Rezension über:

Richard Jenkyns: God, Space, and City in Roman Imagination, Oxford: Oxford University Press 2013, XII + 407 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-967552-4, GBP 35,00
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Rezension von:
Lisa Cordes
Institut für Griechische und Lateinische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Lisa Cordes: Rezension von: Richard Jenkyns: God, Space, and City in Roman Imagination, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 4 [15.04.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/04/25029.html


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Richard Jenkyns: God, Space, and City in Roman Imagination

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In dieser mentalitätsgeschichtlich angelegten Studie widmet sich Richard Jenkyns der Frage, wie die antiken Römer säkulare und sakrale Bereiche ihres Stadtraumes wahrnahmen, imaginierten und wie sie sich darin bewegten. Er analysiert eine große Bandbreite literarischer und archäologischer Zeugnisse, wobei sein Fokus auf der lateinischen Literatur vom ersten vorchristlichen bis zum Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts liegt. Ziel ist es, durch die Verbindung historischer und literaturwissenschaftlicher Methoden aus den Zeugnissen auf die realen Emotionen, Erfahrungen und Empfindungen der Römer zu schließen (ix, 205). [1] Das Buch stellt keine zentrale These auf, sondern untersucht in 10 mehr oder weniger unabhängigen Kapiteln einzelne Aspekte der römischen Wahrnehmung von Stadt und Göttern.

Zuerst widmet sich Jenkyns der sinnlichen Wahrnehmung ("The Public Eye"). Dabei stellt er den Primat des Visuellen im politischen und religiösen Kontext heraus. Er zeigt dies unter anderem an der Fülle von Metaphern aus dem Bereich des Theaters, mit denen die Autoren politische Realitäten und das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen beschreiben. In der römischen "shame culture" ist der Blick der Öffentlichkeit entscheidend für Ehre und Entehrung (13-16).

Kapitel 2 ("The Private Realm") fragt nach der römischen Haltung zum Leben in der Stadt. Jenkyns untersucht, inwiefern die Vorstellung ländlicher Tugenden das Bild der Metropole beeinflusst. Er zeigt, dass sich Kritik meist auf den Reichtum und die Machtverhältnisse in der Stadt bezieht, nicht aber auf das urbane Leben an sich (69). Im Anschluss widmet er sich der Erkundung des Intimen in der augusteischen Dichtung und der Dichotomie öffentlich / privat im Herrscherdiskurs (73-85).

Das dritte Kapitel blickt auf die materiellen Strukturen der Stadt: Jenkyns zeigt, dass die Bevölkerung öffentliche Bauten und Orte - das Forum Romanum, den Palatin, das Marsfeld und die Porticus - für Politik und Geschäfte ebenso nutzte wie für Freizeitaktivitäten ("Business and Pleasure").

Im Anschluss ("Rome Imagined") untersucht Jenkyns, wie Rom in der antiken Vorstellung konstruiert wird. Zentral sind der Blick von oben auf die Stadt, der politische und soziale Bedeutung haben kann (119, 127), und die Beschreibung Roms 'mit fremden Augen', etwa aus der Perspektive von Vergangenheit und Zukunft oder im Vergleich zu anderen Orten (122-126).

Kapitel 5 ("Movement in the City") widmet sich der Bewegung in der Stadt, der Jenkyns eine zentrale Rolle bei der Konstruktion der sozialen, politischen und religiösen Identität der Römer zuschreibt (143). Er untersucht fünf Arten der Bewegung (walking / running, flow, press, descending, entering), die soziale und moralische Bedeutung haben können: Die Art des Gehens / Rennens ist standes- und genderspezifisch (147-150, 160-162); Enge kennzeichnet das Bild des von Klienten bedrängten Patrons und bezeugt dessen Status (172-177).

Die folgenden Kapitel ("Roman Religions", "The Divine Encounter") betrachten den sakralen Bereich. Anders als die meisten Forscher zur römischen Religion [2] ist Jenkyns optimistisch, aus den Texten Erkenntnisse über die religiösen Überzeugungen und Gefühle der Römer gewinnen zu können (205-208). Er widmet sich u.a. zwei in der Forschung kontrovers diskutierten Passagen, der Initiation des Lucius im letzten Buch von Apuleius' Metamorphosen und Lukrez' Venus-Hymnus. In Kapitel 7 fragt er, ob es eine spezielle religiöse Art des Sehens gibt. Ausgehend von der Beobachtung, dass man in den Texten keine Beschreibungen von Kultbildern findet, widmet er sich dem Verhältnis von Sakralität und Ästhetik.

In Kapiteln 8 und 9 ("Patina and Palimpsest", "Interiors") untersucht Jenkyns die Wahrnehmung von Architektur. Er zeigt, dass die römische Wertschätzung der Vergangenheit keine ästhetische Dimension hat: Anders als in Bezug auf Sitten und Institutionen wird bei der architektonischen Entwicklung der Stadt Modernisierung bevorzugt. Kapitel 9 widmet sich der Wahrnehmung und Darstellung von Innenräumen, besonders den Beschreibungen von Höhlen und geschlossenen Räumen bei Vergil.

