Rezension über:

Luke Sunderland: Rebel Barons. Resisting Royal Power in Medieval Culture, Oxford: Oxford University Press 2017, X + 308 S., ISBN 978-0-19-878848-5, GBP 60,00
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Rezension von:
Christoph Mauntel
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Mauntel: Rezension von: Luke Sunderland: Rebel Barons. Resisting Royal Power in Medieval Culture, Oxford: Oxford University Press 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/31492.html


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Luke Sunderland: Rebel Barons

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Mit "Rebel Barons" hat Luke Sunderland, Experte für französische Literatur aus Durham, ein für die mediävistische Politikgeschichte durch und durch relevantes Buch geschrieben. Er untersucht Widerstandsformen des Adels gegen das Königtum in mittelalterlichen chansons de geste. Sunderland weiß um seinen speziellen Fokus und er räumt ein, mit dieser Perspektive der Ästhetik des Genres der chansons de geste ebenso wenig gerecht zu werden, wie den vielfältigen Themen, die es bietet: Liebe, Emotion, komplexe Handlungsstränge usw. (252). Als seine Hauptziele benennt Sunderland eine breite literarische Motivgeschichte des 'rebellierenden Barons' schreiben und dessen Bedeutung für die politische Kultur hervorheben zu wollen. (15) Man kann Sunderland zu dieser mutigen Ausrichtung nur gratulieren, denn er hebt damit einen bisher übersehenen Schatz, da Rebellion in der Tat ein häufig behandeltes Thema in den Liedern ist. Das erste selbstgesetzte Ziel erfüllt Sunderland vollauf, beim zweiten bleibt er jedoch hinter den Möglichkeiten zurück, weil seine Schlussfolgerungen zu sehr auf die untersuchte Gattung selbst bezogen bleiben. Sunderland bekennt, er finde es nicht hilfreich, zwischen literarischen Texten und "externen politischen Realitäten" (7) hin und her zu springen. Aus der Sicht des Historikers - und aus dieser Perspektive schreibt der Rezensent - ist dies eine verschenkte Chance, denn das Buch und seine Thesen hätten durch eine deutlich interdisziplinäre Ausrichtung viel gewinnen können. Den Ansatz dazu bietet Sunderland durchaus, in dem er hier und da auf eben jene 'externen Realitäten' verweist, auf die die literarischen Texte seinem eigenen Ansatz nach reagieren würden (17). So spiegele etwas das Lied Gaydon die Streitpunkte, die 1215 in die Abfassung der 'Magna Carta' mündeten (74). Die breitere Einbeziehung geschichtswissenschaftlicher Forschungskonzepte und -ergebnisse hätte solche Einsichten in die politische Denkkultur des Mittelalters vertiefen können.

Nach der Einleitung (1-19) nimmt Sunderland in sechs inhaltlichen Kapiteln verschiedene Phänomene in den Blick, die er jeweils mit Einzelanalysen verschiedener chansons angeht. Das Kapitel über "Sovereignty" (20-53) versteht sich als Vorbau: hier werden Autoren wie Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin und Marsilius von Padua als Advokaten einer starken und übergeordneten Stellung des Königtums portraitiert (wobei die wichtige Frage ihrer Rezeption und Wirkmächtigkeit hier leider ausgeklammert bleibt). Es sei genau diese Sicht, gegen die die 'Rebel baron texts' sich wenden würden.

Derartige, mit der dominierenden politischen Theorie rivalisierenden Diskurse aus den chansons de geste stellt Sunderland im folgenden Kapitel "Revolt" (54-97) vor. In den Werken Les Saisnes (ca. 1180-1200) und Girart de Vienne (um 1180) etwa erscheinen Rebellionen als Mittel, den Status verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auszubalancieren - der König habe hier die Aufgabe, die widerstreitenden Interessen zu moderieren und könne selbst nur durch den Konsens der Fürsten herrschen (61; 73). Hier hätte sich die Einbindung von Bernd Schneidmüllers Konzept der 'konsensualen Herrschaft' angeboten. [1]

Das Kapitel über "Resistance" (98-137) zielt auf Beispiele, in denen königliche Zugriffe nicht nur bekämpft, sondern rundheraus abgelehnt werden. So gehe es etwa in Girard de Roussillon (1136-1180) um die Frage, ob feudale Bindungen einseitig kündbar seien, oder die königliche Souveränität über dem Lehensrecht stehe (112). Interessant ist die Einbeziehung der ereignisgeschichtlich orientierten Chanson de la Croisade Albigeoise (1219), deren Changieren zwischen Treue zur Kirche und Verständnis für den okzitanischen Widerstand gegen den Albigenserkreuzzug herausgearbeitet wird.

Im folgenden Kapitel ("Charlemagne", 138-174) wird Karl der Große als Modellkönig vorgestellt, an dem sich die Adligen in vielen Versepen abgearbeitet haben. Der große Karolinger changiere in den Texten zwischen Held und Schurke und verkörpere eine Figur, die mal zur Adelssolidarität mahne und mal den Adel spalte. Neben diversen chansons de geste bezieht Sunderland hier auch die Grandes Chroniques ein. Diese haben sich dem Sog der reichen Erzähltradition nicht entziehen können und die (fiktive) Kreuzfahrervergangenheit Karls übernommen, dabei dem Königtum kritisch gegenüberstehenden Perspektiven aber keinerlei Raum eingeräumt.

