Rezension über:

Jerry Toner: The Day Commodus Killed a Rhino. Understanding the Roman Games (= Witness to Ancient History), Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2014, VIII + 136 S., ISBN 978-1-4214-1586-4, GBP 13,00
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Rezension von:
Jörg Fündling
Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Fündling: Rezension von: Jerry Toner: The Day Commodus Killed a Rhino. Understanding the Roman Games, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/03/26824.html


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Jerry Toner: The Day Commodus Killed a Rhino

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Leitlinie beim Konzept des schmalen Bandes war die Vermittlung von Grundlagen zum Erscheinungsbild und Stellenwert der Spiele im Rom des Prinzipats an einem plakativen Beispiel - ihre Genese wird nicht, ihr spätantikes Ende nur knapp behandelt. Ein erklärter Schwerpunkt liegt hierbei auf den Gladiatorenkämpfen im engeren Sinn, in einigem Abstand auch auf Tierjagden (venationes).

Hierbei meint Toner seinem Zielpublikum insoweit entgegenzukommen, als er vor seinen Ausführungen zu Technik, Ablauf und politisch-sozialer Bedeutung der Spiele wieder und wieder die fasziniert-abgestoßene Sicht der Moderne als Ausgangspunkt wählt. Dem Stereotyp vom politisch ruhiggestellten Rom der Gewaltkonsumenten und der Despotie möchte er erklärtermaßen "a modern, nonjudgmental presentation of this important topic" gegenübersetzen (121); allerdings verfällt die lebendig geschriebene Darstellung, die provokative Spracheffekte nicht scheut, zu oft ins Gegenteil des Versprochenen.

Erzählende Quellen (gelegentlich irritierend weitab vom 2. Jh. n.Chr.) stehen im Vordergrund, komplettiert um Proben des epigraphischen Befundes; der Originalwortlaut bleibt dabei außer Sicht. Am meisten zugegriffen wird auf die Commodusvita der Historia Augusta und Passagen aus Cassius Dios Buch 73; gerade sie jedoch fehlen in den Stellennachweisen des Anhangs. Ein Hintergedanke dabei war vielleicht, zu einer Lektüre beider Quellentexte mit dem Rhino als Begleitband anzuregen.

Neben dem üblichen Ausblick dient die Einführung (1-5) mit ihrer titelgebenden Szene erkennbar als 'Appetitmacher'. Zum Argument, Arena und Spielgeschehen bildeten Sozialstruktur und Wertesystem Roms in nuce ab (5: "Roman society encapsulated in a single spot"), tritt schon hier die Solidarisierung mit der erwarteten Affektreaktion des modernen Lesers, der eine strukturelle Grausamkeit gegenüber Mensch und Tier herausliest: "Mass slaughter, execution, and gladiatorial combat provide a heady cocktail of violence and brutality of a kind that we in the West today thankfully almost never experience (which is sadly not true of many other parts of the world)." (4) Die Blauäugigkeit dieser Aussage hat leider System.

Es folgen sechs eng verzahnte Hauptkapitel - "Commodus's Great Games" (7-18) mit dem idealtypisch ergänzten, zwischen historischer Erzählung und Dramatisierung changierenden Verlauf eines Tags des Jahres 192 im Kolosseum, gefolgt von der Kurzvita "When in Commodiana" (19-32), die dem Kaiser Faulheit und persönliches Desinteresse, wenn nicht gar Unfähigkeit bescheinigt. Bizarres wird beleuchtet, eine Erklärung, was an der Titulatur oder den neuen Monatsnamen überzogen war und was zum Repertoire des Prinzipats gehörte, gar nicht erst versucht (28f.). In "An Emperor Loves His People" (33-45) umreißt Toner die Grundzüge des klassisch-modernen Modells von ludi als Interaktion und Kommunikation des Kaisers mit der Hauptstadtbevölkerung und führt - unter Vermeidung der termini technici - ins erweiterte Konzept des Veyne'schen Euergetismusbegriffs für Personen der lokalen Führungsschichten ein. "Feeding the Monster (46-66)" widmet sich der "games industry" (46), dem Netz aus Logistik, kaiserlich-staatlich unterhaltenen Strukturen und Dienstleistern, den Akteuren, ihrem sozialen Stellenwert, ihren Lebensumständen und Zukunftsaussichten (soweit vorhanden). Dem stellt "Win the Crowd" (67-86) Zusammensetzung und Verhalten des Spielepublikums gegenüber, äußert sich zur Möglichkeit der Zuschauermehrheit, eigene Werte und Wünsche in die Kämpfe zu projizieren, und zum Reiz, der selbst für einen Kaiser von der Beziehung zu Arena-Stars ausgeht. Umgekehrt deutet dann "How to Be a Roman" (87-103) die munera als stellvertretendes Ausagieren traditioneller Männlichkeitsvorstellungen sowie als zeitgemäßen, eingängigen Multiplikator von Wertbegriffen. Das wenig treffend als "Epilogue" bezeichnete Schlusskapitel "Fighting Back" (105-120) zeigt dann Optionen der 'Anschauungsobjekte' in der Arena auf, dieses Sozialsystem zeitweise außer Funktion zu setzen; im Vordergrund stehen hierbei christliche Martyrien. Die spätantike Weiterführung der Wagenrennen und die - wie es heißt, christlich geprägte - Negativsicht auf das Phänomen der ludi bilden den Ausklang.

