Nick Holder: The Friaries of Medieval London. From Foundation to Dissolution (= Studies in the History of Medieval Religion; Vol. XLVI), Woodbridge: Boydell Press 2017, XVI + 363 S., 91 s/w-Abb., 20 Tabl., ISBN 978-1-78327-224-2, GBP 50,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Wolfgang Huschner / Ernst Münch / Cornelia Neustadt u.a. (Hgg.): Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte, Kommenden und Prioreien, Rostock: Hinstorff 2016
Staatliche Schlösser und Gärten Baden Württemberg (Hg.): Kloster Heiligkreuztal. Geistliche Frauen im Mittelalter, Mainz: Nünnerich-Asmus Verlag & Media 2020
Cornelia Berger-Dittscheid: Fossanova. Architektur und Geschichte des ältesten Zisterzienserklosters in Mittelitalien. "Oratorium hoc sit quod dicitur ...", München: Hirmer 2018
J. Nicholas Napoli: The Ethics of Ornament in Early Modern Naples. Fashioning the Certosa di San Martino, Aldershot: Ashgate 2015
Gabriele Dischinger (Bearb.): Ottobeuren. Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klosteranlage 1672-1802, St. Ottilien: EOS Verlag 2011
János M. Bak / Jörg Jarnut / Pierre Monnet u. a. (Hgg.): Gebrauch und Missbrauch des Mittelalters, 19.-21.Jahrhundert, München: Wilhelm Fink 2009
Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VI. Histoire internationale de la littérature hagiographique latine et vernaculaire en Occident des origines à 1550, Turnhout: Brepols 2014
David M. Perry: Sacred plunder. Venice and the aftermath of the Fourth Crusade, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2015
Gegenstand des vorliegenden Bandes ist die Entstehung und Bedeutung einiger der bedeutendsten monastischen Komplexe in einer der wichtigsten Städte des Abendlandes: London. Genauer geht es um sieben Niederlassungen unterschiedlicher Bettelorden im späten Mittelalter: diejenigen der Dominikaner, Franziskaner, Karmeliten, Augustinereremiten, Kreuzbrüder, Sackbrüder und Pickbrüder. "We are here to stay" (182): das, was Nick Holder als Antrieb hinter den großen Bauprogrammen der an der Themse ansässigen Mendikanten vermutet, ist wohl tatsächlich so falsch nicht. Sie waren gekommen, um zu bleiben: das galt zumindest für die größeren Bettelorden. Aufgrund der Verfügungen des II. Lyonense von 1274 verschwanden nämlich die Sack- und Pickbrüder zu Beginn des 14. Jahrhunderts aus dem Stadtbild. Ihnen war es versagt worden, neue Novizen aufzunehmen.
Heutzutage hat sich von der baulichen Herrlichkeit fast nichts erhalten: die Auflösung der Klöster 1538 im Zuge der henricianischen "Reformen", das Große Feuer von 1666 und die Bombardierungen des 2. Weltkriegs haben ganze Arbeit geleistet.
So ist man denn auf eine Mischung aus schriftlichen Dokumenten und den Ergebnissen archäologischer Grabungen angewiesen, das, was der Verfasser die "documentary, cartographic, archaeological and architectural evidence" (39) nennt. Die wichtigste Quelle für die Rekonstruktion der monastischen Landschaft in England ist das Archiv des Court of Augmentations, gegründet 1536, um die Auflösung der Klöster verwaltungstechnisch zu begleiten (heute in den Serien E 315, E 318 und C 66 der National Archives aufbewahrt). Die Archive der Bettelordensklöster wurden wohl bereits im Zuge der Auflösung 1538 als unnütz bewertet und deshalb vernichtet. Allein zum Londoner Franziskanerkonvent existieren schriftliche Quellen in nennenswertem Umfang: mit Thomas' von Eccleston Tractatus de adventu fratrum minorum in Anglia steht ein chronikaler "Augenzeugenbericht" zur Verfügung, das mittelalterliche Besitzregister ist ebenfalls überliefert (s. hierzu Liste 5; 72f. mit den von den Franziskanern im Laufe der Zeit erworbenen Liegenschaften). 95 archäologische Grabungen fanden auf dem Gelände der Konvente statt und wurden dokumentiert - von viktorianischen Zeiten bis heute.