"Rome's Monuments" (Kap. 10) beginnt mit grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Literatur- und Geschichtswissenschaft und dem Appell, bei der Deutung von Texten und Bauwerken ästhetische Kriterien stärker zu berücksichtigen. Unter dieser Prämisse widmet sich Jenkyns der Monumentalität römischer Bauten, der augusteischen Architektur und einigen späteren Gebäuden, besonders ausführlich dem Pantheon. Das Buch verfügt über einen Stellen- und Sachindex.

Jenkyns' dichte Studie bietet zahlreiche aufmerksame Analysen der lateinischen Texte. Sie zeigt eine große Bandbreite von Aspekten der römischen Wahrnehmung auf und verdeutlicht gewinnbringend, wie säkulare und sakrale Bereiche des römischen Stadtraums in den Texten beschrieben werden. Der Ansatz, die Dichtung als "evidence of inward states" (ix) zu betrachten, lässt Jenkyns die historischen Autoren und ihre dichterische Persona zuweilen verschmelzen. Er selbst wendet sich gegen zu große Skepsis gegenüber Rückschlüssen auf Gefühle und Intentionen des Autors (205f.) und kritisiert, nicht ohne Polemik, literaturwissenschaftliche Ansätze, die auf der Mehrdeutigkeit des Textes insistieren (312). So manches Urteil, etwa über die religiöse Überzeugung eines Horaz oder Lukrez (214, 220), wirkt dennoch allzu selbstbewusst, auch wenn es die Ergebnisse der Textanalyse nicht entwertet.

Irritierend sind Jenkyns' Urteile über die ästhetische Qualität der untersuchten Texte und Bauwerke. Er rechtfertigt auch dieses Vorgehen explizit (210: "The first duty of the critic is indeed to reveal merit [...] to acknowledge faults and weaknesses in the authors in question", Kap. 10 passim). Doch die Unterteilung der antiken Autoren in "Visionäre" ("original minds", "genius") und "conventional minds" (viii) und die Bevorzugung Vergils gegenüber den als minderwertig erachteten Dichtern der 'Silbernen' Latinität erinnern an vergangene Zeiten philologischer Forschung. [3] Problematisch ist Jenkyns' Vorgehen, wenn sein Urteil nicht Beiwerk, sondern Basis der Argumentation ist. [4]

Von diesen Kritikpunkten abgesehen bietet die Studie einige beachtenswerte Lektüren der besprochenen Texte und wertvolle Ausführungen zum römischen Blick auf Stadt und Götter. [5]


Anmerkungen:

[1] Die entgegengesetzte Perspektive auf die Texte wurde bei der von Therese Fuhrer, Felix Mundt und Jan Stenger organisierten Tagung "Cityscaping" (Exzellenzcluster TOPOI, Berlin 2012) eingenommen: Dort wurde gefragt, wie Stadtbilder im Text konstruiert und für den Rezipienten erfahrbar gemacht werden. Vgl. Therese Fuhrer / Felix Mundt / Jan Stenger (eds.): Cityscaping. Konstruktionen und Modellierungen von Stadtbildern in Literatur, Film und bildendender Kunst - Constructing and Modelling Images of the City in Literature, Film and Art, Berlin / München / Boston 2015.

[2] Vgl. Denis Feeney: Literature and Religion at Rome. Cultures, Contexts, and Beliefs, Cambridge 1998, 12-21; Mary Beard / John North / Simon Price: Religions of Rome, Vol. 1, Cambridge 1998, 125.

[3] Vgl. 298 über Senecas Thyestes: "The passage [...] shows a poet without genius trying, however imperfectly, to assimilate the lessons of the Aeneid"; ähnlich über Statius und Silius Italicus (316, 320). Auch die ästhetische Beurteilung von Monumenten in Kapitel 10 bleibt - bei teilweise polemischer Argumentation gegen andere Ansichten (333) - in den meisten Fällen subjektiv, der Schluss auf entsprechende zeitgenössische Urteile spekulativ (333-337).

[4] So bei der Deutung von Apuleius' Metamorphosen (gegen Stephen Harrison: Apuleius. A Latin Sophist, Oxford 2000, 238-252): "The other reason for taking Lucius' conversion at face value is a matter of literary judgement [...]." (204) Jenkyns' negatives Urteil über Statius hindert ihn, in den Silvae über die domitianischen Bauten eine spezielle panegyrische Form der Imagination zu erkennen, deren hyperbole Übersteigerung Teil der literarischen Inszenierung und Ästhetisierung von Kolossalität ist (vgl. Hubert Cancik: Untersuchungen zur lyrischen Kunst des P. Papinius Statius, Hildesheim 1965, 65-100).

[5] Im Band finden sich kaum Druckfehler. Die Literaturangaben betreffen die Fehler auf Seite 235 Anm. 1 (richtig: Martin (1987)) und 313 Anm. 6 (richtig: Thomas (2007)).

Lisa Cordes