Benediktinerabtei Ottobeuren (Hg.): Ottobeuren. Barocke Bildwelt des Klostergebäudes in Malerei und Plastik. Bearbeitet von Gabriele Dischinger, Cordula Böhm, Anna Bauer-Wild, Rupert Prusinovsky OSB. Photographische Aufnahmen von Kai-Uwe Nielsen, St. Ottilien: EOS Verlag 2014, 2 Bde., XLIII + 596 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-8306-7658-4, EUR 148,00
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Gabriele Dischinger (Bearb.): Ottobeuren. Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klosteranlage 1672-1802, St. Ottilien: EOS Verlag 2011
Als Fortsetzung zum dreibändigen Werk über die Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klosteranlage Ottobeuren 1672-1802 (sehepunkte 12 (2012), Nr. 6) liegt nun in gleicher opulenter Ausführung diese zweibändige Darstellung der barocken Malerei und Plastik vor. Sie beschränkt sich auf das zwischen 1711 und 1723/25 errichtete Klostergebäude, "weil es das homogene Werk eines Mannes ist: Abt Rupert Ness" (reg. 1710-40). Im ersten Teil (1-235) wird der östliche Bereich mit den ausschließlich klösterlich genutzten Konventgebäuden sowie den beiden übereinander liegenden Kapellen an der Verbindung zur Kirche behandelt, im zweiten Teil die klösterlich und weltlich genutzte Abtei und die Hofgebäude im westlichen Bereich (236-558).
Das Verzeichnis der Quellen (559) ist sehr knapp, weil auf den ausführlichen Quellenband der vorangegangenen Publikation verwiesen werden kann. Wichtig sind die Gemäldeverzeichnisse aus der Zeit des Abtes Honorat Goehl (1767-1802), vor allem ein Inventar der Gemälde von 1793. Dementsprechend orientiert sich die Benennung der über 200 Innenräume an deren Nutzung im 18. Jahrhundert. Verhältnismäßig kurz erscheint das Literaturverzeichnis (559-565). Aus Tilmann Breuers Inventar von 1959 [1] sind die Nummern der Räume pragmatisch übernommen, während Norbert Liebs konziser Aufsatz von 1964 [2] den Ausgangspunkt für die Forschungen bildete. Mehrere detaillierte Register (566-596) erschließen beide Bände vorzüglich.
Die einzelnen Abschnitte sind weder namentlich gekennzeichnet, noch wird eine Aufgabenteilung erläutert. Die Einführung (XVIII-XVXVI) zu dem einheitlich durchgearbeiteten Gesamtwerk haben schlicht "die Bearbeiter" unterzeichnet. Nur die kurze ordensgeschichtliche Hinführung zum Thema (XI-XIV) weist den gegenwärtigen Abt Johannes Schaber OSB als Verfasser aus, der auch die Übersetzung der lateinischen Schulordnung des Klosters von 1723/24 beisteuerte (553-554).
Fast alle Räume und deren Deckenbilder, Tafelgemälde, Skulpturen, Stuckreliefs und -figuren aus dem 18. Jahrhundert wurden mit hervorragenden Neuaufnahmen in Farbe reproduziert, dazu kommen einzelne historische Aufnahmen sowie Gesamt- und Detailgrundrisse mit didaktischen Beschriftungen. Insgesamt liegt die Zahl der nicht durchnummerierten Abbildungen schätzungsweise zwischen 1000 und 1500. Nur einzelne Abbildungen sind so klein, dass sie ihren primären Zweck als ikonografische Dokumentation nicht erfüllen, etwa die Benedikt-Szenen im Kapitelsaal (156) oder der Eustachius-Zyklus im Tafelzimmer (282). Von den ursprünglich 52 Zellen in der Klausur, die alle ein Andachtsbild in stuckiertem Rahmen aufweisen und in denen sich vermutlich weitere Gemälde befinden, wird - abgesehen von der Privatzelle des Abtes - nur ein Beispiel vorgestellt (128-131). Neben dieser Fülle eigener Bilder - weitere übertünchte Fresken lassen sich vermuten (152, 263) - sind auch einzelne Vergleichsabbildungen aus Stichwerken aufgenommen (94, 154, 406).
