Rezension über:

Pascal Pauli: Klosterökonomie, Aufklärung und "Parade-Gebäude". Der Neubau des Klosters Muri im 18. Jahrhundert (= Murenser Monografien; Bd. 1), Zürich: Chronos Verlag 2017, 319 S., eine Kt., 19 s/w-Abb., 3 Tabl., ISBN 978-3-0340-1358-1, EUR 48,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Frank Göttmann
Paderborn
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Frank Göttmann: Rezension von: Pascal Pauli: Klosterökonomie, Aufklärung und "Parade-Gebäude". Der Neubau des Klosters Muri im 18. Jahrhundert, Zürich: Chronos Verlag 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 1 [15.01.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/01/30270.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Pascal Pauli: Klosterökonomie, Aufklärung und "Parade-Gebäude"

Textgröße: A A A

Als 1701 die alte im Aargau gelegen Benediktiner-Männerabtei Muri unter Abt Plazidus Zurlauben zur Fürst- und damit auch Reichsabtei erhoben wurde, hatte schon gut zehn Jahre zuvor eine rege Umbau- und Neubautätigkeit eingesetzt, die dem Klosterensemble mit Konventgebäuden, Kirche und Ökonomiebauten ein barockes Aussehen verlieh. Mit der Standeserhöhung einher gingen intensive Anstrengungen, durch den Erwerb von Gerichts- und Grundherrschaften im Aargau, aber auch am oberen Neckar im Raum Horb und Sulz aus den Beständen verarmter Reichsritter eine Territorialherrschaft aufzubauen. Die weitere klassizistische Umgestaltung mit dem Neubau eines neuen Ost- und Südflügels seit 1788 blieb allerdings in den politischen Umwälzungen der napoleonischen Zeit und der Helvetik stecken, prägt gleichwohl nach der Aufhebung 1841 das äußere Erscheinungsbild des Klosters bis heute.

Die vorliegende Zürcher Dissertation geht den materiellen und ideellen Voraussetzungen und Prinzipien nach, welche die enorme Bautätigkeit und Erwerbspolitik der im 18. Jahrhundert als überaus reich geltenden Abtei zur Voraussetzung hatte. Repräsentative Bauten sind auch sonst in der oberdeutschen Klosterlandschaft keine Besonderheit, gleichwohl sind sie vorwiegend unter kunst- und bauhistorischen Gesichtspunkten behandelt worden, was das Phänomen aber gerade ökonomisch, finanziell und politisch noch nicht hinreichend erklärt. Deshalb richtet sich Paulis Erkenntnisinteresse konkret vorwiegend auf Fragen wie jener nach der Standeserhöhung als Faktor in jenem Geschehen, nach den finanziellen Grundlagen und der klösterlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik, nach den eigentümlichen Aufgaben der Klostergemeinschaft und dem sich daraus herleitenden Raumbedarf und schließlich nach dem Umgang des Konvents mit dem politischen und religiösen Druck, dem man infolge jener Umwälzungen ausgesetzt war. Und in der Tat erweisen sich diese Felder, in verschränkt sachlich-chronologischen Kapiteln beschrieben, analysiert und bewertet, als die entscheidenden, um dem Leser das Exempel Muri in seiner Komplexität zu erschließen.

