Rezension über:

Dean Hammer (ed.): A Companion to Greek Democracy and the Roman Republic (= Blackwell Companions to the Ancient World), Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2015, XVIII + 531 S., ISBN 978-1-4443-3601-6, GBP 120,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Karl-Joachim Hölkeskamp
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Joachim Hölkeskamp: Rezension von: Dean Hammer (ed.): A Companion to Greek Democracy and the Roman Republic, Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 6 [15.06.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/06/26847.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Dean Hammer (ed.): A Companion to Greek Democracy and the Roman Republic

Textgröße: A A A

Der anzuzeigende Band ist der mittlerweile 57. (!) 'Blackwell Companion to the Ancient World' - das akademisch-epidemische Phänomen der weltweiten 'Companionitis' ist also ungebrochen (wobei sogleich zuzugeben ist, daß weder der amerikanische Kollege, der den Begriff selbstironisch geprägt hat und der auch an diesem Band beteiligt ist, noch der Rezensent gegen diesen Virus immun sind). Das Programm des Verlages ist ebenso umfassend-enzyklopädisch wie ambitioniert: Die durchweg um die 500 Seiten starken Bände werden vollmundig als "sophisticated and authoritative overviews of periods of ancient history, genres of classical literature, and the most important themes in ancient culture" (ii) angepriesen.

Der Herausgeber hat gerade den zuletzt genannten Anspruch durchaus ernst genommen: Nur auf den ersten Blick geht es darum, gewissermaßen griechische Äpfel und römisch-republikanische Birnen zu vergleichen, also die demokratisch-egalitären politischen Systeme der klassischen Zeit und die oligarchisch-hierarchische soziopolitische Ordnung der res publica. Auf den zweiten Blick wird die zugrunde liegende Inspiration erkennbar, die auf Sir Fergus Millars radikal-revisionistische Charakterisierung der 'Verfassung' der mittleren und späten Republik als eine Art direkter Demokratie zurückzuführen ist: Ja, Millar stellte provokativ-zuspitzend fest, daß diese Verfassung der Demokratie des klassischen Athen viel ähnlicher gewesen sei, als die moderne (vor allem deutsche) Forschung habe wahrhaben wollen, und er wollte so dem römischen Volk den ihm zustehenden Platz in der Geschichte der westlichen Demokratie zurückgeben. [1]

Zwar hat sich kaum jemand diesem Urteil vorbehaltlos anschließen wollen. Aber die Forschung arbeitet sich nicht nur immer noch daran ab - was nicht zuletzt die gelegentlich und in ganz unterschiedlichen Kontexten eingestreuten Seitenblicke in vielen Beiträgen belegen (9; 18; 304; 308; 330-331). Vor allem hat sich aus der Diskussion der Millarschen Thesen eine weit darüber hinausgehende, lebhafte und bis heute nicht abgeschlossene Debatte über die politische Kultur der römischen Republik und überhaupt der antiken Stadtstaaten als Bürgergemeinschaften entwickelt [2] - dabei geht es um Formen, Grade und Gewichtung der abstrakt-symbolischen Teilhabe und der real-materiellen Teilnahme auch und gerade breiter Schichten der Bürgerschaften und um die diesbezüglichen formal-zweckrationalen Verfahren, deren zeremoniell-expressive Dimensionen sowie die Funktionen anderer 'civic rituals'.

In diesen Kontext soll sich das Programm des Bandes einordnen, das der Herausgeber um zwei leitende Konzepte herum entwickelt: Danach bezeichne der Begriff "participatory communities" nicht nur allgemein "the range of different types of communities and different forms of participation", sondern charakterisiere eine Gemeinschaft, "in which politics is no longer seen as the exclusive preserve of one small group but premises the legitimacy of important political outcomes on some aspect of broad participation". Unter dem Begriff "enactment" versteht er ein breites Spektrum von "interconnected practices by which communities negotiate their identities, identify and respond to crises, and reflect their own cultures": Dazu zählt er "institutional forms, informal norms, myths and legends, community spaces, philosophic and literary texts, rhetoric, political vocabulary, public displays, entertainment, economic transactions, and global relations" (2). Das ist allerdings so neu nicht: Schon ein flüchtiger Blick auf die Debatten über die kulturalistisch gewendete historische Politikforschung macht deutlich, daß Politik längst nicht mehr als "eindimensionaler Akt" begriffen wird, "in dem von oben nach unten dekretiert, regiert, entschieden wird" - vielmehr beruhe Politik als "kommunikatives Handeln" nicht nur auf "einer Sprechhandlung, sondern auch auf einer Verstehenshandlung", die Partizipation voraussetze, wenn auch keineswegs "unbedingt im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe". [3] Darüber hinaus wird der kulturellen Grundierung der Politik, den diskursiven bzw. kommunikativen und rituellen Dimensionen politischen Handelns längst auch in der althistorischen Forschung große Aufmerksamkeit geschenkt [4] - nur schlägt sich das in der programmatischen Einleitung kaum nieder, die einschlägige Literatur (nicht nur, wie üblich, die nichtenglischsprachige) wird systematisch ignoriert. An diesem mittlerweile weitverbreiteten Defizit leidet auch eine ganze Reihe der Beiträge - "written in a clear, provocative, and lively manner", so das erwähnte allgemeine Verlagsprogramm,"designed for an international audience of scholars, students, and general readers". Diesem Adressatenkreis wird damit vermittelt, was ein anderer Kollege schon vor drei Jahrzehnten (nur bedingt) ironisch so formuliert hat: "An idea not conceived in English is probably not worth thinking at all."

