Rezension über:

Herman A. G. Brijder: Nemrud Daği. Recent Archaeological Research and Conservation Activities in the Tomb Sanctuary on Mount Nemrud, Berlin: De Gruyter 2014, X + 686 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-1-61451-713-9, EUR 249,00
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Rezension von:
Werner Oenbrink
Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Werner Oenbrink : Rezension von: Herman A. G. Brijder: Nemrud Daği. Recent Archaeological Research and Conservation Activities in the Tomb Sanctuary on Mount Nemrud, Berlin: De Gruyter 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 4 [15.04.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/04/26352.html


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Herman A. G. Brijder: Nemrud Daği

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Mit der vorliegenden Publikation zum Grabheiligtum des Königs Antiochos I. von Kommagene bietet Brijder die jüngste zusammenfassende Behandlung dieses singulären Baudenkmals. Darüber hinaus beinhaltet es eine übergreifende Betrachtung der übrigen Hierothesia und Temene des kommagenischen Herrscherkultes. Grundlage für die Publikation bildet das mehrjährige "International Nemrud Dagi Project", das auf die vollständige Dokumentation, Konsolidierung und Restaurierung sowie wissenschaftliche Auswertung abzielte. Trotz erfolgreich durchgeführter Feldkampagnen 2001-2003 konnten ab 2004 keine Tätigkeiten vor Ort mehr erfolgen, sodass sich lediglich mehrere Publikationskampagnen (2004-2005. 2009) anschlossen. [1] Die Monografie ist in fünf größere Kapitel gegliedert: Auf eine Einleitung (1-22), in der mit einer kurzen Darlegung der Besonderheiten und der Gefährdung des Grabheiligtums und seiner Bildwerke die Notwendigkeit des in seinem Ablauf kurz skizzierten "International Nemrud Dagi Project" begründet wird, folgt ein Überblick zur Topografie, ein komprimierter Abriss der Geschichte des kommagenischen Herrscherhauses sowie eine zusammenfassende Darlegung der Religions- und Kulturpolitik Antiochos I. (Part I; 37-174). Danach schildert Brijder ausführlich die bisherigen Untersuchungen und archäologischen Aktivitäten zu den Heiligtümern des kommagenischen Herrscherkultes (Part II; 175-310) und stellt in einer kritischen Betrachtung die Forschungen speziell zum Nemrud Dagi vor (Part III; 311-431). Im vierten Kapitel werden in mehreren Beiträgen der verschiedenen Mitarbeiter Ablauf, Tätigkeiten und Ergebnisse des "International Nemrud Dagi Projects" vorgestellt (Part IV; 433-504). Als abschließendes Kapitel finden sich weitere Beiträge unterschiedlicher Autoren zu weiterführenden Studien (Part V; 505-613). Abgeschlossen wird das reich bebilderte Buch durch eine umfassende Auswahlbibliografie (614-622), einen Abbildungsnachweis (623-624), einen detaillierten Index (625-647) sowie einem kleinen Tafelteil mit Rekonstruktionszeichnungen der Kolossalbildwerke (Plate 1-32; 650-681) und einer tabellarischen Übersicht zu den SIS-Codes (683-686).

Auf den historischen Abriss folgt in den Abschnitten I.6. und I.7 (78-131) eine erste Betrachtung des Hierothesion auf dem Nemrud Dagi, in der verschiedene Fragestellungen der bisherigen Forschung zur Entstehungsgeschichte und zum Erscheinungsbild des Grabheiligtums kritisch hinterfragt werden. Brijder sieht eine sich im Befund abzeichnende mehrphasige, unter Antiochos I. erfolgte Entwicklung von einem kleinen Temenos zum ambitionierten Hierothesion und wendet sich mit überzeugenden Argumenten, wie etwa der erstmals ausführlich diskutierten Polychromie, gegen die in der Forschung vertretene Annahme einer Unfertigkeit der Anlage. Die Abschnitte I.8 - I.10 (132-165) bieten mit der Vorstellung der bislang bekannten Stelen- und Inschriftenfunde einen vollständigen Überblick über Anzahl und Lokalisierung und Anzahl der kleineren Heiligtümer (10 Temene). Dabei erkennt Brijder zu Recht deren konzentrierte Verteilung in und um die Hauptstadt der Kommagene und vertritt überzeugend die Auffassung einer von der Residenz in Samosata initiierten Ausbreitung über das hauptstädtische Umland weiter in die südliche Kommagene. Eine Annahme, die noch zusätzlich durch ein weiteres, in jüngster Zeit anhand von Architekturgliedern und Inschriftenfragmenten erschlossenes Hierothesion in unmittelbarer Nachbarschaft von Samosata unterstrichen wird. [2] In seinen überblicksartigen Aufzählungen der einzelnen Temene kommt Brijder allerdings über die bisherigen Feststellungen zu deren Erscheinungsbild, die sich lediglich auf die Ausstattung mit einer oder mehreren Stelen beziehen, nicht hinaus.