Die Untersuchungen, die aus einer breiten Überlieferung aus allen infrage kommenden Archiven sowie Quellendrucken schöpfen, fundieren wiederholt in der Forschung nicht oder kaum beachtete Sachverhalte und Sichtweisen und rücken gerade aufgrund einer profunden Quellenanalyse scheinbar gesicherte Anschauungen gerade. Zum Beispiel kann Pauli plausibel machen, dass die Rückzahlung von Krediten, welche die Abtei südwestdeutschen Adelshäusern gewährt hatte, keineswegs, wie gewöhnlich angenommen, aus dem Finanzbedarf infolge der Bautätigkeit resultierte, sondern sich aus einer Art Gesamtfinanzplanung ergab. Für Bauten und Grundbesitzerwerb verfügte das Kloster auch so über genügend Geldmittel. Zu solchem Ergebnis kann freilich nur gelangen, wer sich wie der Autor der Mühe unterzieht, aus den klösterlichen Rechnungsbüchern für das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts Einnahmen und Ausgaben zu eruieren und zu bilanzieren (Tabelle im Anhang). Gleichsam als Mythos mutet die in der bisherigen Forschung kolportierte Feststellung an, der Neubau im späten 18. Jahrhundert habe vorrangig das Ziel verfolgt, Räume für den Ausbau der Klosterschule zu gewinnen. Indem der Autor konsequent Raumprogramm und Bauabsicht quantitativ und qualitativ aufeinander bezieht, erscheint der schulische Zweck gegenüber dem dominierenden klösterlichen Repräsentationsanspruch, der sich besonders in dem klösterliche Kaisersäle zitierenden Festsaal verwirklichte und damit eine gewisse Reichsnähe dokumentierte, marginal. Vielmehr wurde der Ausbau der Bildungseinrichtungen in der beginnenden Helvetik sogar zurückhaltend betrieben, um mögliche staatliche Eingriffe abzuwehren. Dieser Befund bedeutet, dass den Klöstern des 18. Jahrhunderts nicht zwangsläufig eine Ausweitung ihres Bildungs- und Wissenschaftssektors unterstellt werden kann. Ja, Muri ließ gute Gelegenheiten dazu sogar bewusst aus (Übernahme des Jesuitenkollegs Luzern; Angebot zum Kauf alter Bibliotheksbestände). Die Verlagerung und Modernisierung des Bibliotheksstandortes war eher dem schlechten baulichen Zustand des alten als einer Wissenschaftsoffensive geschuldet. Auch ein möglicher Bildungsimpetus durch die katholische Aufklärung kam laut Autor wohl nicht zum Tragen. So warnen derartige Befunde davor, die Existenzverhältnisse der Klöster des Ancien Régime zu undifferenziert über einen Kamm zu scheren und nicht genau zu unterscheiden; hier scheinen noch stärker vergleichende Betrachtungen vonnöten (etwa ermöglicht durch Werke wie das "Westfälische Klosterbuch").

Im Falle des Klosters Muri wäre sicherlich die ambivalente politische und verfassungsrechtliche Lage zwischen Schweizer Eidgenossenschaft und Altem Reich nicht nur zu konstatieren, sondern als Handlungs- und Bedingungsrahmen zu untersuchen, kurz, der von der Eidgenossenschaft nicht akzeptierte Status als Reichskloster mit Sitz und Stimme im Reichstag und somit auch als der Klientel des habsburgischen Kaisers zuzurechnen, letzteres auch geltend für die Reichsritterschaft, was Muris Finanz- und Herrschaftsverhältnisse zu dieser über Probleme der ritterkantonalen Bestandssicherung (vgl. 73f.) sicherlich auch beeinflussen mochte. Besitzrechte und deren Organisation und Verwaltung kommen an vielen Stellen des Buches zur Sprache, so dass sich daran durchaus die Frage knüpfen ließe, ob hier ein besonderer klösterlicher Wirtschaftsstil zum Ausdruck gekommen sein mag, eine Frage, die durchaus im Zusammenhang mit anderen großen Klöstern diskutiert worden ist. Liest man Paulis abschließendes Fazit (270f.), liegt der Gedanke nicht fern, ob im Falle des Aargau-Klosters nicht gar von einer verweigerten Modernisierung bzw. mit Peter Hersche von einer "intendierten Rückständigkeit" zu sprechen wäre, welche geistliche Herrschaften und Institutionen am Vorabend der Säkularisation geprägt hat. Abgesehen von solchen generellen Fragen leistet die Studie unbestritten sachlich, methodisch und theoretisch Vorbildliches und fordert nachdrücklich dazu auf, weitere derart fundierte Forschungen durchzuführen.

Frank Göttmann