Rezension über:

Thomas Brüggemann / Burkhard Meißner / Christian Mileta u.a. (Hgg.): Studia hellenistica et historiographica. Festschrift für Andreas Mehl, Gutenberg: Computus 2010, 451 S., ISBN 978-3-940598-09-7, EUR 64,90
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Rezension von:
Raphael Brendel
München
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Raphael Brendel: Rezension von: Thomas Brüggemann / Burkhard Meißner / Christian Mileta u.a. (Hgg.): Studia hellenistica et historiographica. Festschrift für Andreas Mehl, Gutenberg: Computus 2010, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/19146.html


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Thomas Brüggemann / Burkhard Meißner / Christian Mileta u.a. (Hgg.): Studia hellenistica et historiographica

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Die hier zu besprechende Festschrift für den in Halle tätigen Althistoriker Andreas Mehl enthält insgesamt 25 Aufsätze, die mit Ausnahme des englischen bzw. italienischen Beitrages von Eve-Marie Becker (143-158) und Domenico Musti (203-210) in deutscher Sprache gehalten sind. Unterteilt sind diese in die fünf Kategorien "Hellenismus", "Historiographie", "Regionengeschichte mit Schwerpunkt Zypern", "Quaestiones Romanae et Graecae" (dabei handelt es sich um Beitrage zur griechischen und römischen Geschichte, die nicht in eine der vorherigen Kategorien einzuordnen sind) und "Wissenschafts- und Rezeptionsgeschichte".

Dem Wesen der meisten Festschriften entsprechend decken die einzelnen Beiträge zeitlich, thematisch und methodisch ein breites Spektrum ab, dessen einzige Verbindungslinie oft nur die Interessensschwerpunkte des Geehrten sind. Sieht man von den Studien zur Wissenschaftsgeschichte ab, so behandelt der chronologische früheste Beitrag von Andreas E. Furtwängler (159-170) das Zeitalter Herodots, während der chronologisch späteste Beitrag von Oliver Schmitt (311-330) mit der Eroberung Zyperns durch Richard Löwenherz im späten zwölften Jahrhundert verortet ist. Mit dem Beitrag von Wolfgang Luppe (103-106) ist die Papyrologie vertreten, mit dem von Christian Mileta (107-120) die Epigrafik, mit dem von Eckart Olshausen (211-231) die historische Geografie, mit dem von Bert Freyberger (251-264) die Geschichtsdidaktik und mit dem von Rainer Jakobi (171-177) die Klassische Philologie.

Bereits diese kurze Zusammenstellung macht deutlich, dass eine Besprechung jedes einzelnen Aufsatzes entweder ein kurz kommentiertes Inhaltsverzeichnis oder eine übermäßig lange Rezension zur Folge hätte. Den Interessensschwerpunkten des Rezensenten entsprechend seien daher die beiden Aufsätze zur Spätantike sowie die vier wissenschaftsgeschichtlichen Beiträge herausgegriffen. [1]

Rainer Jakobi (Die Hieronymus-Vita des Marcellinus Comes (nebst einem Anhang zu den Gennadiana in der Chronik), 171-177) bietet eine kritische Edition und einen (hauptsächlich philologischen) Kommentar der Passage aus der Chronik des Marcellinus Comes, in der das Leben des Hieronymus geschildert wird. Jakobi verteidigt die Autorschaft des Marcellinus gegen die Annahme einer späteren Ergänzung aus "Gennadius auctus" und weist in einem Anhang auf die noch unzureichende Erarbeitung der Gennadius-Überlieferung zur Zeit Mommsens hin. Was man allerdings vermisst, ist ein zusätzlicher Apparat zu den Benutzern, da Jakobi selbst darauf hinweist: "Alle mittelalterlichen Hieronymus-Viten und selbst Erasmus in seiner ersten modernen Vita aus dem Jahre 1516 rezipieren diesen Abschnitt des Marcellinus, und zwar unmittelbar." (171)

Clemens Koehn (Die Vorstellung von Restauration und Expansion in der auswärtigen Politik Justinians, 341-355), dessen Aufsatz ein Nebenprodukt seiner Habilitationsschrift zu Justinian und der Generalität bildet (346, Anm. 18), stellt die Frage, in welchem Verhältnis Justinians Idee der restauratio imperii zum traditionellen römischen Weltherrschaftsanspruch steht. Er zeigt, dass die Dichtung der justinianischen Zeit besonders intensive Bezüge zur augusteischen Weltherrschaftsideologie aufweist und dass die verhältnismäßig geringe Propagierung der Rückeroberungen darauf zurückgeht, dass in der römischen Herrschaftstradition Neueroberungen eine größere Bedeutung besaßen und somit der weniger bedeutende Erfolg Justinians gegen die Tzanen im Vergleich zu den zahlreichen und aufwendigeren Rückeroberungen verhältnismäßig stark betont wurde.

Angela Bittner und Alexei Panteleev (CentAnt.pu.ru - ein elektronisches Zentrum der antiken Welt in Russland: Zur Entwicklung der wissenschaftlichen Kommunikation in der russischen Altertumswissenschaft, 391-396) bieten einen kurzen Überblick über die Bedeutung des Internets für die russische Altertumswissenschaft und stellen die Homepage des Zentrums der Antiken Welt der Universität St. Petersburg vor.

