.

Dafür leistet die Verfasserin mit ihren ausführlichen Beschreibungen der Handschriften aus Wil einen wichtigen Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher Klosterbibliotheken. Ihre detaillierten Untersuchungen zum Schreibbetrieb von St. Katharina sind dank einer guten Quellenlage ausgesprochen ertragreich, so dass dem umfangreichen Werk eine breite Resonanz zu wünschen ist.


Anmerkungen:

[1] Albert Bruckner: Zum Problem der Frauenhandschriften im Mittelalter, in: Festschrift für Gerhard Kallen, hg. von Josef Engel, Bonn 1957, 171-184; Albert Bruckner: Weibliche Schreibtätigkeit im schweizerischen Spätmittelalter, in: Festschrift Bernhard Bischoff, hgg. von Johanne Autenrieth / Franz Brunhölzl, Stuttgart 1971, 441-448.

[2] M. Thoma (Katharina) Vogler: Geschichte des Dominikanerinnen-Klosters St. Katharina in St. Gallen 1228-1607, [Freiburg (Schweiz), 1938]; Helvetia Sacra Abt. IV/5: Die Dominikaner und Dominikanerinnen der Schweiz, redigiert von Petra Zimmer, unter Mitarbeit von Brigitte Degler-Spengler, Basel 1999, Dominikanerinnen St. Gallen (Magdalen Bless-Grabher), 738-779.

[3] Andreas Rüther / Hans-Jochen Schiewer: Die Predigthandschriften des Straßburger Dominikanerinnenklosters St. Nikolaus in undis. Historischer Bestand, Geschichte, Vergleich, in: Die deutsche Predigt im Mittelalter, hgg. von Volker Mertens /Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1992, 169-193, hier 185-189.

[4] Andreas Rüther: Schreibbetrieb, Bücheraustausch und Briefwechsel: Der Konvent St. Katharina in St. Gallen während der Reform, in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hgg. von Franz J. Felten / Nikolaus Jaspert (= Berliner historische Studien; Bd. 31), Berlin 1999, 653-678.

Martina Wehrli-Johns