Rezension über:

Jack P. Cunningham (ed.): Robert Grosseteste. His Thought and its Impact (= Papers in Mediaeval Studies; 21), Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2012, XVIII + 361 S., ISBN 978-0-88844-821-7, USD 90,00
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Rezension von:
Pavel Blažek
Thomas-Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Pavel Blažek: Rezension von: Jack P. Cunningham (ed.): Robert Grosseteste. His Thought and its Impact, Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/22041.html


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Jack P. Cunningham (ed.): Robert Grosseteste

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Das Interesse an Leben und Werk des englischen Universalgelehrten Robert Grosseteste († 1253) hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Ein Beleg dafür ist auch der vorliegende Sammelband, Resultat einer 2009 von der International Robert Grosseteste Society in Lincoln ausgerichteten gleichnamigen Tagung.

Der erste des in vier Teile gegliederten Bandes steht unter dem Thema Translations and Commentaries und beleuchtet Robert Grosseteste als Übersetzer und Kommentator. Eröffnet wird er mit einem ausführlichen Beitrag von James McEvoy, in dem dieser Grossetestes Neuübersetzung des Corpus dionysiacum aus dem Griechischen der nahezu zeitgleichen, zwar sprachlich eleganteren, allerdings nur auf älteren lateinischen Übersetzungen beruhenden Dionysiusparaphrase des Thomas Gallus gegenüberstellt. Mit geradezu detektivischer Akribie deckt er dabei die in den Quellen nur latent und ohne explizite Namensnennung präsente, heftige Kritik Grossetestes am Unterfangen seines Konkurrenten auf. Zugleich zeigt er, dass im Spätmittelalter beide lateinischen Dionysius-Versionen als komplementär empfunden und dementsprechend benutzt wurden.

Als interessante Ergänzung zum Beitrag McEvoys liest sich der folgende Aufsatz von Catherine Kavanagh, die die Dionysius-Übersetzung Grossetestes mit derjenigen Eriugenas vergleicht. Wie sie darlegt, folgen beide dem von Hieronymus formulierten Ideal einer wortgetreuen Übersetzung, die aber zugleich den philosophischen Inhalt möglichst exakt wiederzugeben hat. Dass dies Grosseteste schließlich besser gelinge als seinem Vorgänger, sei seinen besseren Griechischkenntnissen sowie seiner besseren Textgrundlage zu verdanken.

Der Beitrag von Jean-Michel Counet beschäftigt sich mit Grossetestes Kommentar zur pseudo-dionysischen Schrift De divinis nominibus. Anders als manch ein moderner Dionysius-Interpret betrachte der Gelehrte aus Lincoln die Reihenfolge, in der der Pseudo-Areopagite die göttlichen Namen anführt, nicht als mehr oder weniger zufällig, sondern erkenne in ihr ein vom Verfasser bewusst intendiertes, philosophisch und theologisch begründetes System. Grossetestes Auslegung des pseudo-dionysischen Textes weise damit interessante Ähnlichkeiten mit der jüngsten Interpretation desselben durch den Bamberger Philosophie- und Theologiehistoriker Christian Schäfer auf.

Die Rezeption von Grossetestes Psalmenkommentar in zwei kompilatorischen Schriften des 15. Jahrhunderts ist Gegenstand des Beitrags von R. M. Ball. Wie der Verfasser überzeugend darlegt, stellen diese zwei Werke nicht nur zwei weitere "Textzeugen" dieses überlieferungsgeschichtlich nicht unproblematischen Bibelkommentars dar, sondern geben auch wertvolle Aufschlüsse über dessen Urfassung.

Der zweite Teil des Buches steht unter dem Thema Science and Magic. Eröffnet wird er mit einem Beitrag von Cecilia Panti zu Grossetestes origineller Lehre von einem korporell gedachten "Urlicht". Anders als von der bisherigen Forschung behauptet, stelle diese in der Naturphilosophie des Bischofs von Lincoln keine Konstante dar, sondern erfahre eine interessante Entwicklung und werde in dessen Spätwerk sogar völlig aufgegeben.

Pietro Rossi verfolgt den Einfluß von Grossetestes Kommentar zu den Zweiten Analytiken auf spätere britische Kommentatoren und sonstige Rezipienten dieser aristotelischen Schrift. Am Beispiel ihrer Übernahme der auf Grosseteste zurückgehenden, über Aristoteles eigentlich hinausführenden Lehre von der Existenz von vier Stufen (wissenschaftlicher) Erkenntnis belegt er den großen Einfluss dieses Kommentars auf das spätmittelalterliche Verständnis der Wissenschaftstheorie des Stagiriten.