Holder betritt mit seinen Forschungen nicht völliges Neuland. Jens Röhrkastens Untersuchung zu den fünf Bettelordenskonventen in London von 2004 zählt nach wie vor zu den maßgeblichen Arbeiten auf diesem Gebiet [1] - ein Blick in Holders Fußnoten genügt, um sich von der Richtigkeit dieser Feststellung zu überzeugen.
Die Untersuchung ist in zwei große Teile gegliedert. Während im ersten Kapitel die Überlieferung für alle sieben Häuser analysiert wird (Kap. 1-9; die Dominikaner werden wegen der dreimaligen Verlagerung ihres Konvents innerhalb der Stadt in drei Kapiteln abgehandelt), findet im zweiten Teil ein thematisch ausgerichteter Zugriff statt. Die räumliche Gliederung und Architektur werden in Kap. 10-14, die Entwicklung der Konventskirchen und ihr topographisches Umfeld in Kap. 10 und 11 abgehandelt. In Kap. 12 werden die Erkenntnisse archäologischer Untersuchungen fruchtbar gemacht, um Baudaten und -stile im Detail zu analysieren. In Kap. 13 stützt man sich auf dieselben Ergebnisse, um nähere Angaben über Fliesen und andere Baumaterialien zu erhalten. Wasserversorgung und ökonomische Aktivitäten sind Gegenstand der beiden nachfolgenden Kap. 14 und 15. Spiritualität und Bildung werden in Kap. 16, die Attraktivität der Konvente als Begräbnisstätten für Stadtbewohner, das Verhältnis der Brüder zur Stadt London in Kap. 17 und 18 untersucht. Der Untergang der Konvente infolge der "Dissolution of the Monasteries" von 1538 ist Gegenstand des letzten Kapitels.
Als die ersten Bettelmönche in London kurz nach 1220 ankamen, zählte die Stadt rund 40.000 Einwohner. Innerhalb eines Jahrhunderts verdoppelte sich die Bewohnerzahl und stieg bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch weiter an. Kurz vor der Auflösung ihrer Klöster siedelten die Mendikanten auf 20 Hektar Land, was rund 5% der ummauerten Fläche der City of London entspricht. Die extra muros angesiedelten Karmeliter fügten dem noch 2,1 Hektar hinzu. Geht man davon aus, dass Ende des 15. Jahrhunderts rund 160 Brüder in den fünf Konventen lebten, dann entspricht dies rund 0,5% der Bevölkerung. Mit anderen Worten: jeder Vertreter dieser Gebets- und Predigtelite hatte 20mal mehr Raum zur Verfügung als der "gewöhnliche" Londoner. Jeder noch so flüchtige Blick auf die eindrucksvollen Lagepläne zeigt, wie umfangreich und diversifiziert die Gärten waren, die die jeweiligen Konvente umgaben. Auf dem Gelände des Dominikanerkonvents ist gar die Existenz eines Weinbergs belegt, "the only documentary evidence for a London monastic vineyard" (25) im "largest, wealthiest and most politically significant of the English friaries." (28).
