Rezension über:

Bernhard Gißibl: The Nature of German Imperialism. Conservation and the Politics of Wildlife in Colonial East Africa (= The Environment in History: International Perspectives; Vol. 9), New York / Oxford: Berghahn Books 2016, XIV + 360 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-1-78533-175-6, USD 120,00
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Rezension von:
Lars Kreye
Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Lars Kreye: Rezension von: Bernhard Gißibl: The Nature of German Imperialism. Conservation and the Politics of Wildlife in Colonial East Africa, New York / Oxford: Berghahn Books 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/29409.html


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Bernhard Gißibl: The Nature of German Imperialism

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Die Rolle der Natur in der Entwicklung kolonialer Herrschaft zu erforschen, ist das zentrale Anliegen von Bernhard Gißibl. Am Beispiel Tansanias während der deutschen Kolonialzeit zeigt er, wie im Prozess der Aushandlung kolonialer Herrschaft die Natur als ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital eingesetzt wurde. Seine Studie basiert auf Recherchen in 21 Archiven und Bibliotheken. In den ersten beiden Teilen wird chronologisch die Entwicklung eines kolonialen Jagd- und Wildschutzregimes in Deutsch-Ostafrika untersucht. Im dritten Teil gerät dann die Bedeutung lokaler, transimperialer und metropolitaner Räume für die Entwicklung der kolonialen Wildschutzpolitik ins Visier. Ferner diskutiert Gißibl die Rückwirkungen der kolonialen Erfahrung auf den Naturschutz in Deutschland. Ein Nachwort über den deutschen Einfluss auf die Wildschutzpolitik in Tansania bis in die bunderepublikanische Gegenwart beschließt die Studie.

Die zentralen Fragen lauten: Wie prägten Wildtiere, insbesondere Elefanten, die Kultur und Geografie der kolonialen Herrschaft und warum rückte die koloniale Wildschutzpolitik (conservation policy) im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit Wild als Ressource auf die kolonialstaatliche Agenda? Der analytische Bezugsrahmen der Studie liegt im Schnittfeld von Umweltgeschichte (politische Ökologie) [1], tansanischer (Umwelt-) Geschichte und deutscher Kolonialgeschichte (postcolonial studies). Mit dieser innovativen Mixtur modifiziert der Mainzer Historiker bisherige Forschungsansätze. [2] Jedoch erhält man in Gißibls Studie kaum Einblicke in die Konsequenzen der deutschen Wildschutzpolitik für den Alltag der afrikanischen Bevölkerung. [3] In diesem Zusammenhang legt er zu wenig Augenmerk auf die kolonialzeitliche informelle Ökonomie Ostafrikas. [4]

Sehr plastisch stellt Gißibl die vorkoloniale Situation in Tansania dar. Er weist nach, dass die Kolonisation zunächst keinen Bruch, sondern lediglich einen Wandel des Verhältnisses von Mensch und Natur bewirkte. Das ostafrikanische Großwild sei seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch Handel mit tierischen Rohstoffen, insbesondere Elfenbein, in die globale Ökonomie einbezogen worden. Der frühe koloniale Staat habe sich das lokale Jagdregime über die Vergabe von Jagdlizenzen angeeignet und im eigenen Sinn umgeformt. Die einheimischen Jäger mussten einen Stoßzahn von jedem erlegten Elefanten ("ground tusk") an den Staat abgeben. Dieser hatte zuvor lokalen afrikanischen Herrschern zugestanden.

Elfenbeinhandel spielte zur Finanzierung des kolonialen Staates eine zentrale Rolle, wobei die koloniale Kontaktzone bei Gißibl unter Bezugnahme auf Richard White als middle ground verstanden wird. Während Thaddeus Sunseri das Aufeinandertreffen von Afrikanern und Europäern als Konflikt zwischen zwei Jagdkulturen deutet [5], waren die Verhältnisse laut Gißibl durch Annäherung und Kooperation geprägt. Die lokale Macht sei zwischen afrikanischen "big men" (Dorfchefs und/oder Elefantenjägern) und deutschen Kolonialbeamten ausgehandelt worden. Die Integration zwischen Herrschern und Beherrschten habe sich über materielle und immaterielle, männliche Interessen an der Jagd vollzogen.

Einschneidende Veränderungen setzen in Tansania erst nach dem Maji-Maji-Krieg (1905-1907) ein, indem ein neues Wildschutzregime installiert wurde. Das Großwild stand fortan als nationales Gemeingut unter staatlichem Schutz. Dessen konservatorische Kontrolle rückte als integraler Bestandteil auf die kolonialstaatliche Agenda. Laut Gißibl handelte es sich um ein "ecoracist regime", das die Jagd auf Großwild nur noch eingeschränkt als Privileg der "weißen" Bevölkerung erlaubte. Der afrikanischen Bevölkerung nahm man damit eine zentrale Quelle, um Macht und Wohlstand anzusammeln. Der Raum menschlicher Interaktionen mit wilden Tieren wurde durch die verstärkte Etablierung von Wildreservaten neu vermessen. [6] Das Wildschutzregime transformierte die lokalen ökologischen Beziehungen und unterminierte die Kapazitäten afrikanischer Gesellschaften zur Kontrolle ihrer Umwelt. [7]