Die Beiträge sind in dreizehn Teile gegliedert, in denen jeweils ein griechischer und ein römischer Beitrag zu dem systematischen Dachthema gegenübergestellt werden. Dabei kommt es unvermeidlicherweise zu einigen Überschneidungen, etwa zwischen Part I ("The Emergence of Participatory Communities") und Part IV ("Institutions"), in denen es um Entstehungs- und Entwicklungsprozesse politischer Ordnungen geht. Die Beiträge in Part II ("Constructing a Past") thematisieren die Funktion griechischer respektive römischer Mythen für die Konstruktion von Identität(en). In Part III ("Dēmokratia and Res Publica") stehen die unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Freiheit, Gleichheit und Autorität in den politischen Diskursen im Mittelpunkt - daran schließen die Beiträge zu informellen Normen und Werten in Part VI ("Social Values") und zu Frauen und Sklaven unter einem vielsagenden Titel (Part XI: "Discourses of Inclusion and Exclusion") an. In Part V ("Law") geht es um Recht, Rechtsinstitutionen und -verfahren. Auch die folgenden Abschnitte verweisen in vieler Hinsicht aufeinander: Während die Beiträge in Part VII ("Power Relations and Political Groups") Praktiken und Handeln in politicis generell in den Blick nehmen, steht in Part VIII ("Rhetoric") die in Athen wie Rom zentrale konkrete Praxis der öffentlichen Rede im Mittelpunkt. Dann folgen Beiträge zu zwischenstaatlichen Beziehungen, 'Kolonisation' und 'Empire' (Part IX: "Global Contexts"), zu Produktion, Handel und Konsum (Part X: "Economic Life"). Die abschließenden Teile - Part XII ("Entertainment") - sind den performativen Dimensionen der "participatory communities" in Gestalt von Tragödie und Komödie respektive - Part XIII ("Visual Culture") - den jeweils spezifischen visuellen Medien, Monumenten und Topographien gewidmet.

Die Beiträge sind durchweg lesenswert und vielfach anregend - und einige sind auch umfassend und sorgfältig dokumentiert, wie diejenigen von Kurt Raaflaub, Henrik Mouritsen, Valentina Arena, Jeffrey Tatum, Robert Morstein-Marx und Tonio Hölscher. In Part XIV ("Conclusion. Thinking Comparatively about Participatory Communities") nimmt der Herausgeber einerseits die einleitenden Überlegungen von David Konstan zu Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs ("Reading the Past [on Comparison]") [5] und andererseits die zentralen Themen noch einmal auf: "liberty and power", "participatory space", "equality and exclusivity in Greece" versus "hierarchy and integration in Rome" - auch diese Sicht aus der Vogelperspektive ist anregend, allerdings fällt wieder die sehr einseitige, sehr amerikanische Optik auf.


Anmerkungen:

[1] Fergus Millar: The Political Character of the Classical Roman Republic, 200-151, in: JRS 74, 1984, 1-19 = ders.: Rome, the Greek World, and the East, vol. I: The Roman Republic and the Augustan Revolution, Chapel Hill etc. 2002, 109-142, hier 112; s. ders.:The Crowd in Rome in the Late Republic, Ann Arbor 1998, 11, 209 und passim; ders.: The Roman Republic in Political Thought, Hanover etc. 2002, 6 u.ö.

[2] S. zuletzt Frédéric Hurlet: Démocratie à Rome? Quelle démocratie? En relisant Millar (et Hölkeskamp), in: Stéphane Benoist (ed.): Rome, a City and Its Empire in Perspective, Leiden etc. 2012, 19-43, mit ausführlichen Nachweisen.

[3] Ute Frevert: Neue Politikgeschichte: Konzepte und Herausforderungen, in: dies./Heinz-Gerhard Haupt (Hgg.): Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt etc. 2005, 7-26, hier 15. S. dazu auch Luise Schorn-Schütte: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006.

[4] Vgl. Karl-Joachim Hölkeskamp: Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research, Princeton 2010, mit weiteren Nachweisen.

[5] S. bereits Jochen Martin: Two Ancient Histories: A Comparative Study of Greece and Rome, in: Social History 4, 2, 1979, 285-298, und seine übrigen Arbeiten zum "historisch-anthropologischen Vergleich" in: ders.: Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike. Gesammelte Beiträge zur Historischenb Anthropologie, hg. von Winfried Schmitz, Stuttgart 2009.

Karl-Joachim Hölkeskamp