Dieses De-Luxe-Inventar orientiert sich an den fünfzehn Bänden des Corpus der barocken Deckenmalerei (1976-2010), an dessen Erstellung zwei der Bearbeiterinnen von Anfang an mitgewirkt haben. Darüber hinausgehend werden auch Gemälde, Skulpturen und Stuckaturen behandelt. Die einleitenden Texte über die Bau-, Funktions- und Ausstattungsgeschichte der jeweiligen Bauabschnitte erscheinen meist ausführlicher und stärker auf Primärquellen basierend dargestellt als im Corpus. Sehr aufschlussreich sind vor allem die Kommentare aus Abt Ruperts Tagebuch.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die "Massenproduktion" der kleineren Bilder von regionalen Malern übernommen wurde, während für die ambitionierten Darstellungen in den Haupträumen (Benedikts- und Abtskapelle, Paraderäume, Kaisersaal, Theatersaal), die in der Regel sehr gut erhalten sind, renommierte Künstler gewonnen werden konnten - allen voran der seinerzeit am Münchner Hof tätige Jacopo Amigoni. Die Stuckdekorationen lagen bis 1718 in den Händen des Wessobrunners Johann Baptist Zimmermann (der seltsamerweise nicht als Maler engagiert wurde) und seiner Werkstatt. Dann lief ihm der Luganer Andrea Maini mit der reichen Dekoration des Gewölbes im Noviziat (183-189) den Rang ab.
Die "Bildwelt", die man als theologische Enzyklopädie des frühen 18. Jahrhunderts bezeichnen könnte, ist ein Eldorado für Ikonografen. Neben den obligatorischen Themen (Gründung, Stifter, Status im Reich u.a.) fällt auf, dass nur wenige marianische Themen zur Darstellung kamen. Drückt sich darin eine Abgrenzung von der "Patrona Bavariae" des Nachbarstaates aus? Diese und andere ikonologische Besonderheiten werden sich erst mit großräumigen Untersuchungen ergründen lassen. Einen auffälligen Akzent setzt der Eustachius-Zyklus im Tafelzimmer, das 1768 unter Abt Honorat eine neue Ausstattung erhielt mit Supraporten von Johann Jakob Zeiller und einer "Vision des Hl. Eustachius" an der Decke von seinem Verwandten Franz Anton Zeiller. Beide hatten zuvor die Wölbungsfresken in der Klosterkirche ausgeführt. Franz Anton arbeitete damals schon am Hof des Fürstbischofs von Brixen und schickte sein in satten Ölfarben gemaltes Leinwandbild offenbar von dort nach Ottobeuren.
Nicht alle Dekorationen sind vollständig dokumentiert. So fehlen von den Plafondszenen im Archiv (171-175) hinreichende Nachrichten. Eine spätere Zuschreibung an den rätselhaften "Joh. Paul aus Irrsee", von dem auch der Benedikt-Zyklus im Kapitelsaal (155-160) stammen soll, wird mit Recht abgelehnt, aber auch der jetzt vorgeschlagene lokale Meister Arbogast Thalheimer, der unter dem Einfluss von Zimmermann aufgeblüht sei, will nicht vollständig überzeugen. Eine weitere Detailfrage betrifft die beiden unidentifizierten Herrscherstatuen im Saal der Winterabtei (296): Sollten sie den 1725-27 entstandenen Zyklus von Anton Sturm im Kaisersaal (459-461) fortsetzen? Zweifellos erscheinen sie "rokokoesker" und sind wohl später zu datieren.
Die beiden Bände erschienen kurz vor der Ankündigung, dass das Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland als neues Akademieprojekt langfristig weitergeführt wird. Man darf gespannt sein auf die "digitale Komponente, [die] nun eine entscheidende Rolle für die Aktualität und Sichtbarkeit der Ergebnisse" spielt. [3] Für Ottobeuren ist allerdings zu wünschen, dass noch zwei gedruckte Bände über die Ausstattung der Klosterkirche das benutzerfreundliche Set abrunden.
Anmerkungen:
[1] Tilmann Breuer: Stadt und Landkreis Memmingen (= Bayerische Kunstdenkmale; Bd. 4), München 1959, 180-211.
[2] Norbert Lieb: Die barocke Architektur- und Bilderwelt des Stifts Ottobeuren, in: Ottobeuren - Festschrift zur 1200-Jahrfeier der Abtei, hgg. von Aegidius Kolb / Herrmann Tüchle, Augsburg 1964, 305-378.
[3] Presse-Info Nr. 29/14 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vom 30. Oktober 2014; http://histbav.hypotheses.org/3080 (Stand 10.1.2015).
Jörg Martin Merz