Eglė Bendikaitė / Dirk Roland Haupt (eds.): The Life, Times and Work of Jokūbas Robinzonas - Jacob Robinson, Sankt Augustin: Academia Verlag 2015, 269 S., ISBN 978-3-89665-633-9, EUR 38,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Das vorliegende Sammelwerk ist aus drei Gründen von besonderem Interesse. Erstens bietet es einen interdisziplinären Zugang zur Geschichte der Juden in Ostmitteleuropa zwischen dem Ersten Weltkrieg und der juristischen Aufarbeitung des Holocaust in den 1960er Jahren. Zweitens sind die Artikel deutscher, litauischer und angelsächsischer Autoren ein wertvoller Beitrag zwischen persönlichem Erinnern an den Protagonisten und dem Gedenken an Jacob Robinson als Person einer jüdischen Zeitgeschichte, die typischerweise von Akteuren osteuropäischer Herkunft dominiert worden war. Damit ist die Edition drittens eine Vergegenwärtigung jüdischer Politik im Hinblick auf die Verbesserung der Rechtslage der jüdischen Bevölkerung in den westlichen Gebieten des Russischen Reiches und trägt dank eines multiperspektivischen Ansatzes auch zu einer Entmythologisierung des Diskurses über ein vermeintliches Ende der Geschichte des Judentums im Osten Europas bei.
Jacob Robinson (1889-1977) war ein imperialer Akteur, der aus den Erfahrungen seiner rechtswissenschaftlichen Ausbildung an der Universität Warschau, seiner Zeit als Soldat der Zarenarmee im Großen Krieg und seiner Gefangenschaft in einem deutschen Lager als Abgeordneter im Seimas von Kaunas seit 1922 für die Gleichberechtigung der Juden im neuen litauischen Nationalstaat stritt. [1] In den 1930er Jahren avancierte Robinson zu einem herausragenden Juristen in Fragen des Minderheitenrechts und emigrierte noch während der sowjetischen Besatzung Litauens im Mai 1940 in die USA. In New York gründete er das Institute of Jewish Affairs, einen Think Tank des American and World Jewish Congress zur Frage der Schicksale der jüdischen Bevölkerung unter nationalsozialistischer Besatzung. Seine Erfahrungen als Politiker und Jurist brachte Robinson in prominenter Stellung in vielfältiger Weise ein - ob als Berater des Chefanklägers von Nürnberg, Robert H. Jackson, bei der israelischen Delegation bei den Vereinten Nationen, als Experte in den Entschädigungsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel in den 1950er Jahren oder als einer der Gründerväter der Holocaust-Forschung (unter anderem als Koordinator der Forschungs- und Sammlungsaktivitäten von Yad Vashem).
In der Einleitung benennen die Herausgeber, der Jurist Dirk Roland Haupt und die Judaistin und Historikerin Eglė Bendikaitė, neben dem persönlichen Werdegang auch die wichtigsten juristischen Errungenschaften und rechtswissenschaftlichen Publikationen Robinsons. Im zweiten Abschnitt beleuchten wiederum Bendikaitė und der litauische Historiker Saulius Kaubrys die Rolle Robinsons in der jüdischen politischen Szene Litauens zwischen den Kriegen, die von den Postulaten eines parteipolitischen Zionismus bestimmt wurde. Robinson als Jurist und Rechtsanwalt, seine Rolle während der Nürnberger Prozesse (Michael R. Marrus), sein akademischer Beitrag zum Minderheitenschutz als einem dem Souveränitätsrecht der Staaten entgegengesetzte Rechtsform sowie seine Rolle während des Eichmann-Prozesses sind Bestandteil von Kapitel 3. Im Beitrag von Gabriel Bach wird Robinson kurioserweise nicht einmal erwähnt, genauso übrigens wie Fritz Bauer, ein anderer Jurist jüdischer Herkunft, der maßgeblich an der Festsetzung Eichmanns beteiligt war.
Philipp Graf führt Robinson im darauffolgenden Abschnitt in seinem Beitrag zur Bernheim-Petition von 1933 (der Kaufhausangestellte Franz Bernheim aus Gleiwitz hatte Deutschland vor dem Völkerbund angeklagt, durch antijüdische Gesetze in Oberschlesien das deutsch-polnische Abkommen von 1922 zu verletzen) als herausragenden Vertreter der jüdischen Diplomatigeschichte seiner Zeit ein, während Asta Petraitytė-Briedienė die Bedeutung des Austausches zwischen Robinson und litauischen Politikern im nordamerikanischen Exil analysiert. Zwei Artikel heben sich von der ansonsten rein wissenschaftlichen Diktion ab. Daniel A. Greenberg, ein Cousin Robinsons, beschreibt im fünften und letzten Kapitel das Leben seines Onkels aus der Perspektive der Familie, Shabtai Rosenne die juristische Karriere Robinsons in einem als Reprint wiedergegebenen Nachruf von 1978.
Hervorgegangen aus einem Symposium zum 30. Todestag im Jahre 2007, liegt eine Festschrift post mortem vor, die seiner Titelperson zu wissenschaftlichen Ehren gereicht. Leider verpassen es die Herausgeber, einen thematischen Leitgedanken zu formulieren, der die Beiträge darüber hinaus miteinander verbinden würde. Die Edition enthält insgesamt - trotz einer bisweilen ungelenken Aufmachung (Personennamen im Fließtext durchgehend in Großbuchstaben, Porträtbild des Herausgeberpaares als einziges Bild neben drei Aufnahmen des Protagonisten) - wertvolle Ansätze für Historiker, die unter einem rechtsgeschichtlichen Ansatz an transnationalen Fragestellungen zur Geschichte moderner jüdischer Politik in Ostmitteleuropa vom ausgehenden Zarenreich bis hin zu den Diskursen über die Shoah der späten Nachkriegszeit interessiert sind.
Anmerkung:
[1] Vgl. Frank Grelka: Gegen altes Unrecht in neuen Staaten: Nationaljüdische Akteure in Polen und Litauen nach dem Großen Krieg, in: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Nach dem Großen Krieg: 1918-1923. Band 25, 2017, 65-86.
Frank Grelka