Aus zumeist kleinen Kapellen heraus entstanden große, raumgreifende Predigtkirchen, die das Stadtbild prägten und neben der Kathedrale St. Paul und der Westminster-Abtei mit zu den größten Sakralgebäuden der Stadt zählten. Die 91 Meter lange Kirche der Franziskaner, "a marvel of the Decorated style" (76), hatte Kathedralformat. Die Beschreibung von Bauprozessen und die historische Kontextualisierung gehen Hand in Hand, besonders eindrücklich dargestellt am Beispiel der Karmeliter (White Friars; 97-128). Sie siedelten sich wohl in den späten 1240er Jahren in London an. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts umfasste der Konvent 60-80 Brüder. Noch am Ende des Jahrhunderts (nach der Pest!) lebten 68 Brüder im Komplex, der nicht nur Sitz des Provinzialpriors, sondern auch des ordenseigenen studium generale war - letzteres lockte auch viele Studenten von außerhalb an. So sind beispielsweise mehr als 240 deutsche Studenten zwischen dem 14.-16. Jahrhundert nachweisbar. Das ursprüngliche bescheidene Kirchengebäude vom 3. Viertel des 13. war im 14. und frühen 15. Jahrhundert durch ein sehr viel größeres Schiff und einen neuen Chor ersetzt worden. Das Gelände war von Mauern umgeben, die über drei Tore und eine Öffnung hin zur Themse verfügten. Die Karmeliter verfügten außerdem über 0,1 Hektar bebauten Grund in unmittelbarer Nachbarschaft, wo sie Häuser und Geschäfte vermieteten. Bereits zuvor wurden auch Räumlichkeiten und Gartenanteile innerhalb der Umfassungsmauern vermietet, wodurch zusätzliche Einnahmen erzielt wurden. Diese Einkünfte trugen nicht unerheblich zur Finanzierung von Bauprojekten und Bauunterhalt bei. Die Einnahmen aus frommen Stiftungen und Kasualien hätten allein zum Lebensunterhalt der Brüder nicht ausgereicht. Auffällig ist, dass die Karmeliter ihr erstes, bescheidenes Oratorium nicht durch einen Neubau ersetzten, sondern die neue Kirche daneben setzten. In Norwich und Paris war man ähnlich vorgegangen. Hielt man hier baulich am Ideal eines kleinen Eremitoriums fest, richtete den Blick also zurück auf die eremitischen Anfänge der Gemeinschaft im Heiligen Land, demonstrierte durch den groß angelegten Neubau der Predigtkirche gleichzeitig aber das Ankommen im Hier und Jetzt? Diese und einige weitere, über die Untersuchung verteilte Thesen Holders sind durchaus bedenkenswert.
Die Auflösung der Klöster kam nicht wirklich überraschend. Mancherorts versuchte man, vermeintlich vorausschauend zu denken und zu planen. So lebte beispielsweise seit den 1520er Jahren Thomas Cromwell auf dem Gelände des Augustinerkonvents, dessen Prior George Brown wiederum zu den commissioners gehörte, die 1534 die englischen Mendikantenklöster visitierten. Unklar bleibt jedoch, ob die Klosteroberen durch ihr hektisches Agieren versuchten, die einzelnen Konvente oder doch eher sich selbst zu retten bzw. sich nach dem Zusammenbruch eine komfortable Ausgangsposition zu verschaffen. Der Blick auf die Londoner Testamente zeigt, dass die Stadtbewohner "ihre" Priorate bis zuletzt bedachten und beschenkten; auch an der Attraktivität der Konventskirchen als Begräbnisstätten änderte sich nichts. Erst im Frühjahr 1538 wurde man sich allgemein der Tatsache bewusst, dass den Mendikantenkonventen keine Zukunft beschieden sein würde. Im Zuge der Auflösung fanden 300 Pfund Silber Eingang in den im Tower gehüteten Schatz. Die Kirchen wurden nach einem Zeitraum von 5 Jahren zumeist zum Abbruch freigegeben: die 123 Tonnen Blei, die von den Dächern von Kirche und Kreuzgang der Dominikaner stammten, wurden andernorts wiederverwendet. Auch die Steine der Kreuzherren-Kirche fanden beim Bau des Palastes von Whitehall eine "Nachnutzung".
"We are here to stay" - 1538 kam die 300jährige Geschichte mendikantischer Präsenz in London zu einem Ende. Im geglückten Zusammenspiel architektonisch-archäologischer und schriftlicher Quellen gibt Nick Holder Einblick in eine wichtige Periode der Stadtgeschichte Londons und beleuchtet unterschiedlichste Facetten mendikantischen Lebens. Dass aufgrund der Quellenüberlieferung der eigentlich wünschenswerte Blick auf das, was die Brüder nicht nur bauten, sondern konkret in der Stadt bewirkten, naturgemäß knapper ausfallen musste, ist bedauerlich, aber sicherlich nicht dem Autor anzulasten. Summa summarum: eine solide, lesenswerte Untersuchung, die weniger durch überbordende Originalität, denn durch methodisch saubere Auswertung und Analyse der Quellen besticht.
Anmerkung:
[1] Jens Röhrkasten: The Mendicant Houses of Medieval London, 1221-1539, Münster 2004.
Ralf Lützelschwab