In Part II (175-310) werden ausführlich die bisherigen Untersuchungen und archäologischen Aktivitäten zu den Heiligtümern des kommagenischen Herrscherkultes dargelegt. Dabei schließt sich an die relativ knappen Besprechungen der frühen Reisenden der 1. Hälfte (175-183) und der deutschen sowie türkischen Expeditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts (184-232) vor allem eine kritische Darlegung der Tätigkeiten und Forschungen Friedrich Karl Dörners (233-278) und Wolfram Hoepfners (279-297) im Hierothesion von Arsameia am Nymphaios an. Durch das Einbinden neuerer Forschungsergebnisse in seinen Beschreibungen gelingt Brijder dabei die Vermittlung eines klareren Bildes der Einzeldenkmäler. Infolge der umfangreichen Grabungsergebnisse nimmt die Besprechung des Hierothesion von Arsameia am Nymphaios einen größeren Umfang an. Die Rekonstruktion des Heiligtums mit Feuertempel von Helmut Waldmann zu Recht unberücksichtigt lassend, legt Brijder eine erfreulich kritische, allerdings nicht erschöpfende Auseinandersetzung mit den Rekonstruktionen Hoepfners vor. Ein eigener Rekonstruktionsvorschlag mit einer überdachten Portikus auf der Südseite des Baukomplexes auf dem westlichen Plateau bleibt zu vage. Hypothetisch muss auch die interessante Überlegung bleiben, anstelle des von Hoepfner zunächst postulierten, später allerdings aufgegebenen Mausoleums ein architektonisch gestaltetes Tropaion auf dem Ostplateau zu ergänzen. Eine erforderliche Neuauswertung der Baubefunde unter Einbeziehung sämtlicher Architekturglieder von Arsameia, die die von Brijder zu Recht postulierte differenziertere Baugeschichte des Hierothesions unterstreichen würde, unterbleibt leider. [3]

Im Focus von Part III (311-431) steht das Hierothesion Antiochos I. auf dem Nemrud Dagi. Wiederum bildet die forschungsgeschichtliche Betrachtung der früheren Grabungsaktivitäten und Tätigkeiten - insbesondere den amerikanischen Untersuchungen unter Leitung von Theresa B. Goell - die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Annahmen zur Struktur und Ausstattung des Heiligtums (311-381). Lediglich in Einzelaspekten kommt Brijder zu abweichenden Rekonstruktionen, etwa in der Ablehnung der von Goell angenommenen, die Kolossalbilder der Ostterrasse flankierenden Treppenanlagen oder der abweichenden Vorstellung der "stepped platform" als "pedimented altar" mit vier flankierenden Adler-Löwen-Gruppen. Für das Verständnis der Anlage wichtig könnte sich die Annahme erweisen, dass die "Nordterrasse" keine Terrasse, sondern eine von Stelen flankierte Passage, darstellt. In einzelnen kürzeren Abschnitten widmet sich Brijder schließlich einerseits erstmals überhaupt den bautechnischen Details der Kolossalstatuen der Ost- und Westterrasse (382-400) und andererseits den geophysikalischen Untersuchungen von Goell auf dem Nemrud Dagi (401-409), den 1984 erfolgten Restaurierungsmaßnahmen durch Dörner (410), den von 1987-1990 durchgeführten Forschungen durch Sencer Sahin, Elmar Schwertheim und Jörg Wagner (411-412) sowie den 1989 vorgenommenen geophysikalischen Untersuchungen durch Helmut Lütjen und Tomm Utecht (413-420). Gleichsam in einer Art Exkurs betrachtet Brijder schließlich den vorgeschlagenen Kultplatz des kommagenischen Herrscherkultes in Direk Kale (421-423) und die im Verlauf der Rettungsgrabungen von Samosata freigelegten Reste des kommagenischen Herrscherpalastes (424-426), ohne allerdings über die bisher erreichten Erkenntnisse hinauszugelangen. Ein detaillierterer Vergleich der hellenistischen Baureste in Samosata und in Arsameia am Nymphaios könnte hier zu einer überzeugenderen chronologischen und architekturgeschichtlichen Verortung des bislang weitgehend isolierten Komplexes im Hierothesion innerhalb der nahöstlichen Sakral- und Repräsentationsarchitektur hellenistischer Zeit führen.

