Reinhild Kreis (Hg.): Diplomatie mit Gefühl. Vertrauen, Misstrauen und die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (= Zeitgeschichte im Gespräch; Bd. 21), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, 108 S., ISBN 978-3-486-77844-1, EUR 29,95
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Die Zahl emotionsgeschichtlicher Studien ist inzwischen kaum noch zu überblicken. [1] Insbesondere durch die Untersuchungen von Ute Frevert wurde auch das Vertrauen zum Gegenstand historischer Forschung. [2] Zudem befassen sich zunehmend Studien mit der Rolle von Emotionen in den internationalen Beziehungen. [3] Der von Reinhild Kreis herausgegebene Sammelband geht nun der Rolle von Vertrauen und Misstrauen in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nach. Ausgangspunkt ist die Feststellung, das leitende außenpolitische Motiv der Bundesrepublik sei die Wiederherstellung des durch den Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg verlorenen Vertrauens gewesen. Spieltheoretische Ansätze, die Vertrauen lediglich als Instrument der Interessenspolitik verstehen, greifen für die Herausgeberin zu kurz. Sie wählt vielmehr einen emotionsgeschichtlichen Ansatz und betont die "Gefühlsqualität" von Vertrauen, mit dem die "Wissens- und Sicherheitslücke" überbrückt werden kann, "die dadurch entsteht, dass nie absolut zuverlässig vorhersagbar ist, wie sich jemand verhalten wird" (10). Kreis identifiziert drei Ebenen, auf denen Vertrauen und Misstrauen in den internationalen Beziehungen eine Rolle spielen: die persönliche Beziehungsebene der Akteure, die Ebene kollektiver Gefühle und die institutionelle Ebene. In dem Sammelband wird Vertrauen zudem als rhetorische Strategie, als Ziel politischer Handlung und als Handlungsantrieb politischer Entscheidungsträger untersucht.
Philipp Gassert behandelt in seinem Beitrag Vertrauen als einen "Zentralbegriff westdeutscher Außenpolitik". Er hebt dabei weniger den emotionalen Gehalt von Vertrauen hervor, sondern beschreibt die rhetorische Strategie führender Akteure, mit der um Vertrauen geworben wurde, die schließlich zum "integrale[n] Bestandteil des außenpolitischen Stils der Bundesrepublik" wurde (30). Für ihn steht dabei das persönliche Verhältnis zwischen den Akteuren und nicht die institutionelle Dimension im Vordergrund, ohne dass er jedoch im Detail darauf eingehen würde.
Während Gassert einen Querschnitt durch das Vertrauensnarrativ in der westdeutschen Außenpolitik gibt, konzentriert sich Alexander Reinfeldt auf die frühe Phase der europäischen Integration. Auch er beschreibt im Zusammenhang mit der westdeutschen Wiederbewaffnung eine strategische Vertrauensrhetorik, mit der Bundeskanzler Konrad Adenauer die westlichen Alliierten davon überzeugen wollte, die Bundesrepublik als gleichberechtigten Partner zu akzeptieren. Dabei misst er den persönlichen Beziehungen und Erfahrungen der Akteure einen hohen Stellenwert bei der Vertrauensbildung zu. Zusammenfassend stellt Reinfeldt fest, "dass Vertrauen und Misstrauen tatsächlich zentrale handlungsleitende Kategorien für die beteiligten Akteure im europäischen Integrationsprozess waren", jedoch dabei häufig weniger eine emotionale Dimension relevant war, als vielmehr Rhetorik und Interessenpolitik (45).
Peter Ulrich Weiß hebt in seinem Beitrag über Vertrauensbildung in den deutsch-deutsch-rumänischen Beziehungen ebenfalls interessenpolitische Motive hervor. Vor dem Hintergrund, dass deutliche Misstrauensbekundungen zwischen der DDR und Rumänien einerseits und ein zu offen zur Schau getragenes Vertrauensverhältnis zwischen Rumänien und der Bundesrepublik andererseits zur Zeit der Blockkonfrontation nicht gewünscht waren, betrachtet Weiß es als "weniger ertragreich, auf dem semantischen Feld der Vertrauenswerbung zu verbleiben, als vielmehr Bereiche und Arbeitsfelder zu eruieren, in denen vertrauenspolitische Maßnahmen griffen oder scheiterten (etwa Kulturaustausch oder politische Kommunikation)" (53). Die Untersuchung eines blockübergreifenden Dreiecksverhältnisses erweitert zudem den Blick auf die Rolle von Vertrauen und Misstrauen in den internationalen Beziehungen: Da die westdeutsche Vertrauenspolitik gegenüber Rumänien bei der DDR "nahezu reflexhaft verschärftes Misstrauen" (63) hervorrief, geriet sie als Instrument zur Entspannung an ihre Grenzen.