Die Kapitel "Feud" (175-212) und "Crusade" (213-250) nehmen abschließend zwei Sonderfälle mittelalterlicher Kriegsführung in den Blick. "Fehde" wird zwar kurz als "kontroverser Begriff" benannt, dient Sunderland dann aber als bloße "narrative Idee", weil er ja mit literarischen Quellen arbeite (175). Während die Auseinandersetzung mit einem in der Geschichtswissenschaft umstrittenen Forschungskonzept hier zu kurz kommt, gelingt es Sunderland aber, den Wert seiner Quellentexte für die Fehde- und Konfliktforschung deutlich zu machen: Die Adligen sähen sich gegenseitig als gleichrangig an und versuchten entsprechend, die königliche Schlichtung von Konflikten zu umgehen bzw. diese sogar zurückzuweisen (so etwa in der Vengeance de Fromondin (ca. 1260), 186). Das Kreuzzugs-Kapitel bindet sich nur mühsam an die vorhergehenden Kapitel an: Hier geht es größtenteils um religiös fundierte Gewalt und Ausgrenzungsmechanismen, so dass der Einwurf, der tatsächliche Feind der Krieger sei der König in der Heimat (228), reichlich unvermittelt kommt. Sunderland argumentiert, dass die Epen den karolingischen Hof als wenig attraktiv schildern würden, vor allem im Abgleich mit den Möglichkeiten, die die Kreuzzüge eröffneten (250): Der Kriegerkönig büße seine Attraktivität ein. Inwiefern dies 'Rebellion' ist, bleibt allerdings offen.

Sunderlands These, dass die karolingische epische Tradition einen politischen Diskursrahmen bildete, der Fragen von Macht, Autorität und der Legitimität von Rebellion und Widerstand verhandelte, kann man vollauf zustimmen. In der Tat bieten die Geschichten um adlige Helden und Krieger einen ganz anderen Zugang zu politischen Vorstellungswelten, als die bisher im Fokus der Forschung stehenden akademischen Theoretiker oder königsnahen Publizisten. Dies herausgearbeitet zu haben, ist das nicht geringe Verdienst von Sunderlands Studie. Sein Wert für die historische Forschung wird jedoch durch zahlreiche Schwächen gemindert. Kleinere inhaltliche Fehler (Karl Martell wird fälschlich als König angesprochen (1), Philippe de Beaumanoir wird im Index unter "de Beaumanoir" geführt, Thomas von Aquin unter "Aquin" (276)) fallen dabei nicht so schwer ins Gewicht, wie methodische Makel. Den Mangel an Forschungen über Adelsrevolten, den Sunderland eingangs (1) konstatiert, gibt es eigentlich nicht: Neben einschlägigen monographischen Studien, die Sunderland selbst zitiert, gibt es eine Vielzahl von Beiträgen zu speziellen Revolten. [2] John Watts Synthese über mittelalterliche Politikvorstellungen wird nicht zitiert und Antony Blacks Standardwerk über politisches Denken hätte deutlich stärker eingebunden werden können. [3]

Hauptkritikpunkt aus historischer Perspektive ist die schon angesprochene fehlende Einbeziehung des historischen Kontexts: Zwar nimmt Sunderland in einzelnen Fällen Rekurs auf zeitgenössische Konflikte, um aber über die politische Kultur Aussagen treffen zu können, wie es sein Ziel war, müsste dies weitaus systematischer erfolgen. Nach der durchaus gewinnbringenden Lektüre des Buchs wird klar, dass das Thema der Adelsrevolten und der damit verbundenen politischen Vorstellungen eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordert. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Historiker, die sich für politische Vorstellungen im Allgemeinen oder Revolten im Speziellen interessieren, dass es sich zweifelsohne lohnt, sich mit Sunderlands Studie auseinanderzusetzen.


Anmerkungen:

[1] Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig / Sigrid Jahns / Hans-Joachim Schmidt / Rainer Christoph Schwinges / Sabine Wefers (Hgg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen; 67), Berlin 2000, 53-87. Vgl. auch die englische Fassung: Rule by Consensus. Forms and Concepts of Political Order in the European Middle Ages, in: The Medieval History Journal 16/2 (2013) 449-471.

[2] Es seien nur einige Bände genannt, die Sunderland nicht zitiert: Philippe Depreux (Hg.): Revolte und Sozialstatus von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit, Révolte et statut social de l'Antiquité tardive aux Temps modernes (Pariser Historische Studien; 87), München 2008; Monique Bourin / Giovanni Cherubini / Giuliano Pinto (a cura di): Rivolte urbane e rivolte contadine nell'Europa del Trecento. Un confronto (Biblioteca di Storia; 6), Florenz 2008; Olivier Bouzy: La révolte des nobles du Berry contre Louis XI. Guerre et économie en 1465, Paris 2006. Gleichzeitig mit der Studie Sunderlands ist erschienen: Justine Firnhaber-Baker / Dirk Schoenaers (eds.): The Routledge History Handbook of Medieval Revolt (Routledge Handbooks), New York et al. 2017. Nützlich wären auch einzelne Aufsätze gewesen, etwa Valerie Vrancken: United in Revolt and Discourse. Urban and Noble Perceptions of 'Bad Government' in Fifteenth-Century Brabant (1420-1), in: Journal of Medieval History 43 (2017), 579-599.

[3] John Watts: The Making of Polities. Europe, 1300-1500 (Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 2009; Antony Black: Political Thought in Europe, 1250-1450 (Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 1992.

Christoph Mauntel