Nach und nach vermittelt Toner beachtliches Faktenwissen etwa über Publikumserwartungen und die Infrastruktur hinter den Spielen. Sehr intelligente Bemerkungen gelten der beabsichtigten Reizüberflutung (11) oder dem Bezug dieser Freizeitgestaltung zum Alltagsleben (82). Doch greift es viel zu kurz, die Aversionen Juvenals gegen Gladiatorinnen mit Senecas Spielekritik als das Schimpfen isolierter "reactionaries" in einen Topf zu werfen (58; 101); dem Autor entgeht völlig das provokante Tabubruch-Spiel mit den römischen Geschlechterrollen. (Zu pauschal 58: "The female fighter became an easily understood symbol of imperial excess and decadence.")

Allzu oft schwankt das Buch unkontrolliert zwischen halber Empathie und Ekel. Mal wird die Passio Perpetuae in entrüsteter Anteilnahme auserzählt, gleich darauf attestiert Toner christlichen Märtyrern den fanatischen Willen zur Vernichtung paganer Symbolik, analog zu "the terrorists of 9/11" (110 - von kleineren Unterschieden wie dem Töten Dritter wird großzügig abgesehen). Dann wieder erklärt er: "Rome was a society where brutality was built into the system", und die Einschränkung, inszenierte Exekutionen drückten nicht nur (aber auch?) "a sadistic psychopathology" aus (94), speist sich offenkundig aus Dekadenz- und Grausamkeitstopoi. Stellenweise wird die Suche nach Kraft- und Gewaltbesessenheit amüsant. Woher wissen wir, dass ein Baby aus einer Flasche mit modischem Gladiatorenmotiv "strength and courage" in sich aufnehmen soll, und gilt das auch für die Benutzer entsprechender Öllampen? (57) Analog müssten Comicfiguren auf Zahnbürsten magischen Beistand gegen Karies spenden. Ähnlich unbedacht heißt es über Gladiatorenmotive: "We would think it strange to see death scenes decorating our dining room walls." (39) Dabei essen auch Veganerinnen in der Tapasbar gleich nebenan unter Stierkampfbildern...

Quellenkritik wird gerade für die Historia Augusta gefordert (21: "We should be very careful about taking it at face value."), nur nicht praktiziert; so fehlt jede Skepsis bei der Tertullus-Anekdote über Marc Aurel (41 nach HA Marc. 29,1f.) oder der angeblichen Gigantomachie des Commodus gegen Fußlose (17 zu Comm. 9,6). Fahrlässig flüchtig geht es auch sonst zu. Toners Behauptung, dass die einzelnen Kämpfertypen nicht festgelegt gewesen seien (13), widerspricht außer den Quellen er selbst (77; 83). Ihm zufolge hätten "the citizens of Rome" samt und sonders Gratisgetreide erhalten (36). Mathematisch ausgeschlossen ist, dass die 20 000 Gladiatoren, die er imperiumsweit schätzt, "over two percent of the entire young male cohort" in einer Reichsbevölkerung von 40-60 Millionen ausmachen (57). Schlicht bestürzend für ein Einführungswerk ist zuletzt die Aussage: "Rome had long since ceased to be any genuine form of representative democracy." (34)

Eine kommentierte Literaturliste (127-30) führt rund 50 ganz überwiegend englische Titel auf. Die willkommene Beigabe eines Registers (131-36) kann leider die partielle Unzuverlässigkeit und die starken Schwankungen im Reflexionsgrad nicht vergessen machen. So interessante Perspektiven das Buch stellenweise aufwirft, so dringend wäre gerade sein Zielpublikum auf Konstanz angewiesen. Sprachlich wie inhaltlich ist es nicht zu Ende gedacht.

Jörg Fündling