Im Zuge dieser Entwicklung kam es über die Grenzen nationaler Imperien hinweg zu dichten Kooperationen zwischen Wildschützern. Gißibl verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf Herrmann von Wissmann und Karl Georg Schillings. Wissmann hatte das Konzept des Nationalparks bereits vor der Jahrhundertwende von den USA nach Deutsch-Ostafrika transferiert. Dabei wurden die lokale Geschichte der ostafrikanischen Landschaft sowie der menschliche Einfluss auf die gewachsenen ökologischen Zusammenhänge bewusst eliminiert. [7] In kolonialer Perspektive stilisierte man das Wild als globales evolutionäres Erbe und die Landschaft in Form zeitloser Originalität, wobei für die Popularisierung solcher Bilder visuelle Medien wie Fotografie oder Malerei eine bedeutende Rolle spielten. [8]

Gißibl schlussfolgert, dass der koloniale Wildschutz die "[ökonomische] Basis des ostafrikanischen Wegs in die Moderne" darstellt (8). Die transimperiale Lobbyarbeit habe seinerzeit Strukturen hervorgebracht, die zu einer strukturellen Abhängigkeit staatlicher Herrschaft in Tansania von internationalen Naturschutz- und Entwicklungsorganisationen als Geldgebern führten und bis heute die lokale Bevölkerung exkludieren.

Die gut lesbare Studie lädt zum Nachdenken über die ökologischen und sozialen Folgen der bis heute populären Konstruktion Ostafrikas als Paradies für wilde Tiere ein. Ihre historiografische Bedeutung liegt darin, dass Gißibl sich von konstruktivistischen Ansätzen abgrenzt, indem er konzeptuell einen "kritischen Realismus" favorisiert. Die Natur erscheint in dieser Perspektive unter einem "doppelten Charakter" als "kulturelles Konstrukt und physische Materialität". Sie wird als bedeutsamer Ort von Macht, nicht als passiver Hintergrund auf der Bühne menschlichen Handelns betrachtet.

Gißibls Arbeit ist zukünftig das zentrale Referenzwerk zur Geschichte des Wildschutzes während der deutschen Kolonialzeit. Denn koloniale Herrschaft wird hier konsequent und folgerichtig unter Berücksichtigung umweltgeschichtlicher Perspektiven interpretiert. Selbst erstellte Grafiken sowie ein im Anhang befindlicher Überblick zu den Jagd- und Wildschutzverordnungen in Deutsch-Ostafrika (1891-1914) erleichtern das Verständnis. Ein Register zu Personen, Orten und allgemeinen Gegenständen rundet den Eindruck einer sorgfältigen Recherche und Darbietung der Ergebnisse ab.


Anmerkungen:

[1] Gißibl berücksichtigt nicht, dass der Ansatz der politischen Ökologie einer kritischen Revision unterzogen worden ist; Andrew P. Vayda / Bradley B. Walters: Against political ecology, in: Human ecology, 27, 1 (1999), 167-179.

[2] Die Rolle der Natur bei der Entwicklung kolonialer Herrschaft wurde bisher kaum beleuchtet; Trutz von Trotha: Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des 'Schutzgebietes Togo', Tübingen 1994; Andreas Eckert / Michael Pesek: Bürokratische Ordnung und koloniale Praxis. Herrschaft und Verwaltung in Preußen und Afrika, in: Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, hgg. v. Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel, Göttingen 2006, 87-106.

[3] Thaddeus Sunseri: The nature of German imperialism. Conservation and the politics of wildlife in colonial East Africa by Bernhard Gissibl, in: EuropeNow: a journal of research and art, January 5th (2017), URL: www.europenowjournal.org [08.04.2017].

[4] Erik Gilbert: Dhows & the colonial economy of Zanzibar 1860-1970, Oxford 2004.

[5] Thaddeus Sunseri: The war of the hunters: Maji Maji and the decline of the ivory trade, in: Maji Maji. Lifting the fog of war, hgg. v. James Giblin / Jamie Monson, Leiden 2010, 119.

[6] Die beiden Karten zu den Wildreservaten im Gebiet des Maji-Maji-Aufstands (127) und zu den Wildreservaten in ganz Deutsch-Ostafrika (220) sind leider unleserlich.

[7] Sunseris Kritik, dass Gißibl die destruktiven Folgen der kolonialen Wildschutzpolitik unterschätzt, ist zurückzuweisen. Auch wird Sunseris Einschätzung nicht geteilt, dass Gißibl den Neuigkeitswert seiner Ergebnisse übertreibt und diese nachlässig belegt; Thaddeus Sunseri: The nature of German imperialism. Conservation and the politics of wildlife in colonial East Africa by Bernhard Gissibl, in: EuropeNow: a journal of research and art, January 5th (2017), URL: www.europenowjournal.org [08.04.2017].

[8] Einschlägige Quellen der bildenden Kunst werden in der Monografie nicht herangezogen, obwohl sich im Deutschen Kolonial-Lexikon oder in Hans Meyers Werk Das deutsche Kolonialreich zahlreiche Bildquellen finden. Instruktiv ist auch folgender Aufsatz: Christof Mauch: Bilder, die die Umwelt bewegten: Naturwahrnehmung und Politik in der US-amerikanischen Geschichte, in: Umweltgeschichte und Umweltzukunft. Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin, hgg. v. Patrick Masius / Ole Sparenberg / Jana Sprenger, Göttingen 2009, 51-67.

Lars Kreye