Den weiteren zentralen Ergebnissen des "International Nemrud Dagi Projects" gilt dann Part IV (433-504), in dem nach einer ausführlichen Einleitung Brijders verschiedene Mitarbeiter des Projektes Einzelaspekte der wissenschaftlichen und restaurativen Tätigkeiten auf dem Nemrud Dagi vorstellen. Insbesondere die neuen Dokumentationsmethoden eines auf GPS-Daten beruhenden "Site Information Systems (SIS)", in das die durch 3D-Scan-Technology aufgenommenen Bildwerke Eingang finden, stellen einen wichtigen Beitrag zur kontextbezogenen, detaillierten Denkmalerfassung dar. Die vor Ort durchgeführten geologischen Steinbestimmungen, Dokumentationen und Diagnosen der Verwitterungsschäden bieten grundlegende Informationen für die bereits im Rahmen des Projektes durchgeführten - wie auch zukünftigen - Restaurierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen an den verschiedenen Bildwerken des Hierothesions.

Im letzten größeren Kapitell (Part IV, 505-613) werden in mehreren Beiträgen von Projektmitarbeitern weitere Aspekte der Projekttätigkeiten angeführt und durch weiterführende Betrachtungen auswärtiger Wissenschaftler ergänzt. Ein geplanter epigrafischer Survey mit einer Gesamterfassung sämtlicher kommagenischer Inschriften (505-510) musste leider aufgegeben werden, wird aber erfreulicherweise insbesondere hinsichtlich der kommagenischen Kultinschriften bereits seit einigen Jahren von anderer Seite durchgeführt. [4] Im Hinblick auf das Zusammenwirken der Inschriften und Bildwerke hinterfragt Bruno Jacobs in einem kurzen Beitrag (511-521) eine augenscheinliche Bezugnahme zu achämenidischen Inschriften. Die Bildwerke aus Sandstein bilden schließlich im Abschnitt V.3 (522-529) den Ausgangspunkt für eine kritische Bewertung der bisherigen Restaurationstätigkeiten. Die ernüchternden Ergebnisse des im Projektverlauf durchgeführten Keramiksurvey werden in Abschnitt V.4 (530-532) kurz referiert; die erhoffte Klärung, ob im Heiligtum auf dem Nemrud Dagi jemals Kult stattfand, kann auch weiterhin nicht abschließend geklärt werden. Ein Überblick zur Münzprägung des kommagenischen Herrscherhauses (533-562) sowie ein Beitrag zu astronomisch-religiösen Aspekten in der Kommagene (563-599) leiten zu den beiden abschließenden Beiträgen über, die sich der kulturgeschichtlichen Verortung der Heiligtümer des kommagenischen Herrscherkultes widmen. Miguel John Versluys (600-605) unternimmt den Versuch, die Religions- und Baupolitik Antiochos I. aus der ihr zugewiesenen Sonderrolle heraus wieder verstärkt in die allgemeine Entwicklung der "hellenistic koine" des 1. Jahrhunderts v.Chr. einzuordnen, bleibt dabei aber weitgehend in einer okzidental geprägten griechisch-hellenistischen Betrachtungsebene verhaftet. Ebenso bleiben in dem kurzen Beitrag Eric Moormanns (606-613) zu möglichen pergamenischen Einflüssen andere regionale wie lokale Traditionsstränge unberücksichtigt, die sich zweifellos in der Bildkunst, aber auch der Architektur widerspiegeln.