Stephan Lehmann (Mit dem Rücken zur Geschichte? Bemerkungen zum Berliner Kolloquium "Posthumanistische Klassische Archäologie" des Jahres 1999, 397-411) setzt sich kritisch mit einer wissenschaftshistorischen Tagung an der Humboldt-Universität im Jahr 1999 auseinander, wobei er insbesondere auf die weitgehende Nichtbeachtung des Epochenbruchs 1989/90 hinweist. Vielleicht nicht unbedingt zielführend ist die Frage nach den Gründen, warum dieser Band damals (fast) nicht rezensiert und "praktisch vergessen" (405) wurde. Wäre angesichts der von Lehmann genannten Kritikpunkte nicht eher ein Verriss zu erwarten? Andererseits aber finden sich immerhin "zwei wohlwollende Besprechungen" in überregionalen Tageszeitungen (399).

Nicht ganz alltäglich ist der Beitrag von Stefan Weise (Graeca recentiora - Jan Křesadlos homerische "Ode an Stalin", 437-451). Er behandelt ein in altgriechischer Sprache verfasstes Gedicht, das eine zentrale Rolle in dem 1984 erschienenen Roman "Mrchopěvci" ("Aas-/Grabsänger") des tschechischen Schriftstellers Václav Jaroslav Karel Pinkava (1926-1995, Pseudonym: Jan Křesadlo) einnimmt. Weise bietet zunächst eine vorbildliche kritische Edition des Gedichtes mit deutscher Übersetzung und Kommentar und ordnet es dann in den Gesamtkontext des Werkes ein. Křesadlos Roman thematisiert die repressiven Zustände in der Tschechoslowakei des späten Stalinismus, denen der Protagonist, der das genannte Gedicht als Scherz in seiner Jugend verfasst hat, zum Opfer fällt und daher am Schluss keinen anderen Ausweg als den, seinen Erpresser zu ermorden, sieht. Weise zeigt daneben auch die Parallelen zwischen Autor und Werk auf (so wurde dessen Griechischlehrerin von den Kommunisten als Dissidentin verhaftet).

Der Beitrag von Isolde Stark (Die mißlungenen Berufungen von Richard Laqueur nach Halle und Berlin zwischen 1946 und 1948, 413-435) ist nach Ansicht des Rezensenten das Meisterstück des Bandes. [2] Unter Heranziehung zahlreicher Dokumente und Briefwechsel, die meist in vollem Umfang im Originaltext zitiert werden, zeigt Stark die Widrigkeiten, mit denen sich der als "Volljude" aus dem Dienst entfernte Laqueur von seiner Entlassung bis zu den erfolglosen Berufungen auseinandersetzen musste: Nach seiner Entlassung musste Laqueur wiederholt um seine Ruhestandszahlungen kämpfen und sah sich bei dem Versuch, in die USA auszuwandern, mit Hindernissen von deutscher Seite konfrontiert. Die nach Kriegsende erfolgten Bestrebungen Laqueurs, der Deutschland noch immer freundlich gegenüberstand, um eine Rückkehr auf einen deutschen Lehrstuhl blieben aufgrund von "Unwissen, Irrtümern und erneuter Ausgrenzung" (433) erfolglos; unter anderem wurde vorgebracht, er habe deutlich weniger Unannehmlichkeiten erleiden müssen als andere Exilanten. Laqueur blieb somit noch einige Jahre in den USA, wo er in der Shakespeare-Bücherei in Washington arbeitete, kehrte erst 1952 nach Deutschland zurück und wurde erst 1959 (!) Honorarprofessor in Hamburg, verstarb aber wenige Tage darauf an einem Herzanfall.

Zusammengefasst: Zwar teilt diese Festschrift mit der enormen Breite an praktisch nicht miteinander verknüpften Aufsätzen das Problem vieler Festschriften. Bereits die anregenden und den Leser stets bereichernden wissenschaftsgeschichtlichen Beiträge (aber nicht nur diese) machen diesen Band jedoch zu einer lohnenswerten Lektüre. [3]


Anmerkungen:

[1] Diese Entscheidung fiel umso leichter, da die Rezension von Josef Wiesehöfer, in: Gymnasium 120 (2013), 387-388 eine Auswahl mit einer anderen Schwerpunktsetzung trifft.

[2] Siehe auch die Rezension Wiesehöfers (Anm. 1), der von einem "höchst lehrreichen Beitrag" spricht.

[3] Auch die Anzahl an Druckfehlern und vergleichbaren Problemen ist erfreulich gering. Lediglich zum Aufsatz von Clemens Koehn wären zwei Details anzumerken: 342, Anm. 7 lies "Bleckmann (2009)" statt "Bleckmann (2008)" (richtig dagegen 353); die Zitation des Malalas allein nach der Seitenangabe der Edition Thurns (346, Anm. 17) ist zumindest ungewöhnlich.

Raphael Brendel