Wie Weiß verfolgt auch Matthias Peter einen praxeologischen Ansatz, indem er untersucht, inwiefern es gelang, durch den KSZE-Prozess vertrauensbildende Maßnahmen - insbesondere im militärischen Bereich - zu etablieren. Er verbindet dies mit einer Analyse der Vertrauensrhetorik: Die Konjunktur des Vertrauensbegriffs durch die KSZE "machte den Appell zu mehr Vertrauen auf Dauer zu einem Mittel der blockübergreifenden Kommunikation" (81) und war damit mehr als bloße Semantik. Hier hatte nun die Bundesrepublik eine Gratwanderung zu vollziehen, da ihr Rekurs auf den Vertrauensbegriff gegenüber dem Osten das Misstrauen der westlichen Verbündeten provozieren konnte.
Ulrich Lappenküper wählt einen biographischen Ansatz, um François Mitterrands "prekäres Vertrauen" (83) gegenüber Deutschland zu untersuchen. Hier geht es weniger um die rhetorische Ebene, sondern es werden vielmehr Vertrauen bzw. Misstrauen als tatsächliche Gefühle in den Blick genommen und ihre Folgen für außenpolitische Handlungen analysiert. Sein tiefes Misstrauen überwand Mitterrand letztlich nie, der Wille zur europäischen Einigung zwang ihn jedoch zur Kooperation mit dem Nachbarn. Lappenküpers Beitrag deckt somit auf, dass Vertrauen einzelner Entscheidungsträger keine zwingende Voraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Staaten ist.
Mit einem konzisen Kommentar fasst Bernhard Gotto die Beiträge zusammen und hebt hervor, dass die in den Beiträgen beschriebenen Akteure alle zu einem gewissen Grad "Vertrauen als Ressource, um Anerkennung und Einfluss zu gewinnen", zu nutzen versuchten (100). Zudem zeigten alle Beiträge, dass es einfacher sei, "Vertrauen als rhetorische Strategie oder als politisches Ziel zu untersuchen, als es als ein Gefühl zu fassen" (105). Gotto relativiert die oftmals hervorgehobene Rolle persönlicher Beziehungen auf diplomatischer Ebene und mahnt an, Vertrauen auch "als Disposition zwischen unterschiedlichen Staaten jenseits ihres außenpolitischen Personals" (104) zu untersuchen. Da einmal gewonnenes Vertrauen nicht statisch bleibt, sondern Veränderungen unterworfen ist, müsse zudem die zeitliche Ebene stärker in die Analyse einbezogen werden.
Der überaus lesenswerte Sammelband zeigt einmal mehr die Schwierigkeit der emotionshistorischen Forschung auf, den "Gefühlen an sich" auf die Spur zu kommen. Es bleibt der Eindruck, dass Vertrauen als Emotion möglicherweise gar keine so entscheidende Rolle für erfolgreiche internationale Zusammenarbeit spielt. Dennoch bereichert er durch die Analyse von Vertrauen als Mittel der Interessenpolitik und als rhetorische Strategie das Verständnis der außenpolitischen Geschichte der Bundesrepublik. Wie ertragreich insbesondere die Untersuchungen von multilateralen Beziehungen sein können, zeigen dabei die Studien von Weiß und Peter, bei denen deutlich wird, dass Vertrauensbekundungen gegenüber einem Verhandlungspartner zu Misstrauen seitens anderer internationaler Partner führen können. Der Sammelband gibt somit zahlreiche Anregungen für weitergehende Untersuchungen von Vertrauen und Misstrauen auf außenpolitischer Ebene.
Anmerkungen:
[1] Zum Forschungsstand vgl. Jan Plamper: Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012; und jüngst Rüdiger Schnell: Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer History of emotions, Göttingen 2015.
[2] Ute Frevert: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, München 2013.
[3] Vgl. z.B. Bernd Greiner / Christian Th. Müller / Dierk Walter (Hgg.): Angst im Kalten Krieg, Hamburg 2009; Patrick Bormann / Thomas Freiberger / Judith Michel (Hgg.): Angst in den Internationalen Beziehungen, Göttingen 2010.
Judith Michel