Resümierend darf man dem Buch von Brijder, das weitaus mehr bietet, als sein Titel verspricht, attestieren, dass es einerseits eine willkommene kritische Zusammenschau der bisherigen Forschung zu den Heiligtümern des kommagenischen Herrscherkultes bietet und andererseits in Einzelaspekten zur Ausstattung und Sakralarchitektur neue Impulse in der Betrachtung der Hierothesia und Temene geben wird. Dennoch bleiben - nicht zuletzt auch aufgrund der äußerst fragmentarischen Überlieferung und bislang fehlender archäologischer Untersuchungen der meisten Heiligtümer - viele Aspekte etwa der architekturgeschichtlichen Einordnung unbeantwortet. Grundlage hierfür kann lediglich eine umfassende Materialuntersuchung zur hellenistisch-kaiserzeitlichen Bauornamentik der Kommagene bieten, die eine fundierte Untersuchung der späthellenistischen Architektur dieser Grenzregion ermöglicht. [5] Zudem scheint vor dem Hintergrund der in den letzten Jahrzehnten verstärkt untersuchten seleukidischen, parthischen und graeco-baktrischen Repräsentations- und Sakralarchitektur eine grundlegende Überprüfung bisheriger Rekonstruktionen sowie eine umfassendere Neubetrachtung der architektonischen Gestaltung der kommagenischen Hierothesia und Temene möglich und sinnvoll. [6] Deren Sakralarchitektur wird offenbar verstärkt durch das Kombinieren orientalischer Bautechniken mit einer gleichermaßen von westlich-hellenistischen und orientalischen Dekorformen gestalteten Bauornamentik charakterisiert. Ein Phänomen, das sich architekturgeschichtlich überzeugender in einer überregionalen hellenistisch-mesopotamischen Bautradition verorten lässt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu Eric M. Moormann / Miguel J. Versluys: The Nemrud Dag Project: first interim report, BABesch 77 (2002), 73-111; dies.: The Nemrud Dag Project: second interim report, BABesch 78 (2003), 141-166; dies.: The Nemrud Dag Project: third interim report, BABesch 80 (2005), 125-143.

[2] Vgl. Charles Crowther / Margherita Facella: New Commagenian Royal Inscriptions from the Neset Akel Collection (Kâhta), in: Engelbert Winter (Hg.): Kult und Herrschaft am Euphrat (= Dolichener und Kommagenische Forschungen; Bd. VI), Bonn 2014, 255-270; Werner Oenbrink: Dorische Kapitelle späthellenistischer Zeit - Säulenhallen eines neu entdeckten Temenos des kommagenischen Herrscherkultes nahe Kâhta / Adiyaman, in: ebda., 271-287.

[3] Die Architekturreste des Hierothesion von Arsameia am Nymphaios werden im Rahmen eines von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojektes unter Leitung von Engelbert Winter (Forschungsstelle Asia Minor Münster) mit dem Titel "Die Sakralarchitektur der kommagenischen Hierothesia und Temene" eingehend von Werner Oenbrink (Universität Bonn) untersucht.

[4] Charles Crowther, Margherita Facella, Georg Petzl und Gregor Staab bereiten für die Reihe "Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien" ein Corpus der kommagenischen Inschriften vor. Vgl. nur: Charles Crowther / Margherita Facella: A New Commagenian Nomos Text from Samosata, in: Engelbert Winter (Hg.): Von Kummuh nach Telouch. Archäologische und historische Untersuchungen in Kommagene, Bonn 2011, 355-366.

[5] Diese wird z.Z. mittels des von der Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Forschungsprojektes "Ornamentum. Hellenistische und kaiserzeitliche Baudekore aus der antiken Landschaft Kommagene" durch Werner Oenbrink im Rahmen der Grabungen im Iuppiter Dolichenus-Heiligtum auf dem Dülük Baba Tepesi unter Leitung von Engelbert Winter erarbeitet.

[6] Susan B. Downey: Mesopotamian Religious Architecture. Alexander through the Parthians, Princeton 1988; Lise Hannestad / Daniel Potts: Temple architecture in the Seleucid Kingdom, in: Per Bilde / Troels Engberg-Pedersen / Lise Hannestad / Jan Zahle (eds.): Religion and religious practice in the Seleucid Kingdom, Aarhus 1990, 91-126; Boris A. Litvinskij / Igor R. Pitschikjan: The hellenistic temple of the Oxus in Bactria (South Tajikistan), 1. Excavations, architecture, religious life, Moskau 2000; dies.: Taxt-i Sangin. Der Oxus-Tempel. Grabungsbefund, Stratigrafie und Architektur, Mainz 2002; Henri-Paul Francfort: Ai Khanoum "temple with intended niches" and Tahkt-i Sangin "Oxus temple" in historical cultural perspective. Outline of a hypothesis about the cults, Parthica 14 (2012), 109-136.

Werner Oenbrink