James Long beschäftigt sich mit rationellen Erklärungsversuchen von Magie und Wundern. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht allerdings weniger Grosseteste selbst, der zu diesem Thema vergleichsweise wenig zu sagen hat, als vielmehr sein früher Nachfolger, der englische Dominikaner Richard Fishacre (sein durchaus lesenswerter Aufsatz fügt sich daher in den Sammelband nur bedingt ein). Wie Long erläutert, greift Fishacre bei seinem Versuch, die in der Bibel und anderswo geschilderten Wunder und magischen Handlungen rationell zu erklären, auf die bereits von Augustinus in diesem Zusammenhang herangezogene Theorie der rationes seminales zurück, wobei er diese kreativ mit der neuen aristotelischen Lehre von einer der Materie inhärenten aktiven Potenz verbindet. Den Anhang des Beitrags bildet eine kritische Edition einer Quaestio zur Magie im Sentenzenkommentar von Fishacres Widersacher Richard Rufus.

Mit einem Beitrag zur Rezeption Grossetestes bei John Wyclif eröffnet Anne Hudson den dritten, unter dem Thema Impact and Legacy stehenden, Teil des Bandes. Konkret geht sie der Frage nach, in welchen mittelalterlichen Bibliotheken der Oxforder Reformer, der eine erstaunliche Vertrautheit mit dem Œuvre des Bischofs von Lincoln aufweist, Zugang zu Grosseteste-Handschriften gehabt haben könnte. Trotz Wyclifs bekannter Abneigung gegen die Mendikantenorden, vermutet die Verfasserin - durchaus plausibel - die reiche Grossetestiana-Sammlung der Oxforder Franziskaner als Grundlage für Wyclifs Grosseteste-Kenntnisse.

Edgar Laird beschäftigt sich mit der Rezeption der Universalienlehre Grossetestes bei Wyclif und Chaucer. Anders als bei manchen modernen Interpreten werde die zugegebenermaßen nicht ganz eindeutige Position des Bischofs von Lincoln hinsichtlich der Existenz der universalia realia vom Oxforder Reformer im Sinne eines strikten Universalienrealismus gedeutet. Letzter sei es auch gewesen, der Grossetestes (realistische) Unversalienlehre an Chaucer vermittelt haben soll. Der Verfasser glaubt, ihre Rezeption in Chaucers Miller's Tale ausmachen zu können - eine spannende Hypothese, die womöglich noch eines schlagkräftigeren Beweises bedarf.

Grossetestes Lehre von der Ungleichheit unendlicher Mengen und ihre frühe Rezeption ist Gegenstand des Beitrags von Neil Lewis. Wie der Verfasser deutlich macht, hat diese im lateinischen Mittelalter erstmals bei Grosseteste zu findende und von seinem Zeitgenossen Richard Rufus erstmals rezipierte Lehre ihren Vorläufer beim syrischen Mathematiker Thabit ibn Qurra, ohne dass sich ein direkter Einfluss desselben auf den Bischof von Lincoln nachweisen ließe.

Der letzte Teil des Bandes steht unter dem Thema Pastoral Theology und wird mit einer umfangreichen Edition der altfranzösischen Übersetzung des Grosseteste zugeschriebenen Beichtspiegels Perambulavit Iudas von Matthias Hessenauer eröffnet. Gefolgt wird diese von einem Essay von Mark Elliott zu Grossetestes theologischer Schrift De cessatione legalium, in dem der Verfasser Grossetestes Theologie des Judentums mit derjenigen des Guillaume d'Auvergne vergleicht. Der Band schließt mit einem weiteren Beitrag von James McEvoy, in dem dieser auf die Rezeption von Grossetestes Kommentar zur Mystischen Theologie des Pseudo-Dionysius in der anonymen alemmanischen Übersetzung des weitverbreiteten De septem itineribus eternitatis des Franziskaners Rudolf von Biberach eingeht.

Der Band erweitert zweifelsohne unsere Kenntnis von Grossetestes Denken und dessen mittelalterlichem Fortleben auf vielfache Weise und stellt somit einen wertvollen Beitrag zur Erforschung dieses nach wie vor faszinierenden Gelehrten des 13. Jahrhunderts dar.

Pavel Blažek